Vesak – Vaiśakh – Buddha Jayanti
Seit der kolonialen Entdeckung und Transformation des Buddhismus zu einer modernen Weltreligion im ausgehenden 19. und Beginn des 20. Jahrhunderts gilt Vesak als einer der höchsten Feiertage des Festkalenders aller buddhistischen Richtungen. Martin Ramstedt über die historischen Hintergründe.
Angesichts des Beitrags, den der Buddhismus seit über zweieinhalbtausend Jahren zu einer „Spiritualität der Menschlichkeit“ leistet (Boyay 2012), erkannten die Vereinigten Nationen in ihrer Resolution 115, die sie während ihrer 54. Sitzung im Jahre 2000 verabschiedeten, Vesak offiziell als ‚Internationalen Tag des Vesak’ an. Die Anerkennung erfolgte nach Präsentationen von Vertretern verschiedener, mehrheitlich buddhistischer sowie nicht-buddhistischer Mitgliedsstaaten. Seither wird Vesak jährlich in der Zentrale der Vereinigten Nationen in New York sowie in ihren Vertretungen weltweit feierlich begangen (Bogyay 2012).
Seit der kolonialen Entdeckung und Transformation des Buddhismus zu einer modernen Weltreligion im ausgehenden 19. und Beginn des 20. Jahrhunderts gilt Vesak als einer der höchsten Feiertage des Festkalenders aller buddhistischen Richtungen. Beim Vesak-Fest, welches auf den Vollmondtag des Monats Vaiśakha des altindischen Kalenders fällt, gedenken Buddhisten überall auf der Welt nämlich dreier herausragender Ereignisse im Leben Siddharta Gautamas, des historischen Buddha: Buddhas Geburt (Buddha Jayanti), Buddhas Erwachen bzw. Erlangen des Nirvana und Buddhas Tod bzw. Eingang in das Parinirvana, das absolute Nirvana, in dem alles Relative erlischt, im Alter von achtzig Jahren (‚Buddha Jayanti’; Snelling 1991: 45, 322).
Ursprünglich wurde das Vesak-Fest allerdings nur in den Theravada-Traditionen der buddhistischen Gesellschaften Südostasiens begangen. 1888 gelang es Henry Steel Olcott, Präsident der 1875 in New York gegründeten Theosophischen Gesellschaft und Colonel im amerikanischen Sezessionskrieg, bei einem seiner Aufenthalte in Ceylon, durch eine Petition bei der britischen Kolonialregierung die Anerkennung von Vesak als staatlichen Feiertag zu erwirken, indem er die Feier der Geburt Buddhas Weihnachten, also der Feier der Geburt Jesu, gleich setzte. Damit unterstützte Olcott, der bereits während seines ersten Aufenthalts in Ceylon im Jahre 1880 offiziell Zuflucht (Pansil) im Wijananda Kloster in Galle genommen hatte (Prothero 1997: 86, 95), erfolgreich den bisher vergeblichen Protest singhalesischer Reform-Buddhisten gegen die exklusive staatliche Anerkennung christlicher Feiertage vonseiten der Kolonialherren. Letztere sahen sich der christlichen Missionierung – und damit, wie viele Europäer glaubten, der Zivilisierung (siehe auch Veer 1996: 4-9; Rooden 1996) – der einheimischen Bevölkerung verpflichtet. Olcott gelang es, diesen kolonialpolitischen Trend zu wenden, und durch seine Unterstützung einflussreicher singhalesischer Mönche, wie zum Beispiel Hikkaduve Sumangalas, eine Renaissance des Buddhismus in Ceylon einzuleiten (Prothero 1997: 97-106; siehe auch Blackburn 2010: 96, 104-110, 113-119). Schnell verbreitete sich das Vesak-Fest weltweit unter Buddhisten als Zeichen des erfolgreichen Widerstands gegen Kolonialismus und als Symbol buddhistischer Verbrüderung (Snodgrass 2009: 145-146).
Vielfalt buddhistischer Bräuche
Heute besuchen Laien-Buddhisten überall auf der Welt an Vesak gewöhnlich buddhistische Zentren, Tempel und Klöster, um Opfergaben (dana) darzubringen und buddhistische Vorträge zu besuchen. Manche Laien tragen an diesem Tag nur weiße Kleidung und enthalten sich von Fleischspeisen. Andere kaufen in Gefangenschaft gehaltene Tiere, denen die Schlachtung droht, und lassen sie frei (Shiu und Stokes 2009: 181-182). Man praktiziert oder isst auch nur zusammen. Stupas, Tempel, Zentren und Klöster sind festlich geschmückt. Die beiden größten Stupa in Kathmandu, die Swayambunath Stupa und die Boudhanath Stupa, sind beispielsweise mit tausenden von Butterlampen erleuchtet. Sie verweisen symbolisch auf das Licht, welches der Buddha durch seine Lehren in die Welt gebracht hat (‚Buddha Jayanti’). In chinesischen Mahayana-Tempeln werden die Vesak-Teilnehmer eingeladen, eine stehende Buddha-Statue, die den frisch geborenen Buddha repräsentiert, mit Wasser aus einer großen Schale, in der viele frische Blüten schwimmen, zu übergießen und sich damit symbolisch ihrer eigenen Buddha-Natur zu vergewissern (so die mündliche Auskunft eines Mönches in einem chinesisch-buddhistischen Tempel in Jakarta, Indonesien).
