„Honen World Meeting“

3. November 2023

Anlässlich der 850-Jahr-Feier der Jôdo Shû in Kyôto

Die japanische Jôdo Shû (deutsch „Schule des Reinen Landes“) feiert im nächsten Jahr ihr 850-jähriges Jubiläum seit ihrer Gründung. Aus diesem Anlass fand am 9. und 10. Oktober 2023 zum ersten Mal in der Geschichte der Jôdo Shû ein internationales Treffen der weltweit vertretenen ausländischen Gemeinden statt. Ort der Zusammenkunft war der Chion-in, der Haupttempel der Jôdo Shû in Kyôto, Japan. Zu diesem Austausch trafen sich über 100 Ordinierte und Laien-Mitglieder der Jôdo Shû aus Hawaii, Nordamerika, Brasilien, Australien, Europa und Japan. Aus Europa nahm eine deutsch-französische Delegation von Mitgliedern des Jôdo Shû European Buddhism Centers in Acon/Frankreich, sowie der Jodo-Buddhistischen Gemeinschaft aus Deutschland teil.

Zu Beginn und zum Ende des Meetings wurde auch der Opfer der Waldbrände auf Hawaii im August 2023 gedacht. Der Generalsekretär der Jodo Shu, Kokyo Kawanaka überreichte Kosen Ishikawa, dem Oberpriester der Jodo Shu Hawaii, eine Spende über 10 000 US-Dollar zum Wiederaufbau des dortigen Tempels.


Führung durch das 400 Jahre alte Eingangstor „Sanmon“

Das Treffen begann am Montag, dem 9. Oktober, vormittags mit einer Führung durch den Haupttempel Chion-in. Unter anderem wurde den Teilnehmern ausnahmsweise gestattet, das Innere des Großen Eingangstors „Sanmon“ zu besichtigen, wo u.a. jahrhundertealte Statuen von Shakyamuni Buddha, seinen Schülern und seinem Sohn zu sehen sind. 
Das Sanmon ist das größte Tempeltor Japans und hat seit seiner Errichtung vor 400 Jahren alle Erdbeben und anderen Erschütterungen überstanden. „Sanmon“ bedeutet wörtlich „Das Tor der Drei“ und bezieht sich auf die drei Geistesverschmutzungen Gier, Hass und Verblendung (jap. „ton-jin-chi“), an die man beim Durchschreiten des Tores erinnert werden soll.

Sanmon, das Eingangstor zum Chion-in

Weiter ging es zur Tempelglocke, die eine der drei größten Glocken in Japan darstellt und jeden Tag angeschlagen wird, vor allem jedoch in der Sylvesternacht zum „Joya no kane“, dem 108-maligen Glockenläuten um Mitternacht.

Mitglieder der europäischen Delegation unter der großen Tempelglocke

Berührende Hôyô mit Nenbutsu-Rezitation

Um 10 Uhr begann dann eine äußerst selten zu sehende Form der Hôyô (Dharma-Zeremonie) im Mie-dô, der großen Halle des Chion-in. Auch traditionelle Gagaku-Musik und Bugaku-Tänze aus dem 8. Jahrhundert waren Bestandteil der Zeremonie, ebenso wie der alte „Shômyô-Gesang“ der Jôdo Shû-Priester. 

 

Die mehrstündige Hôyô wurde vor allem den ausländischen Jôdo Shû – Sanghas, aber speziell den Opfern der Waldbrände auf der hawaiianischen Insel Maui, bei denen der dortige Jôdo Shû – Tempel vollständig von den Flammen zerstört worden war, gewidmet.
Hauptteil der Zeremonie bildete die gemeinsame Rezitation des Nenbutsu „Namu Amida Butsu“ („ich nehme Zuflucht zu Amida Buddha“).

Das erste „Hônen World Meeting 850“ der Geschichte

Am Dienstag, dem 10. Oktober, versammelten sich alle Teilnehmer im Hauptquartier der Jôdo Shû in der Nähe des Chion-in zum „Hônen World Meeting 850“. Hônen Daishi oder auch Hônen Shônin (1133-1212) war der Begründer der Jôdo Shû und für den japanischen Buddhismus wohl von ähnlicher Bedeutung wie Martin Luther für das Christentum.

