Nur Meditation?
Wenn Buddhismus auf Meditation reduziert wird, führt dies in eine spirituelle Sackgasse, argumentiert der britische Dharmalehrer Lama Jampa Thaye in seinem Beitrag.
Einer der am längsten anhaltenden Trends auf dem spirituellen Markt ist der Kult um die Meditation. Das hat für den Buddhismus wichtige Implikationen. Weltliche Achtsamkeit hat einen Platz in der Gesellschaft gefunden, aber in einem etwas anderen kulturellen und spirituellen Raum ist ein neuer Buddhismus entstanden.
Seine Anhängerinnen und Anhänger behaupten, dass die Früchte der buddhistischen Tradition allein durch die Sitzmeditation erworben werden können. Mit anderen Worten, zeitgenössische Praktizierende brauchen sich nicht mit dem Studium, ethischen Geboten, Ritualpraxis (außer der Meditation) oder dem Erlangen von Verdiensten zu beschäftigen.
Meditation, Ethik, Weisheit
Die Befürworterinnen und Befürworter des Trends „Just Sitting“ nehmen oft den äußeren Anschein traditioneller Systeme für sich in Anspruch, ob Theravada Vipassana, japanisches Zen oder tibetisches Dzogchen. Sie alle teilen die Auffassung, dass die Inhalte der Meditation so weit wie möglich nicht-konzeptuell sein müssten und dass alle anderen Aktivitäten weitgehend, wenn nicht sogar vollständig, ignoriert werden können.
Diese neuen Meditationsprogramme werden als buddhistisch bezeichnet, doch die Meditationsvorträge, die man dort hört, stehen im Widerspruch zum Dharma aller Zeiten der buddhistischen Geschichte. Laut der klarsten und häufig zitierten Definition ist die Meditation eine von drei Schulungen; die beiden anderen sind Ethik und Weisheit. Wie der große alte indische buddhistische Denker Nagarjuna in seinem Brief an einen Freund erklärte:
In überragender moralischer Disziplin, überragender Weisheit
Und überragender Kontemplation muss man sich ständig schulen.
Mehr als einhundertfünfzig Schulungen
Sind wahrhaftig in diesen drei enthalten.
Ohne die ethische Entwicklung, die bewirkt wird durch die ethische Schulung – Nagarjuna zufolge „die Grundlage aller Qualitäten“ –, ist Meditation eine spirituelle Sackgasse.
Wenn man den Status der Meditation im Vajrayana untersucht, sieht man ebenfalls, dass sie nicht als ein sich selbst genügendes Mittel der spirituellen Vollendung betrachtet wird. Sie steht an zweiter Stelle in einer Dreiheit von Sichtweise, Meditation und Handlung. Sichtweise bedeutet die richtige Anschauung der Realität, die der Vajrayana-Meister der Schülerin/dem Schüler vermittelt, und die Meditation dient dazu, den ersten Einblick in diese richtige Anschauung weiter zu entwickeln und zu stabilisieren. Daher kann man sich der spirituellen Vollendung nur durch Sichtweise und Meditation zusammen mit einem handelnden Ausprobieren nähern.
Wie Lama Karmapa Rangjung Dorje aus dem 14. Jahrhundert sagte:
Gewissheit in der Sichtweise ergibt sich, wenn man die Basis in Zweifel zieht. Der wesentliche Punkt der Meditation ist, dies ohne Ablenkung aufrechtzuerhalten. Die höchste Aktivität ist die Beherrschung dieser Meditation.
Zu welchem Zweck?
Um der Forderung nach einer ganz und gar nicht-konzeptuellen Form der Meditation zu entsprechen, haben buddhistische Reformer das pure Sitzen als Kern oder Gesamtheit des Buddhismus neu erfunden. Dies ist ein wichtiger Motor der modernen Umgestaltung des Dharma. Während das bloße Sitzen gewisse seelische Wirkungen hervorbringen kann, muss man dennoch fragen: Zu welchem Zweck? Ohne ethischen Imperativ und geleitet durch ungeprüfte Annahmen, wird Meditation zu einer rein internen mentalen Technologie. Mit anderen Worten, eine solche angeblich nicht-konzeptuelle Meditation wird bestenfalls eine neutrale Aktivität sein. Von den Lehren des Buddha enthoben, kann dies nicht zu dem besonderen Mitgefühl und der Weisheit führen, die er lehrte.
Wie der Nyingma-Meister Mipham Rinpoche erklärt:
Die meisten der Ruhe dienenden Meditationen ohne Analyse können höchstens ein Gefühl von Entspannung erzeugen. Aber aus dieser Meditation wird keine Gewissheit entstehen. Wenn Gewissheit, dieses eine Auge des Pfades der Befreiung, aufgegeben wird, können die Schleier nicht aufgelöst werden.
