Warum Jon Kabat-Zinn die Achtsamkeit populär gemacht hat
Jon Kabat-Zinn war ein Yogalehrer und Meditierender mit einem Doktortitel in Molekularbiologie – dann entwickelte er das Programm der Achtsamkeitsbasierten Stressreduktion (MBSR) und löste die amerikanische Achtsamkeitsbewegung aus. In diesem zweiten Teil eines dreiteiligen Gesprächs erzählt er Chefredakteur Melvin McLeod von den Erfahrungen und Erkenntnissen, die seinen Weg geprägt haben.
Da wir noch auf die Erlaubnis von Jon Kabat-Zinn warten, sehen Sie vorerst einen Teilabdruck – oder Sie lesen den Text auf Englisch. Den Link finden Sie am Ende der Seite.
Melvin McLeod: Wann haben Sie angefangen zu meditieren?

Jon Kabat-Zinn: Meine erste Erfahrung mit formeller Praxis – oder selbst nur das Wissen darüber – machte ich eines Tages im Jahr 1965. Ich studierte Molekularbiologie im Labor von Salvador Luria1, einem späteren Nobelpreisträger, und ich war außer mir vor Sorge wegen des Vietnamkriegs. Als ich durch die Hallen des MIT (Red: Massachusetts Institute of Technology)1 ging, sah ich ein Schild an der Wand: Die drei Säulen des Zen – Ein Vortrag von Philip Kapleau. Er war von Huston Smith eingeladen worden, der damals dort Professor für Philosophie und Religion war. Ich hatte noch nie von einem der beiden gehört, aber irgendetwas an diesem Schild zog mich an – vielleicht war es die Ikonographie der drei Säulen oder das Geheimnis des Wortes „Zen“.
Das MIT ist eine Gemeinschaft von Tausenden von Menschen, aber es kamen nur vier Leute zu dem Vortrag. Ich war einer davon – und während Kapleaus Vortrag traf es mich wie der Blitz. Er war als Reporter beim Nürnberger Kriegsverbrechertribunal gewesen und berichtete darüber, wie die Zeugenaussagen zum unvorstellbaren Ausmaß der nationalsozialistischen Gräueltaten ihn zutiefst erschütterten. Nach dieser tiefgreifenden Erfahrung verschlug es ihn in ein Zen-Kloster auf Hokkaido, der nördlichsten Insel Japans – mitten im Winter.
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Wenn MBSR nicht unter diesem Gesichtspunkt gelehrt wird, ist es kein MBSR, sondern eher eine kognitive Verhaltenstherapie. Aber wenn es auf diese Weise angeboten wird, dann macht die Meditationspraxis selbst die ganze Arbeit. Der Dharma macht die ganze Arbeit, und man muss sich keine Gedanken über das Ergebnis machen.
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Das Interview wurde am 31. März 2025 auf dem Onlineportal Lion’s Roar auf Englisch veröffentlicht:
www.lionsroar.com/why-jon-kabat-zinn-brought-mindfulness-to-the-mainstream
Anmerkungen der Redaktion:
1 am Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Massachusetts, USA
2 MBSR: Mindfulness-based Stress Reduction, auf Deutsch Achtsamkeitsbasierte Stressreduktion
3 UMass Chan Medical School ist eine national anerkannte medizinische Fakultät und international renommierte Forschungseinrichtung in Massachusetts, USA
4 Nozizeptor: Ein Nozizeptor ist ein spezialisierter Sinnesrezeptor, der Schmerzreize wahrnimmt. „Nozizeptiv“ bezieht sich auf die Schmerzempfindung und die dazugehörigen Prozesse im Körper.

Jon Kabat-Zinn
ist emeritierter Professor für Medizin an der University of Massachusetts Medical School, wo er das Zentrum für Achtsamkeit in Medizin, Gesundheitswesen und Gesellschaft gründete und 1979 den Kurs zur achtsamkeitsbasierten Stressreduktion (MBSR) einführte. Er ist der Autor von Full Catastrophe Living und Wherever You Go, There You Are.