Hônen Shônin
(1133-1212)

Kurze Vorstellung der Jôdo Shû

Die Jôdo S, von Hônen vor 850 Jahren ins Leben gerufen, beruft sich auf die ursprüngliche Lehre Hônens. Die Jôdo Shû ist in Japan von der Zahl ihrer Mitglieder her mit mehreren Millionen Anhängern, ca. 7000 Tempeln und ca. 10.000 Nonnen und Mönchen eine der großen buddhistischen Schulen. Sie hat außerhalb Japans die größten Gemeinden auf Hawaii und in Brasilien – vorwiegend die Nachkommen ausgewanderter Japaner. Die hawaiianische Sangha feiert 2024 ihr 140jähriges Bestehen. Im Gegensatz zum im Westen allgemein bekannten Buddhismus sind beispielsweise Meditations- und Konzentrationsübungen nicht Bestandteil der Glaubenspraxis, sondern fast ausschließlich die einfache Rezitation des „Nenbutsu“-Rezitation, die Zufluchtnahme zu Amida Buddha in der ausgesprochenen Formel „Namu Amida Butsu“.

Die Jôdo Shû war die erste eigenständige buddhistische Schule, die sich in ihrer Praxis ausschließlich auf die Nenbutsu-Rezitation und das Reine Land Amida Buddhas beruft. Vorher war das Nenbutsu sowohl in China als auch in Japan lediglich ein Bestandteil der täglichen Sûtren-Rezitation und eine von vielen Möglichkeiten der Praxis. Hônen war der erste, der betont hat, dass Amida Buddha in seinen 48 Gelübden ausdrücklich das Nenbutsu als einzige Praxis „gewählt“ hat, die zur Befreiung aller Menschen von Leiden führen kann.

Jôdo-Buddhisten sehen den Buddhismus daher insgesamt als universell gemeinte Lehre zur Befreiung für alle Menschen, unabhängig von Alter, Geschlecht, Abstammung, Nationalität, Fähigkeiten, etc.. Von diesem Standpunkt her würde der Buddhismus seinen wahren Sinn verlieren, wenn Menschen davon ausgeschlossen werden, nur weil sie nicht die nötigen Fähigkeiten oder Voraussetzungen (etwa zur Meditation oder zur Einhaltung der Ordensregeln) mitbringen. Hier erschließt sich die tiefe Bedeutung des Jôdo-Buddhismus als universeller Weg zur Befreiung von Leid, Gier, Hass etc., und als ebenso „echter“ Buddhismus neben dem respektvoll so genannten „heiligen Weg“ der Meditationsübungen und der Befolgung strenger Ordensregeln. Die „Gleichheit“ aller Menschen, die den Buddhismus des Reinen Landes auszeichnet, meint allerdings „Gleichheit“ im Sinne von „nicht bewertend“, d.h. alle Menschen werden, so wie sie sind, gleich behandelt in dem Sinne, dass ihnen keine bestimmte Bewertung zugewiesen wird. Sie müssen nur den Namen Amida Buddhas anrufen.

Die Jôdo Shû beruft sich auf drei buddhistische Schriften als Grundlage ihrer Lehre: das „Sûtra des Unermesslichen Lebens“ (jap. „muryôjukyô), das „Sûtra von der Visualisierung des Unermesslichen Lebens“ (jap. „kanmuryôjukyô) sowie das Amida-Sûtra (jap. „amidakyô“), welches das kürzeste von den dreien ist. Alle drei Sûtren handeln als Lehrreden Buddha Shakyamunis von dem Buddha Amida und seinem Buddhaland, dem „Reinen Land“.

