Healing our Sanghas

17. Februar 2023

oder: „Sprechen statt Schweigen“

Eine neue Initiative möchte einen sicheren Raum für die Karma-Kagyü-Schule schaffen, um die Missbrauchsvorwürfe gegen den 17. Karmapa Ogyen Trinley Dorje zu besprechen und mit dem Schweigen umzugehen.

Karmapa Orgyen Trinley Dorje, VOA, Public domain, via Wikimedia Commons
Karmapa Orgyen Trinley Dorje, VOA, Public domain, via Wikimedia Commons

 

Die Initiative „Healing our Sanghas“ besteht aus einer Gruppe von Laienpraktizierenden und Mönchen der Karma-Kagyü-Schule des tibetischen Buddhismus. Im Sommer 2022 haben sie eine Website gleichen Namens veröffentlicht, um über die Missbrauchsvorwürfe zu informieren, Opfer zu unterstützen und einen sicheren Raum für Diskussionen zu schaffen.

Der Karmapa ist das Oberhaupt der 900 Jahre alten Karma-Kagyü-Linie des tibetischen Buddhismus und einer seiner prominentesten Vertreter. Seine Heiligkeit der 17. Gyalwang Karmapa Ogyen Trinley Dorje – so die offizielle Bezeichnung – teilt sich den Anspruch auf diesen Titel mit Trinley Thaye Dorje, der von einem anderen Teil der Karma-Kagyü-Sangha als 17. Karmapa inthronisiert worden ist.

Missbrauchsvorwürfe gegen Ogyen Trinley Dorje waren im Frühjahr 2021 bekannt geworden und Gegenstand von Zivilprozessen in mehreren Ländern. Im April 2022 wurde in Kanada eine Vaterschaftsklage gerichtlich verhandelt, die, wie im Sommer 2022 bekannt wurde, inzwischen außergerichtlich beigelegt worden ist.

https://www.healingoursanghas.org
Screenshot healingoursanghas.org, Startseite

Auf der Website Healing our Sanghas findet man eine Zeitleiste der relevanten Vorgänge zu den Anschuldigungen, eine Weltkarte, über die Kommentare aus einer Vielzahl von Ländern zu den Vorgängen zugänglich sind, und die Möglichkeit, anonym Erfahrungen und Informationen in Bezug auf die Anschuldigungen zu teilen. Über ihre Haltung zu den Missbrauchsvorwürfen und dem Umgang damit schreibt die Initiative auf der Website:

Mit der Website beziehen wir keine Stellung zur Wahrheit oder Unwahrheit dieser Anschuldigungen. Wir erkennen jedoch an, dass es keine unabhängige Untersuchung und keine öffentliche Antwort des Karmapa gegeben hat. Und dass dieses Schweigen, wie auch die Anschuldigungen ein Umfeld geschaffen hat, in dem Unsicherheit, Zweifel und Verwirrung gedeihen.

Nahezu alle ihre Dharmagemeinschaften hätten sich strikt dagegen ausgesprochen, diese Bedenken zu diskutieren. Die Möglichkeit, dass ein Linienoberhaupt, zu dem sie Zuflucht genommen hätten, seine Machtposition und seinen Einfluss auf seine Schüler:innen missbraucht habe, ohne dass es eine Diskussion darüber gäbe oder Versuche, die Wahrheit herauszufinden, habe tiefgreifende Auswirkungen auf die gesamte Dharmagemeinschaft weltweit.

Einige von uns haben damit zu kämpfen, ihre Praxis aufrechtzuerhalten, viele mussten ihr Engagement für den Dharma neu definieren, neu ausrichten oder neu erfinden und stellen fest, dass sich unsere Gemeinschaften nicht mehr wie gesunde oder sichere Räume anfühlen.

Professionelle Unterstützung hat sich die Gruppe mit den US-amerikanischen buddhistischen Wissenschaftlerinnen Ann Gleigh und Amy Langenberg geholt. Beide forschen zu sexualisierter Gewalt und den Missbrauchsvorwürfen in nordamerikanischen und internationalen buddhistischen Gemeinschaften. Auf Anfrage der internationalen Online-Zeitschrift Buddhistdoor Global äußerten sie, dass sie sich sehr bewusst darüber seien, wie heikel das Thema sei, da der Karmapa das Oberhaupt einer internationalen Gemeinschaft sei und auch von großer politischer Bedeutung für das besetzte Tibet. In einem Beitrag in der buddhistischen Zeitschrift Tricycle erklärten die beiden Wissenschaftlerinnen, sie seien von der Gruppe angesprochen worden, hätten die Beweggründe gründlich geprüft und sich entschieden, die Ziele des Projektes zu unterstützen. In Buddhistdoor ergänzen sie „Wir haben zugestimmt, da unsere Forschungen durchweg ergeben haben, dass die Reaktion der Institutionen und der Gemeinschaft auf Missbrauchsvorwürfe der entscheidende Faktor für den Heilungsprozess sowohl der Opfer als auch der Gemeinschaft ist.“ Verleugnung und Verschweigen würden einen sekundären Schaden verursachen und Transparenz sei eine entscheidende Komponente für alle Gemeinschaften, die sich mit Vorwürfen des sexuellen Missbrauchs befassten. Als Wissenschaftlerinnen seien sie zu dem Schluss gekommen, dass den Stimmen der Mitglieder betroffener Gemeinschaften mehr Gewicht gegeben werden müsse, um weiteren Schäden und Traumata vorzubeugen.

Gegenüber der Zeitschrift Lion’s Roar forderten die Wissenschaftlerinnen: „Wir halten weitere Initiativen für notwendig, um die festgefahrene Kultur des Schweigens und der Verantwortungslosigkeit in Bezug auf Missbrauch im Buddhismus zu verändern.“ 

Kirsten Schulte

Weitere Informationen 

healingoursanghas.org

Tricycle:
tricycle.org/article/karmapa-case-discontinued

Buddhistdoor Global:
buddhistdoor.net/news/healing-our-sanghas-new-website-seeks-discussion-of-karmapa-abuse-allegations

Zur Klage gegen den Karmapa siehe auch BUDDHISMUS aktuell, Mai 2022:
buddhismus-aktuell.de/erweiterung-der-klage-gegen-den-17-karmapa-zugelassen