Wir sind wie Bruder und Schwester

Ein Interview mit Sylvia Wetzel, Karl Beer geführt von Susanne Billig veröffentlicht in der Ausgabe 2019/2 Freundschaft unter der Rubrik Freundschaft. (Leseprobe)

Die Autorin und Dharmalehrerin Sylvia Wetzel und der Informatikingenieur Karl Beer sind seit mehreren Jahrzehnten miteinander befreundet und empfinden sich als spirituelle Geschwister. In diesem Interview erzählen sie, wie sie sich begegneten, was ihre Verbindung über die Jahre hinweg vertiefte und wie sie sich ihre Zukunft vorstellen. Eines fällt auf: Sie lachen miteinander – laut und gern und viel.

BUDDHISMUS aktuell: Wann und wie habt ihr beiden euch kennengelernt?

Sylvia Wetzel: Wir kennen uns schon fast vierzig Jahre. Damals hatte ich rund zwei Jahre in Nepal und Indien gelebt. 1979 kehrte ich nach Europa zurück und nahm Weihnachten an einem Retreat im italienischen Istitiuto Lama Tsonghkapa teil, ein buddhistisches Zen-trum, das 1976 von Lama Yeshe gegründet worden war. Auf dem Rückweg habe ich in München meinen Zug verpasst, stieg in den nächsten Zug und setzte mich dort in den Speisewagen an einen kleinen Zweiertisch.

Karl Beer: Und ich saß einen Tisch weiter, an einem Vierertisch. Doch als eine Familie einstieg, wollte ich ihr Platz machen, also stand ich auf und fragte Sylvia, ob ich bei ihr sitzen dürfe.

Sylvia: Und dann haben wir bestimmt eine Stunde völlig meditativ geschwiegen. Doch als er bezahlte, sah ich eine Murmel in seinem Geldbeutel – da musste ich lachen und wir kamen sofort ins Gespräch.

Karl: Seitdem sind wir befreundet! Ich muss noch hinzufügen: Ich hatte an dem Tag auch meinen Zug verpasst, sogar mehrmals. Erst war ich aus Dusseligkeit in den falschen gestiegen, dann aus Dusseligkeit in einen zweiten falschen, dann hab ich in Nürnberg den dritten Zug versäumt. Ich hab wohl ge- träumt – und mein Traum war, dass ich diese Frau kennenlerne! (Beide lachen)

Wie habt ihr nach der Zugfahrt den Kontakt gehalten?

Sylvia: In Berlin am Bahnhof Zoo haben wir unsere Adressen ausgetauscht und uns dann regelmäßig getroffen. Wir sind viel in Berlin-Tegel, wo ich damals wohnte, spazieren gegangen. Einmal habe ich Karl in seiner Wohngemeinschaft in Kreuzberg besucht und gesagt, da gehe ich nie wieder hin – es war mir viel zu unaufgeräumt!

Karl: Und dann habe ich deine allererste Meditationsgruppe besucht. In einem Zentrum der Kagyü-Linie.

Sylvia: Zu der gehörte ich nicht, aber ich durfte dort meine Gruppe anbieten und sogar ein Bild von Lama Yeshe aufhängen. Du kamst dazu – und hast auch die Badewanne dort benutzt, weißt du noch?

Karl: Die Zentrumsbadewanne!

Warum hat sich eure Begegnung so schnell und so eindeutig nach spiritueller Freundschaft angefühlt?

Karl: Als wir im Zug saßen, kamen wir sehr schnell auf das Thema Meditation, Sylvia erzählte von ihrem Kurs in dem italienischen Zentrum. Das sprach mich sehr an, denn bislang kannte ich niemanden persönlich, der Erfahrungen mit Meditation oder einen Bezug zu einem buddhistischen Lehrer oder sogar eine Übertragung erhalten hatte. Dieses gemeinsame Interesse war ein Faden, der unsere Verbindung knüpfte.

Sylvia: Bislang war deine Religion der Marxismus gewesen.