Hônens epochale Neuerungen im japanischen Buddhismus

Hônen lebte in einer Übergangszeit von der durch Korruption und Intrigen zum Niedergang verurteilten Herrschaft des Hofadels der Heian-Zeit (794-1185) zur Militärherrschaft der Kriegerklasse in der beginnenden Kamakura-Zeit (1185-1333). Während der Buddhismus der Heian-Zeit sich dem einheimischen Shintoismus in seiner fast ausschließlichen Diesseitsorientierung angepasst hatte, die vor allem ein Bedürfnis nach magischen Ritualen gegen höchst weltliche Leiden wie Krankheiten und ungünstiges Wetter mit sich brachte, änderte sich dies in der Kamakura-Zeit. Der Amida-Buddhismus des Reinen Landes, der aus China – wo er in der Tang-Dynastie sehr verbreitet war – nach Japan kam und nach dem 10. Jahrhundert innerhalb der japanischen Tendai-Schule an Beliebtheit gewann, existierte bis dahin als eine Möglichkeit von vielen, die Erlösung im Jenseits zu erlangen. Die Hofadeligen verließen sich aber lieber weithin auf das Bauen von schönen Tempeln und glaubten eher an eine Realisierung des Reinen Landes in der diesseitigen Welt. 

Das einfache Volk auf der anderen Seite konnte es sich nicht leisten, Tempel für seine Erlösung zu errichten oder den strengen Regeln der damals etablierten buddhistischen Schulen zu folgen, um aus eigener Kraft noch in diesem Leben die Befreiung und Buddhaschaft zu erlangen. In einer Zeit des Zerfalls der alten Herrschaftsordnung, mit Hungersnöten, Naturkatastrophen und kriegerischen Auseinandersetzungen bot Hônen durch seine neue Lehre vom „ausschließlichen Nenbutsu“, der vokalen Rezitation und Wiederholung der Anrufungsformel „Namu Amida Butsu“ („ich nehme Zuflucht zu Amida Buddha“) als einzig notwendige Praxis und „einfachen“ Weg zur Erlösung eine völlig neue Ausrichtung an. Shuichi Kato formuliert es so: „Auf jeden Fall betonte der sogenannte Kamakura-Buddhismus in scharfem Gegensatz zum diesseitigen, schamanistischen Buddhismus der Heian-Zeit den jenseitigen, transzendenten Aspekt. Seine epochale Bedeutung bestand darin, über die autochtone Weltanschauung, zumal über deren diesseitigen, alltäglichen Realismus, gesiegt zu haben. Zum ersten und vielleicht auch zum letzten Mal in der japanischen Geschichte wurden im 13. Jahrhundert Werte, die die Alltagswirklichkeit transzendierten, zum Kern der geistigen Strömung der Zeit … Er glich einem Keil, der tief in das jahrhundertelange Kontinuum der japanischen autochtonen Weltanschauung hineingetrieben wurde“.  

Als Wegbereiter dieser Lehre muss Hônen also wirklich ein besonderer Mensch gewesen sein, der in seinem Stellenwert für die Wandlung der religiösen Strukturen Japans ähnlich wichtig war wie später Martin Luther für Europa.  Shuichi Kato spricht sogar von der „buddhistischen „Reformation““. Wenn auch, wie etwa Martin Repp in seiner Studie über Hônens religiöses Denken feststellt, abgesehen von Kultur und Epoche einige Unterschiede im Wirken und der Wirkung beider Geistlicher bestehen – so hat beispielsweise Hônen selbst aufgrund seiner Abneigung gegenüber Institutionen und Autoritäten im Gegensatz zu Luther nicht aktiv dazu beigetragen, dass aus seiner Lehre eine anerkannte institutionelle Organisation hervorgeht – so kommt Repp doch zu dem Schluss, dass sowohl Hônen als auch Luther „in analoger Weise neue Paradigmen religiöser Lebensbewältigung, Hônen für den japanischen Buddhismus, und Luther für das europäische Christentum“ schufen.
In jedem Fall beeindruckt auch heute noch das kompromisslose Mitgefühl Hônens, unbedingt einen Weg zur Befreiung für alle Menschen zu finden. Bis heute bleibt Hônen der einzige unter den buddhistischen Lehrmeistern Japans, der im Gegensatz etwa zu Dengyô Daishi (Saichô), Kôbô Daishi (Kûkai), Dôgen, Nichiren oder auch Hônens Schüler Shinran, den kaiserlichen Titel „Daishi“ („Großer Meister“) nicht nur einmal, sondern ganze acht Mal posthum verliehen bekam – zuletzt im Jahr 2011 vom damaligen Kaiser Heisei Tennô.

