Die Welt mit anderen Augen sehen
160 Zen-Geschichten und Koans
Heft: | 01 | 2024 Zeit |
Verlag: | Anaconda |
Ort: | München |
Jahr: | 2023 |
ISBN: | 978-3-7306-1218-1 |
Preis: | 9,95 Euro |
Seiten: | 224 |
Aus dem Englischen übersetzt von Ulli Olvedi | |
Gebunden | |
Rezension
Wer authentische Texte beziehungsweise primäre Quellen „aus“ dem Zen lesen möchte und nicht etwas „über“ Zen, wird fündig in „Die Welt mit anderen Augen sehen”. Paul Reps, der 1990 starb, stellte die Schriften bis auf einen kleinen Teil gemeinsam mit Nyogen Senzaki zusammen. Nyogen Senzaki, der 1958 starb, war ein bedeutsamer japanischer Zen-Meister und wichtiger Vertreter des Rinzai-Zen im 20. Jahrhundert.
Paul Reps lebte lange in Indien und Japan und stellte die 101 Zen-Geschichten schon 1957 erstmalig unter dem Titel „Zen Flesh, Zen Bones“ vor. Es sind Geschichten, bei denen man am Ende schmunzelt, überrascht oder erstaunt wird. Denn die Lösungen sind meistens unerwartet.
Die kurzen Geschichten ostasiatischer Zen-Lehrer aus fünf Jahrhunderten tragen Titel wie „Der letzte Klaps“, „Keine Arbeit, kein Essen“ oder „Lord Dummkopf“. Sie handeln vom Alltag, von Demut oder der Suche nach der wahren Natur – und sie sind so klar geschrieben, dass man sie sofort versteht, auch wenn sie aus einer anderen Kultur und Zeit stammen. Es sind Geschichten über Selbstentdeckungen. Viele beinhalten zeitlose, vielleicht letztendlich auch zivilisationsunabhängige Wahrheiten und Weisheiten. Sie können den eigenen Blickwinkel erweitern, hin zu mehr Herzensgüte, Einfachheit des Lebens und innerem Frieden, Haltungen und Lebensweisen also, die in Krisen helfen können.
Zusätzlich zu den Zen-Geschichten gibt es die berühmte Sammlung von 49 Koans „Das torlose Tor“ mit Kommentaren aus dem 13. Jahrhundert. Hier geht es unter anderem darum, aufzuzeigen, wie die alten chinesischen Lehrer ihre Schüler dazu brachten, „die dualistischen, materialistischen, verallgemeinernden oder intellektualisierenden Tendenzen zu vergeistigen und ihnen zu helfen, ihre wahre Natur zu verwirklichen“, wie wir aus dem Buch erfahren. Weitere Zen-Klassiker-Sammlungen im Buch sind die „Zehn Bilder des Ochsen“ mit Illustrationen von Tomikichiro Tokuriki und „Auf die Mitte zu“.
Paul Reps gefiel der freie und kreative Geist des Zen, das drückt er in seinen erhellenden Einführungstexten zu den einzelnen Sammlungen sowie im Schlusswort mit dem Titel „Was ist Zen?“ aus. Dort heißt es: „Versucht es, wenn ihr wollt. Aber Zen kommt von selbst. Das wahre Zen zeigt sich im täglichen Leben als Bewusstsein in Aktion. Mehr als jede begrenzte Wahrnehmung öffnet es das innere Tor zu unserer unendlichen Natur.“
Ursula Reinsch