Hoffnung? – Weise Hoffnung!

Ein Beitrag von Joan Halifax übersetzt von Susanne Szabadkai veröffentlicht in der Ausgabe 2021/2 Freude unter der Rubrik Freude.

Roshi Joan Halifax reflektiert über die Idee der „weisen Hoffnung“ und warum wir uns dafür öffnen sollten. Einen guten Teil meines Lebens habe ich in Situationen verbracht, die man für hoffnungslos halten könnte: als Antikriegsaktivistin, als Bürgerrechtlerin, als Betreuerin von Sterbenden.

Waldweg, Foto: Charlotte Descamps auf unsplash

Ich habe auch ehrenamtlich mit Insass:innen von Todeszellen gearbeitet, in medizinischen Kliniken in abgelegenen Gebieten des Himalayas, wo das Leben hart ist, das Essen knapp und der Zugang zu medizinischer Versorgung gleich null. Ich habe in Kathmandu mit Rohingya-Flüchtlingen gearbeitet, die keine anerkannte Staatsbürgerschaft haben – nirgendwo auf dieser Welt! Sie könnten fragen, warum die Mühe? Warum Hoffnung auf ein Ende des Krieges oder der Ungerechtigkeit haben? Warum Hoffnung haben für Menschen, die sterben, oder für Flüchtlinge, die vor Völkermord fliehen, oder auf Lösungen für den Klimawandel?

Der Begriff Hoffnung hat mich schon oft beunruhigt. Aber in letzter Zeit, zum Teil aufgrund der Arbeit der Sozialkritikerin Rebecca Solnit und ihres kraftvollen Buches „Hope in the Dark“ (Hoffnung in der Dunkelheit), öffne ich mich für eine andere Sichtweise der Hoffnung – ich nenne sie „weise Hoffnung“.

Als Buddhistinnen und Buddhisten wissen wir, dass gewöhnliche Hoffnung auf Verlangen beruht, auf dem Wunsch nach einem Ergebnis, das durchaus anders sein könnte als das, was dann tatsächlich eintreten wird. Das nicht zu erreichen, was wir erhofft haben, wird normalerweise als eine Art Unglück erlebt. Jemand, die oder der auf diese Weise hofft, hat eine Erwartung, die immer im Hintergrund schwebt, den Schatten der Angst, dass die eigenen Wünsche nicht erfüllt werden. Diese gewöhnliche Hoffnung ist ein subtiler Ausdruck von Angst und eine Form des Leidens.

“Weise Hoffnung zu haben bedeutet nicht, diese Realität zu leugnen. Es bedeutet, sich ihr zu stellen.”

Weise Hoffnung bedeutet nicht, die Dinge unrealistisch zu sehen, sondern die Dinge so zu sehen, wie sie sind, einschließlich der Wahrheit des Leidens – sowohl seiner Existenz als auch unserer Fähigkeit, es zu transformieren. Erst wenn wir erkennen, dass wir nicht wissen, was passieren wird, dann wird diese Art von Hoffnung lebendig; in dieser Weite der Ungewissheit liegt genau der Raum, den wir zum Handeln brauchen.

Hope – Hoffnung, Foto: Mick Haupt auf unsplash

Viel zu oft werden wir von dem Glauben gelähmt, dass es nichts zu hoffen gibt, dass unsere Krebsdiagnose eine Einbahnstraße ohne Ausweg ist, dass unsere politische Situation nicht mehr zu reparieren ist, dass es keinen Ausweg aus unserer Klimakrise gibt. Es ist dann leicht, zu denken, dass nichts mehr Sinn hat, oder dass wir keine Macht haben und es somit keinen Grund gibt, zu handeln.

Ich sage oft, dass nur zwei Worte über dem Eingangstor unseres Tempels in Santa Fe stehen sollten: Show Up – Mach Mit! Ja, das Leiden ist allgegenwärtig. Wir können es nicht leugnen. Es gibt heute 65,3 Millionen Flüchtlinge auf der Welt, nur elf Länder sind frei von Konflikten und der Klimawandel verwandelt Wälder in Wüsten. Wirtschaftliche Ungerechtigkeit treibt die Menschen in immer größere Armut. Rassismus und Sexismus sind nach wie vor weit verbreitet.  

Aber verstehen Sie, weise Hoffnung bedeutet nicht, diese Realitäten zu leugnen. Es bedeutet, sich ihnen zu stellen, sich mit ihnen auseinanderzusetzen und sich daran zu erinnern, was es sonst noch alles gibt: die Veränderungen in unseren Werten, die uns das Leiden erkennen lassen und uns dazu bewegen, es umgehend anzugehen. „Finde keinen Fehler in der Gegenwart“, sagt Zen-Meister Keizan. Er lädt uns dazu ein, sie zu sehen, und nicht, vor ihr zu fliehen! 

Der tschechische Staatsmann Václav Havel sagte: „Hoffnung ist definitiv nicht dasselbe wie Optimismus. Es ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgehen wird, sondern die Gewissheit, dass etwas einen Sinn hat, unabhängig davon, wie es ausgeht.“ Wir können es nicht wissen, aber wir können darauf vertrauen, dass es Bewegung geben wird, dass es Veränderungen geben wird. Und dass wir ein Teil davon sein werden. Wir bewegen uns vorwärts durch unseren Tag und gehen wählen, oder sitzen am Bett eines sterbenden Patienten, oder unterrichten die dritte Klasse.

Als Buddhistinnen und Buddhisten teilen wir das gemeinsame Bestreben, aus dem Leiden zu erwachen; für viele von uns ist dieses Bestreben kein „kleines Selbstverbesserungsprogramm“. Die Bodhisattva-Gelübde, die das Herzstück der Mahayana-Tradition bilden, sind schon ein kraftvoller Ausdruck radikaler und weiser Hoffnung, einer bedingungslosen Hoffnung, die frei von Verlangen ist.

Dostojewski sagte: „Ohne Hoffnung zu leben, heißt aufhören zu leben.“ Seine Worte erinnern uns daran, dass Apathie kein erleuchteter Weg ist. Wir sind aufgerufen, mit der Möglichkeit zu leben, wohl wissend, dass alles vergänglich ist. Warum also nicht einfach mitmachen?

Der Beitrag wurde ursprünglich veröffentlicht auf:
lionsroar.com/yes-we-can-have-hope

Joan Halifax

Joan Jiko Halifax ist eine US-amerikanische Zen- Buddhistin, Anthropologin, Ökologin, Bürgerrechtlerin, Hospizbetreuerin und Autorin mehrerer Bücher über Buddhismus und Spiritualität. Derzeit ist sie Äbtissin und leitende Dharmalehrerin des Upaya Zen Center in Santa Fe, New Mexico, einer Zen-Peacemaker- Gemeinschaft.

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