Weil sie diesen wichtigen Punkt nicht erkennen, überschätzen Anfängerinnen und Anfänger ihre Meditationserfahrungen häufig – gelegentlich mit katastrophalen Folgen. Erfahrungen von Nicht-Konzeptualität, Glückseligkeit oder Klarheit, die alle recht häufig, aber auch flüchtig sind, lassen manche Menschen meinen, sie seien erleuchtet.
Die Glücklichen entdecken später, dass sie sich selbst getäuscht haben. Die weniger Glücklichen, die vielleicht auch ehrgeiziger sind, machen einfach weiter, indem sie die Natur der Erleuchtung neu definieren, um auf diese Weise ihren Status zu erhalten. Der Begriff Erleuchtung bedeutet dann nichts weiter als eine vorübergehende Meditationserfahrung. Dies führt zu dem seltsamen Umstand, dass solche „erleuchteten“ Meditierenden dann doch immer noch Wesen sind, die mit störenden Emotionen und Ignoranz zu tun haben.
Im Ernst: Eine solche freischwebende Meditation kann unterwandert werden von allen möglichen politischen oder wirtschaftlichen Zielen ihrer Befürworter. Leicht absorbiert sie die Werte der unheilsamsten Elemente unserer Kultur. Schlimmer noch, viele Meditierende, die die Essenz des Dharma zu praktizieren meinen, bleiben völlig unwissend über die weltanschauliche Implikation ihrer Meditation. In unserer Gesellschaft ist dies wahrscheinlich ein rücksichtsloser Individualismus, der Markt und Staat entspricht.
Um das auszugleichen, verwurzelt sich die Meditation im Westen in einer Mischung aus Hedonismus und einer Politik der bloßen Gesten, die sich als Mitgefühl tarnen – ein „Mitgefühl“, das nicht über die eigenen Interessen hinausschauen kann. Das Ergebnis ist die gleiche vage Haltung, die die zeitgenössischen Kultur so dominiert.
Den konsumgetriebenen Lebensstil abfedern
Wenn die aktuellen Trends anhalten, wird Meditation zur reinen App für ein stressfreies Leben. Mit anderen Worten, sie wird einfach nur dazu da sein, den schädlichen, konsumgetriebenen Lebensstil abzufedern, der das Leben in wohlhabenden westlichen Ländern noch immer zu einem großen Teil charakterisiert. In einem solchen Szenario wäre die Meditation ein Mittel, um Täuschung zu stabilisieren.
Traurigerweise sind wir diesen Weg schon einmal gegangen. Diejenigen, die bewandert sind in der japanischen buddhistischen Geschichte, können hier das Beispiel der Unterwanderung der Zen-Meditation durch die Samurai anfführen und ihr schreckliches Wiederaufleben im japanischen Militarismus und Imperialismus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
Drei Schulungen greifen ineinander
Auf jeden Fall scheint es töricht zu leugnen, dass die Loslösung der Meditation von Ethik und Weisheit unerwünschte Folgen haben könnte. Angesichts der Tatsache, dass viele von uns wenig Bildung im Dharma haben, ist das Potenzial für die Veruntreuung und Entgleisung des Buddhismus enorm.
Eines unserer Hauptprobleme ist die Schwierigkeit, Menschen davon zu überzeugen, die Schulung in buddhistischer Ethik ernst zu nehmen. Da sie so wenig über den Dharma wissen, haben viele keine Weltanschauung, die ein solches Training unterstützt.
Eine mögliche Antwort auf dieses Dilemma besteht darin, zuerst nur Meditation zu lehren, um einer offenbar sehr populären Nachfrage zu entsprechen – und erst später die ethischen und philosophischen Dimensionen des Dharma einzuführen. Aber wenn es keine rasche und verbindliche Verknüpfung zu den beiden anderen Schulungen gibt, könnte diese Strategie eher zu negativen Ergebnissen führen als zu echtem spirituellen Fortschritt.
Vielleicht ist die beste Antwort auf unser Dilemma, alle drei Schulungen mehr oder weniger gleichzeitig zu unterrichten, während wir auf die Logik achten, die hinter ihrer Stufenfolge steht. Der Fortschritt einer Schülerin, eines Schülers in einer Disziplin ermöglicht Fortschritt in den beiden anderen. Wenn die Neuordnung unseres Lebens, die durch moralische Schulung zustande kommt, eine gute Umgebung für die Meditation schafft, wird die durch Meditation erzeugte Stille des Geistes es möglich machen, die Realität zu untersuchen, was ein Kennzeichen der Weisheit ist.
(Übersetzung: Susanne Billig)
Lama Jampa Thaye
Lama Jampa Thaye ist Meditationslehrender, -lernender und Autor aus Großbritannien.