Wer zu uns kommt, soll sich frei fühlen

Ein Interview mit Freier Buddhismus Essen geführt von Susanne Billig veröffentlicht in der Ausgabe 2022/2 Nahrung unter der Rubrik Nahrung. (Leseprobe)

Nicht traditionsgebundene und säkulare Formen des Buddhismus sind längst auch in den deutschsprachigen Ländern angekommen. „Freier Buddhismus“ in Essen ist eine sehr aktive Gemeinschaft, die sich allerdings nicht ausdrücklich als säkular definiert. „Manche bei uns sind säkular, andere nicht“, heißt es hier.

In einer ruhigen Wohnstraße der Stadt Essen im Ruhrgebiet liegt das Zentrum der Gemeinschaft Freier Buddhismus – es ist von außen kaum als buddhistischer Treffpunkt zu erkennen. