BUCHAUSZUG: Geburt aus dem Lotus Jingtu
Der in Berlin ansässige „Buddhistische Studienverlag“ widmet Texten zu den buddhistischen Überlieferungstraditionen seine besondere Aufmerksamkeit. Mit freundlicher Genehmigung des Verlages möchten wir an dieser Stelle einen Auszug aus dem Buch „Geburt aus dem Lotus Jingtu – der Weg des Lauteren Landes“ (2016) vorstellen.
Die Einbettung des Buddhismus in den westlichen Alltag stößt bei westlichen Menschen, die den Dharma praktizieren oder für den Buddhismus allgemein aufgeschlossen sind, auf besonderes Interesse – also Themen wie Meditation, praktische Ethik, Krankheit, Sterben und Tod. Dem Reichtum der buddhistischen Überlieferung und den teils recht komplexen philosophischen und theoretischen Texten, die im Laufe von Jahrhunderten entstanden, widmen sich vorwiegend die buddhologischen Fachbereiche der Universitäten, während diese Textgattungen innerhalb der buddhistischen Szene eher weniger zur Kenntnis genommen werden. Der in Berlin ansässige „Buddhistische Studienverlag“ schenkt der buddhistischen Überlieferung seine besondere Aufmerksamkeit. Mit freundlicher Genehmigung des Verlages möchten wir an dieser Stelle einen Auszug aus dem Buch „Geburt aus dem Lotus Jingtu – der Weg des Lauteren Landes“ vorstellen, das 2016 erschien.
Das vorläufige Ziel – Geburt in einem reinen Buddha-Feld
Jeder spirituelle Weg bedarf eines konkreten Übungszieles als Motivation. Nur wenige Menschen werden in diesem Leben das vom Buddha gelehrte Ziel der Erleuchtung erlangen. Solange dieses Ziel nicht erreicht wird, besteht immer die Gefahr, aufgrund unheilsamen Wirkens in niedere Daseinsbereiche abzugleiten, in denen Leiden überwiegt; daher verfehlen auch die dort Geborenen den Heilsweg. Natürlich kann das heilsame Wirken dieses Lebens auch zu günstigen Voraussetzungen im nächsten Leben führen. Doch wir können nicht sicher sein, diese auch zu nutzen, sondern sie stattdessen in unheilsamer Weise zu missbrauchen. Das konkrete Übungsziel des Dharma-Tors des Lauteren Landes ist deshalb die Geburt in dem Buddhafeld (S. buddhakṣetra) Sukhāvatī (Höchste Glückseligkeit), einem Bereich der spirituellen Unumkehrbarkeit und Verwandlung durch Buddha-Nähe. Wir müssen uns deshalb zunächst mit der recht komplexen Idee der Buddhaländer befassen und werden danach die Besonderheiten des Buddhafeldes Sukhāvatī betrachten.
Nach der Lehre des Buddha stehen die sechs Bereiche der Wiedergeburt (Höllen, Tierreich, Gespensterwelt, Menschenwelt, Dämonen und Götter) im Saṃsāra in Abhängigkeit zum Karma-hervorbringenden Wirken der betreffenden Lebewesen. (1) Unser willentliches Wirken (S. karma) hat nicht nur eine Wirkung auf unsere Identität, sondern prägt auch unsere Umwelt. Mit unserem Wirken schaffen wir nicht nur eine innere (psychologisch beschreibbare) Wirklichkeit, sondern auch eine Dimension unserer Erlebniswelt. Die Umgebung, in der wir leben, ist in erheblichem Maße von unserem eigenen Wirken in der Vergangenheit bestimmt. Und dies gilt für die gesamte Welt der Objekte des Bewusstseins, die ein Spiegelbild der Handlungen der Wesen ist, die in ihr leben und sie erleben. Eine Welt besteht, weil es Wesen gibt, deren ursächliches Karma sie dazu führt, diese Umgebung wahrzunehmen. Höllen entstehen, weil es entsprechendes Wirken und entsprechende Wesen gibt. Die Menschenwelt entsteht, weil Wesen menschliches Karma wirken, in dessen Ergebnis sie als Menschen wiedergeboren werden.
Aufgrund der eigenen Bewusstseinsstruktur kann man also die Welt einerseits leidvoll erfahren, andererseits aber auch durch die Kraft des Heilsamen eine lichte Welt um sich erschaffen und in ihr geboren werden, wie der Buddha sagt. (2) Raum und Zeit stehen also in Abhängigkeit vom Wirken der Wesen. Sie sind unendlich und grenzenlos.
Im unendlichen Universum gibt es zahllose Weltsysteme, die räumlich wie auch dimensional neben- wie auch ineinander existieren und auch einander durchdringen, da sie ohne dauerhafte Existenz und somit “leer” (S. śunyā) sind. Diejenigen Weltsysteme, in denen ein Buddha seinen spirituellen Einfluss ausübt, werden “Buddhakṣetra” genannt. “Buddhakṣetra” heißt wörtlich “Buddha-Feld” oder “Buddha-Gefilde”, was uns an die alte Vorstellung von den Drei Kostbarkeiten als höchstem “Feld der Verdienste” (P: puññakhetta) denken läßt. Ein Buddhakṣetra ist der Lehr-, Einfluss und Wirkungsbereich eines Buddha, wie es das Mahāvastu definiert: Ein Buddhafeld ist ein Bereich, in dem es “einen Tathāgata, Heiligen, Vollkommen-Erwachten gibt, wo er lebt und den Dharma zum Nutzen und Glück der Schar der Lebewesen, der Menschen und Götter, lehrt.” (3) Wo immer der Dharma bekannt ist, dort ist ein Buddha-Gefilde. Und Buddha-Nähe ist immer auch Dharma-Nähe: “Wer die Lehre schaut, der schaut mich. Wer mich schaut, der schaut die Lehre.” (4)
Dass ein Buddha in direkter Beziehung zu einem bestimmten Weltsystem steht, ist eine der ältesten buddhistischen Überzeugungen.
(Vom Erhabenen selbst habe ich es gehört), dass bei der Empfängnis des späteren Buddha “diese zehntausendfache Welt wankte, erbebte und erzitterte, und es erhob sich aus ihr ein unermesslich mächtiger Glanz, überstrahlend sogar der Götter göttliche Pracht. (5)
Außer der Empfängnis werden in der Überlieferung noch fünf weitere Anlässe für das Erbeben der Erde im Zusammenhang mit dem des Leben eines Buddha genannt: (6)
Die Geburt, bei der der künftige Buddha bewusst aus dem Leib seiner Mutter hervortritt, der Moment der vollkommenen Erleuchtung, der Beginn der Verkündigung der Lehre, der Augenblick, in dem der Buddha klar bewusst die formenden Kräfte des Lebens loslässt und schließlich das Erlangen des umfassenden Nibbāna. Wir sollten solche Aussagen nicht als schmückendes Beiwerk abtun, sondern nach deren tieferer Bedeutung fragen.
An anderer Stelle erklärt der Buddha dem Ānanda, dass ein Vollendeter ein oder viele Dreimaltausendfache große Weltsysteme mit einem Leuchten und dann mit seiner Stimme durchdringen kann, wenn er es will: (7)
“Sollte nun, Ānanda, der Vollendete es wünschen, so könnte er ein Dreimaltausendfaches Großes Weltsystem mit seiner Stimme angehen, oder so viele er eben will.” – “Wie aber, Herr, kann der Erhabene ein Dreimaltausendfaches Großes Weltsystem mit seiner Stimme angehen, oder so viele er eben will?” – “Da, Ānanda, durchstrahlt der Vollendete ein Dreimaltausendfaches Großes Weltsystem mit seinem Glanze. Und sobald die Wesen jenes Licht wahrnehmen, gibt der Vollendete einen Ton von sich, lässt seine Stimme vernehmen. So, Ānanda, kann der Vollendete ein Dreimal-tausendfaches Großes Weltsystem mit seiner Stimme angehen, oder so viele er eben will.”
In anderen Texten des Palikanons wird der Buddha unter anderem “anantagocara” (8) genannt, einer, der einen “unendlichen” (ananta) “Bereich” (gocara) besitzt, oder als “lokanāyaka” (Gebieter der Welt) bezeichnet.(9) Der Erwachte hat immer davor gewarnt, derartiges rational ergründen zu wollen: (10)
Der Machtbereich der Buddhas, ihr Mönche, ist etwas Unerfassbares, über das man nicht nachzudenken hat, es sei denn, dass man, indem man darüber nachdenkt, dem Wahn und der Verstörung anheimfalle.
Dennoch entwickelte sich diese Lehre weiter. In einem späteren Text wird der Einfluss des Buddha auf einen bestimmten Weltbereich dem griechischen König Menandros vom Bhikkhu Nāgasena so erläutert: (11)
„König nennt man einen, o König, der die Herrschaft ausübt und die Welt unterweist. Weil nun aber, o König, der Erhabene in dem zehntausendfachen Weltsystem mit Gerechtigkeit seine Herrschaft ausübt und die Welt mit ihren Himmelswesen, Māras und Göttern und der Schar der Asketen und Brahmanen unterweist, aus diesem Grunde wird der Vollendete ein König genannt.”
Und er erklärt dem König Menandros auch, dass der Vollendete von allen Wesen das Unheilsame fernhält und sie mit dem Heilsamen versieht. (12)
Wie sehr die Vorstellung einer Sphäre des helfenden Einflusses des Buddha im alten Indien verbreitet war, wird auch in einem Mythologem beschrieben: Sonne und Mond sind in Gefahr, vom Dämon Rahu verschlungen zu werden. Sie nehmen Zuflucht zum Buddha und bitten ihn um Hilfe. Der Buddha fordert Rahu auf, Sonne und Mond freizugeben: Denn: “Es haben die Buddhas Erbarmen mit der Welt!” (13)
Buddhaghosa (5. Jhdt. n. Chr.), der große Kommentator des Theravāda, war der Ansicht, dass sich um den Buddha ein großes kosmisches Feld (P. khetta) ausdehnt, das dessen Schutz unterliegt und in welchem die Kraft des Paritta (des rituell quasi als Zauberspruch rezitierten Buddha-Wortes) wirksam ist, d.h. die Kraft seiner Erleuchtung, seiner Tugenden und seiner Verdienste. Im Visuddhi-Magga, in welchem Buddhaghosa den Niedergang eines Weltzyklus ausführlich beschreibt, fasst er alle diese Lehren vom Einflussbereich eines Erwachten so zusammen: (14)
Nun gibt es drei Arten von Buddha-Bereichen (khetta): Geburtsbereich (jāti-khetta), Einflussbereich (āṇā-khetta), Wissensbereich (visaya-khetta).
Der Geburtsbereich umfasst 10.000 Welten. Sie alle erbebten zu verschiedenen Anlässen im Leben eines Tathāgata, so z. B. als er empfangen wurde.
Der Einflussbereich umfasst 100.000mal 10 Millionen Welten. Über sie alle dehnt sich die schutzgewährende Kraft des Ratana-Sutta, des Khanda-Paritta, des Dhajagga-Paritta, des Atānātiya-Paritta und des Mora-Paritta aus.
Der Wissensbereich ist endlos und grenzenlos. Und der Hinweis “oder so weit er will” bedeutet, dass der Tathāgata weiß, was er wissen will.
In Mahāyāna-Texten wird zwischen reinen und unreinen Buddhafeldern unterschieden. (15) Dabei wurden jene als “unrein” bezeichnet, in denen es auch die niederen Daseinsbereiche (der Pretas, der Tiere und der Höllen) gibt. In ihnen sind die Lebensbedingungen dem Heilsweg nicht förderlich. In ihnen ist es schwierig, Buddhas und Bodhisattvas zu begegnen, schwierig, die Lehre zu vernehmen. Deshalb gibt es in ihnen zahllose falsche Ansichten, die in die Irre führen.
In den reinen Buddhagefilden – und nur von ihnen wird zu sprechen sein, denn ein solches ist Sukhāvatī, das Lautere Land des Buddha Amitābha – gibt es nur die Welten der Götter und Menschen, also jene Daseinsbereiche, in denen bewusste Entscheidungen für den Heilsweg möglich sind. Es gibt in ihnen weder unheilsames Wirken noch andere Hindernisse für die Praxis des Erleuchtungsweges. Die Wesen in ihm entstehen auch nicht durch Zeugung und Geburt aus dem Mutterleib, sondern auf überweltliche Weise spontan (16), in der Bildersprache der Texte durch eine Geburt aus einer Lotusblüte symbolisiert, ein Hinweis auf die “andere Wirklichkeit” eines geläuterten Buddhagefildes.
Nach der Aussage der kanonischen Jingtu-Texte hat nicht nur der historische Buddha Śakyamuni, sondern auch der Buddha Amitābha seinen spirituellen Weg dereinst als gewöhnlicher Mensch mit dem Ablegen der Gelübde eines Bodhisattva begonnen. Viele Äonen lang hat er dann seinen Weg in jenem Weltsystem zurückgelegt, für das er Verantwortung übernommen hat und dabei zahllosen Wesen geholfen. Dies hat ihn schließlich zur Beseitigung aller Befleckungen seines Geistes und zur Läuterung seiner Geist-Körperlichkeit geführt, zur Einsicht in die grundlegenden welterschaffenden Prozesse und Gesetzmäßigkeiten des Lebens. Dieser innere Vorgang, der sich auf die gesamte bedingt entstandene Welt bezieht, bedarf keiner äußeren Form.
Durch seinen spirituellen Einfluss hat er aber auch ein adäquates, geläutertes Umfeld für seine Lehrtätigkeit geschaffen, an welchem alle Wesen teilhaben, die sich auf dem entsprechenden Praxisweg auf ihn einlassen. Dieses Umfeld ist die nach außen gerichtete Entfaltung des spirituellen Ideals eines Bodhisattva: die Errettung und Befreiung aller Wesen. Und die zur Verwirklichung dieses Ideals einzig wirkliche Hilfe ist die Gestaltung (“Läuterung”) eines Weltsystems, für das er Verantwortung übernommen hat, zu einem reinen Buddhaland. Konkret heißt dies das Führen aller Lebewesen dieses “Landes” auf den Pfad der Reinheit, d. h. auf den Weg zum Nirvana, und die Vervollkommnung des Weges zur Buddhaschaft in diesem “Land” (17). Das dem zugrundeliegende Mitempfinden ist sein höchstes Geschenk an die anderen Lebewesen, die Hingabe seiner Verdienste, d. h. das Teilhabenlassen an seinen spirituellen Verwirklichungen. Dieses aber bedarf einer Form und ist deshalb immer auf ein bestimmtes Weltsystem begrenzt, weswegen es in einem Weltsystem gleichzeitig immer nur einen Buddha geben kann. Wenn also ein Buddha mit anderen Wesen kommunizieren will, muss er selber Grenzen annehmen.