Karl: Ja, der hat mich sehr interessiert. Meine richtig kommunistische Phase klang damals schon ab. Ich erinnere mich noch, du hast sehr aufmerksam zugehört, als wir in diesem Zug saßen, als wärst du dir nicht so ganz sicher, was redet der Mensch da – aber du warst sehr aufmerksam. Ich habe von dem Philosophen Ernst Bloch geschwärmt. An ihm interessierte mich, dass er über das Christentum sprach, auch über den Theologen und Bauernkriegsrevolutionär Thomas Müntzer. Innerlich tastete ich mich damals vor und war davon fasziniert, welche Verbindungen es geben kann zwischen Politik und Spiritualität.

Auch du bist politisch sehr aufgeschlossen, Sylvia. Gehörte das von Anfang zu dem Draht zwischen dir und Karl?

Sylvia: Ich hatte damals schon das Anliegen, das politische Interesse und den Buddhismus miteinander zu verbinden. Tatsächlich waren Karl und ich uns sofort einig: Beide Dimensionen gehören zusammen. Obwohl ich Ernst Bloch nie leiden konnte, aber das machte nichts, das ist uns ab und zu passiert. Wir fanden nicht immer die gleichen Philosophen und Positionen gut, aber wir konnten darüber reden. Es gab ganz viel Raum für Unterschiedlichkeit. Das mochte ich einfach.

Karl: Wir waren ja auch noch jung und ich sprach halt über die Leute, deren Bücher ich kannte. Sylvia hat dann ganz viele neue Inhalte eingebracht in unsere Freundschaft, viel Spiritualität, aber auch gesellschaftliche Themen, philosophische Themen, psychologische Themen. Ganz früh waren wir beide begeistert von dem deutsch-israelischen Psychologen und Psychoanalytiker Erich Neumann. Ich blieb ein Fan von Erich Fromm …

Sylvia: … und ich las gern C. G. Jung und den Kulturphilosophen Jean Gebser. Den haben wir uns dann jahrelang gegenseitig geschenkt – ich schenkte ihm einen Band der gesammelten Werke und er schenkte mir einen.

Karl: Ich weiß nicht, wie viele Bücher wir zusammen gelesen haben. Da war Sylvias Begeisterung für Hannah Arendt, die führte zu Karl Jaspers, zu Gianni Vattimo …

Sylvia: Genau, die Italiener!

Karl: Ich muss schon sagen, Sylvia ist eine größere Finderin als ich.

Sylvia: René Girard, der französische Ethnologe und Philosoph …

Karl: Außerdem war ich auch katholisch und habe, genau wie du, einen positiven Bezug zum Christentum.

Sylvia: Das spielt auch eine große Rolle. Manche meiner Freundinnen und Freunde aus alter Zeit, die ich auch sehr mag, haben so eine alte linke Abwehr gegen das Christentum – bei dir ist das anders. Wir können auch mal zusammen in eine Kirche gehen und über die Bibel sprechen und uns über Parallelen zum Buddhismus freuen.

Karl: Außerdem kommen wir beide aus Süddeutschland, du aus Baden und ich bin Schwabe.

Sylvia: Und wir stammen beide aus einfachen Verhältnissen.

ENDE DER LESEPROBE

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Sylvia Wetzel

Sylvia Wetzel befasst sich seit 1968 mit psychologischen und politischen Wegen zur Befreiung und seit 1977 mit dem Buddhismus. Sie unterrichtet seit 1986 Entspannung, Meditation und Buddhismus im deutschsprachigen Raum und in Spanien. Ihr besonderes Interesse gilt der Reflexion von kulturellen Bedingungen und Geschlechterrollen. Sie ist Autorin zahlreicher Bücher. Sylvia Wetzel ist auch Ehrenrätin der Deutschen Buddhistischen Union, in deren Rat sie 15 Jahre aktiv mitgearbeitet hat, davon 9 Jahre im Vorstand. Sie ist Mitbegründerin und war zwölf Jahre Redakteurin der Zeitschrift „Lotusblätter“, die später in BUDDHISMUS aktuell umbenannt wurde.

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