Viele Buddhisten aus aller Welt reisen zu Vesak auch nach Lumbini in Nepal, wo die Mutter des Buddha ihren Sohn zur Welt gebracht haben soll. Als sie in ihrem Palastgarten den Zweig eines Baumes ergriff, entsprang der Legende nach der junge Siddharta ihrer Seite, tat sieben Schritte und sprach dann die Worte: „Dies ist das letzte Leben, das ich noch leben werde“ (‚Buddha Jayanti’). Lumbini wurde eigentlich erst im 19. Jahrhundert durch archäologische Ausgrabungen zum Ziel internationaler buddhistischer Pilger und damit lebendiger Bezugspunkt für das Vesak-Fest (Allen 2002: 256-279; Snelling 1991: 188, 194). In den 1920er Jahren fühlten sich private Veranstalter in Tokyo dazu inspiriert, das traditionelle Hanamatsuri (Blumen-)Fest zu Ehren Buddhas Geburt in das sogenannte „Lumbini Fest“ umzuwandeln. Die Umbenennung und inhaltliche sowie organisatorische Umgestaltung eines tradierten japanischen Festes sollte Japan mit den buddhistischen Traditionen anderer asiatischer Länder im Geiste einer pan-asiatischen Moderne verbinden. Anlässlich des Festes wurde in sehr akademisch-philosophisch gehaltenen Vorträgen ein gemeinsames buddhistisches Erbe propagiert. Dieses Erbe sollte wiederum die Grundlage für notwendige soziale Reformen bilden, die ihrerseits eine asiatische Moderne einleiten würden (Snodgrass 2009: 133-136).
Seit Jahrzehnten wird auch in europäischen Städten von einheimischen wie auch aus asiatischen Ländern stammenden Buddhisten – oft gemeinsam – Vesak gefeiert. Die Festlichkeiten sind hier vor allem durch ein gegenseitiges Kennenlernen geprägt. Die verschiedenen Zentren öffnen ihre Türen für Buddhisten anderer Richtungen. Es gibt gemeinsame Meditationen, Vorträge, Teezeremonien und ausreichend Gelegenheit, sich an zum Verkauf angebotenen selbst zubereiteten Speisen gemeinsam oder auch allein satt zu essen. Ein fester Bestandteil städtischen Lebens sind seit Jahrzehnten die traditionsübergreifenden Vesak-Feiern in Städten wie Amsterdam, Hamburg oder Berlin, die von verschiedenen ansässigen buddhistischen Gruppen gemeinsam organisiert werden.
Weiterführende Literatur
- Allen, Charles (2003), The Search for the Buddha: The Men Who Discovered India’s Lost Religion, New York: Carroll & Graf Publishers.
- Blackburn, Anne M. (2010), Locations Of Buddhism: Colonialism & Modernity in Sri Lanka, Chicago and London: The University of Chicago Press.
- Bogyay, Katalin (2012), ‘Buddha Jayanti Celebration of the 2,600 Years of the Buddha’s Enlightenment’, Address by the President of the General Conference of the UNESCO in Bangkok (PDF-Dokument)
- ‘Buddha Jayanti – Celebrating the Life, Death, and Enlightenment of the Buddha’, ohne Datum, rubinmuseum.org/blog/buddha-jayanti-life-death-enlightenment-of-buddha.
- Erricker, Clive, und Jane Erricker (1995), Celebrate: Buddhist Festivals, Portsmouth: Heinemann Library.
- Prothero, Stephen (1997), The White Buddhist: The Asian Odyssey of Henry Steel Olcott, Delhi: Sri Satguru Publications (autorisierte indische Ausgabe der Indiana University Press-Ausgabe von 1996).
- Rooden, Paul van (1996), ‘Nineteenth-Century Representations of Missionary Conversion and the Transformation of Western Christianity,’ in: Conversion to Modernities: The Globalization of Christianity, hrsg. v. Peter van der Veer, 65-87, New York and London: Routledge.
- Shiu, Henry, und Leah Stokes (2009), ‘Buddhist Animal Release Practices: Historic, Environmental, Public Health and Economic Concerns’, Contemporary Buddhism 9(2): 181-196.
- Snelling, John (1991), The Buddhist Handbook: A Complete Guide to Buddhist Schools, Teaching, Practice, and History, New York: Barnes & Noble.
- Snodgrass, Judith (2009), ‘Performing Buddhist Modernity: The Lumbini Festival, Tokyo 1925’, Journal of Religious History 33(2): 133-148.
- Veer, Peter van der (1996), ‘Introduction,’ in: Conversion to Modernities: The Globalization of Christianity, hrsg. v. Peter van der Veer, 1-21, New York and London: Routledge.
Dr. Martin Ramstedt
Martin Ramstedt, Dr., lehrt als Privatdozent an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und als Gastprofessor am International Institute for the Sociology of Law in Oñati, Spanien. Zudem ist er Mediator, Mindfulness-Communication-Trainer und Dharmalehrer. Er engagiert sich im interreligiösen Dialog, ist Ratsmitglied der Deutschen Buddhistischen Union und Delegierter von Shambhala Europa in der Europäischen Buddhistischen Union.