Ein Buddhagefilde darf nicht mit den Himmelswelten, von denen der Buddha bei anderer Gelegenheit sprach und die zu den ältesten Meditationsobjekten gehören, verwechselt werden. Die Himmmelswelten sind Teil unseres Weltsystems, in denen die Lebewesen von Wiedergeburt zu Wiedergeburt wandern. Wiedergeburt in ihnen ist das Resultat früheren heilsamen Wirkens in der Menschenwelt (Vertrauen, Sittlichkeit, Wissen, Freigebigkeit und Weisheit) (18). Doch aufgrund ihres langen und sorgenfreien Lebens erkennen die in den Himmelswelten Geborenen die Vergänglichkeit ihrer Situation nicht und streben deshalb auch nicht zur Überwindung des Nichtwissens, weswegen sie am Ende ihres Lebens aufgrund ihrer karmischen Erbschaft aus früheren Existenzen zumeist wieder in andere Bereiche zurückfallen. Ihr Daseinskreislauf setzt sich dadurch unablässig fort. (19)
Während die sechs Wege der Wiedergeburt aus dem nicht-bewussten, von Begehren, Hass und Verblendung geprägten Wirken der Wesen entstehen, entfaltet sich ein geläutertes Buddhaland aus dem bewussten, willentlichen, heilsamen, überweltlichen Wirken eines Bodhisattva, aus der Frucht der Übung der Pāramitās über Äonen, aus Mitempfinden, das aus Weisheit erwächst. Es ist eine “Welt einer anderen Dimension”. (20) Statt auf den innerweltlichen Glückszustand der Himmelswelten weisen die Jingtu-Sūtras auf den Einflussbereich eines Buddha als vorläufiges Ziel, in welchem die in ihm geborenen Wesen die Lehre hören, schauen und praktizieren können, was sie schließlich zur Erleuchtung führt. Über sinnenfrohe innerweltliche Bilder wollen die Texte unsere Blicke in eine außerweltliche Dimension der Wirklichkeit lenken, zu der die Unumkehrbarkeit auf dem Heilsweg des Buddha gehört. Die innere Nähe dieser Schilderungen zu den vom Erwachten beschriebenen Stufen der Vertiefung ist dabei nicht zu übersehen: (21)
Gleichwie etwa, Udāyī, ein See mit unterirdischer Quelle, in den sich kein Bach von Osten oder Westen, von Norden oder Süden ergösse, keine Wolke von Zeit zu Zeit mit tüchtigem Gusse darüber hinwegzöge, in welchem nur die kühle Quelle des Grundes emporwellte und diesen See völlig durchdränge, durchtränkte, erfüllte und sättigte, so dass nicht der kleinste Teil des Sees von kühlem Wasser ungesättigt bliebe: ebenso nun auch, Udāyī, durchdringt und durchtränkt, erfüllt und sättigt der Mönch diesen Körper da mit der in der Vertiefung geborenen seligen Verzückung, so dass nicht der kleinste Teil seines Körpers von der in der Vertiefung geborenen seligen Verzückung ungesättigt bleibt.
Ein “geläutertes Land”, ein “Lauteres Land”, ist keine statische, geographische, sondern vielmehr eine funktionale, spirituelle Wirklichkeit. Nach der Lehre der Yogacārins werden im Erleuchtungsprozess die acht Funktionen des weltlichen Bewusstseins (22) in weltdurchschauende Weisheiten und in die diesen entsprechenden Formen des eigenen Körpers und des Umfelds verwandelt. Dabei werden die Samen karmischer Energie, die im Ālayavijñāna (Grundbewusstsein) gespeichert sind, durch eine existenzverwandelnde Erfahrung (S. āśraya-parāvṛtti) zu den erhabenen physischen Formen des Buddha und zum Schmuck seines Feldes, des Lauteren Landes. Aber auch die Taten und karmischen Impulse derjenigen, die später durch ihre Affinität zu diesem Buddha zu ihm streben, “schmücken” solch ein Buddhaland. Es ist nicht von Bedeutung, wie es konkret beschaffen ist. Wichtiger ist, was es ist und welche Funktion es ausübt. Es ist nicht nur eine Welt, in welcher ein Buddha erscheint und lehrt, sondern auch ein heilsames Umfeld zum Nutzen der leidenden Wesen, in dem die heilbringende Wirkung der Erleuchtung des Buddha wirksam wird. Es ist die uns gewöhnlichen Lebewesen zugängliche Dimension der Erleuchtungserfahrung eines Buddha. Es ist weder in einer geographischen Entfernung noch in einer Zeitdimension zu finden. Zeit und Raum sind Ordnungen unseres alltäglichen Bewusstseins. Ein Buddhaland gehört demgegenüber einer anderen Ordnung des Bewusstseins und damit auch des Seins an.