Mitsutaka Kôsô, Oberpriester des Jôdo Shû European Buddhism Centers, bei der Vorstellung der europäischen Jôdo Shû – Sangha

„Wenn die Stimmen im Einklang sind, sind auch die Herzen im Einklang“

Auf den egalitären Charakter von Hônens Lehre, gemäß der alle Menschen durch die Rezitation des „Namu Amida Butsu“ auf gleiche Weise durch „ôjô“, die Geburt hinüber ins Reine Buddhaland Amida Buddhas die Erlösung aus dem leidvollen Kreislauf der Wiedergeburten erlangen können, wies auch Jogen Fujimoto, der Oberpriester des Jôdo Shû -Tempels Konkai-Kômyôji in Kyôto, in seinem Vortrag auf dem World Meeting hin. Dies fasste er in dem Satz zusammen: „Wenn die Stimmen im Einklang sind, sind auch die Herzen im Einklang“.

Jogen Fujimoto bei seinem Dharma-Vortrag

Vor Fujimotos Vortrag hatten sich am Vormittag die verschiedenen Jôdo Shû – Sanghas aus Hawaii, Brasilien, Kalifornien, Australien und Europa jeweils in 20-minütigen Vorträgen einander vorgestellt. Nach dem Mittagessen gab es noch ein kurzes Kulturprogramm mit japanischen und hawaiianischen Tänzen, bevor man sich am Nachmittag in den freien Austausch miteinander begeben konnte. 

In Zukunft sollen weitere internationale Zusammenkünfte stattfinden, kündigte Shunmyu Sugiyama, der Vorsitzende der Vereinigung zur Verbreitung der Jôdo Shû – Lehre, in seinen Grußworten an. 

Zu Beginn und zum Ende des Meetings wurde noch einmal gemeinsam der Opfer der Waldbrände auf Maui/Hawaii gedacht, und vom Generalsekretär der Jôdo Shû, Kokyo Kawanaka, eine Spende über 10.000 USD zum Wiederaufbau des dortigen Tempels an den Oberpriester der Jôdo Shû Hawaii, Kosen Ishikawa, überreicht.

Übergabe der Spende von Generalsekretär Kokyu Kawanaka (links) an Kôsen Ishikawa, Oberpriester der Jôdo Shû Hawaii (rechts)


Im Anschluss an das Honen World Meeting fuhr die europäische Jôdo Shû Sangha auf einer Tagestour zum Tempel Seiryûji im abgelegenen Kurodani-Tal nördlich von Kyôto. Der Tempel liegt mitten im Bergwald und ist von der Hauptstraße aus über eine etwa 30-minütige Wanderung zu erreichen. Hier lebte Hônen 25 Jahre lang und studierte die buddhistischen Schriften. Der ansässige Jôdo Shû – Priester öffnete freundlicherweise der Reisegruppe das Tempelinnere, um hier das Nenbutsu, die Anrufung „Namu Amida Butsu“, gemeinsam zu praktizieren.

Im Tempel Seiryûji 

In Europa wurde die erste Niederlassung der Jodo Shu vor 14 Jahren in der Nähe von Paris eröffnet, das „Jodo Shu European Buddhism Center“, und 2020 gründete sich die erste deutsche Praxisgruppe bei Bonn, die „Jôdo-Buddhistische Gemeinschaft“.

Frank Kônen Büttgen

Weitere Informationen zur deutschsprachigen Sangha:
www.jodobuddhismus.org.

Literaturangaben:

Kato, Shuichi: „Die japanische Literatur“, Scherz Verlag 1990.

Repp, Martin: „Hônens religiöses Denken. Eine Untersuchung zu Strukturen religiöser Erneuerung.“, Harrassowitz Wiesbaden 2005.

Spendenmöglichkeit

Wer einen Beitrag zum Wiederaufbau des Tempels auf Hawaii leisten möchte, findet hier eine Möglichkeit: https://www.gofundme.com/f/lahaina-jodo-mission