Zusammenfassend können wir also sagen: Die spirituelle Verwandlung eines Weltsystems in ein reines Buddhaland ist die Vollendung des Übungsweges des werdenden Buddha. Ein Erleuchteter lebt in einem erleuchteten Umfeld. Wie er selber, ist auch seine Umwelt vollendet und verwandelt. Da sein Wirken leer von allem Ich-Bezug ist, ist auch das durch dieses Wirken entstehende Umfeld leer. Zwar ist es entstanden, aber es ist ein Bereich des Nicht-Entstehens. Es ist leer von aller Begrenzung und deshalb auch nicht entstanden. Es ist auch ein Bereich der Nicht-Geburt, da es das Ende der Dualität von Werden und Entwerden bedeutet. Die Vorstellungen von Zeit, von Vorher und Nachher treffen auf es nicht zu. Es ist rein, weil die Ursachen und Bedingungen, die es entstehen haben lassen, rein sind. Es läutert von falschen Ansichten und von allem Anhaften und verwandelt diejenigen, die sich darauf einlassen. Es führt aus der Bindung und dem Geworfensein des Saṃsāra in die Freiheit der Vollkommenheit. Ob ein Lauteres Land hier oder in den Tiefen des gestirnten Himmels ist: Wer an der Gegenwart eines Buddha teilhat, der erlebt ein “geläutertes” Buddhaland.
Auszug dem Buch:
Roland Berthold: GEBURT AUS DEM LOTUS JINGTU – DER WEG DES LAUTEREN LANDES, Buddhistischer Studienverlag, Berlin 2016, 18,90 Euro
Webseite des Verlages: www.buddhistischer-studienverlag.de
Eine kurze Rezension des Buches finden Sie auch hier auf unseren Webseiten. „Die Verehrung des Buddha Amitabha und seines Lauteren Landes bildet mit ihren verschiedenen Schulen eine der größten buddhistischen Strömungen Ostasiens. Bei uns im Westen ist sie fast unbekannt. Hier gibt es etwas sehr Kostbares zu entdecken“, so die Einschätzung von Rezensentin Ilona Evers.
Fußnoten:
- vgl. AN III, 76
- vgl. MN 120
- zit. nach Lamotte, The Teaching of Vimalakirti, bei Sharf, On Pure Land Buddhism and Chan/Pure Land Syncretism in Medieval China, T’ong Pao vol. 88, Nrs. 4-5, p. 315
- SN 22, 87
- MN 123, p. 918f 5
- DN 16, p. 257
- AN III, 80
- Dhp 179/180
- Sutta-Nipāta (Snp) 995
- AN IV 77
- Milindapanha (MiPa) IV. 5.8
- MiPa IV. 3.2
- SN II, 9 u.10
- XIII.31 des Visuddhi-Magga, übers. nach Warren, Buddhism in Translations, p. 321
- Fujita 1987, p. 90 f
- siehe hierzu MN 12, p. 83
- Fujita 1996, p. 34
- AN XI, 13
- vgl. SN V, 7
- Fujita 1996, p. 44
- MN 77. p. 573f
- Das sind die fünf auf die Sinne bezogenen Bewusstseinsfunktionen, das Geistbewusstsein, dessen Objekte Gedanken etc. sind, der verdunkelte Geist, der ein Subjekt konstruiert und insofern die Spaltung der Wirklich in Subjekt und Objekt bewirkt, und schließlich das Grundbewusstsein, das die Basis für alle anderen Bewusstseinsfunktionen ist und in dem die karmischen Strukturen als Samen vorhanden sind, die später wieder manifest werden können.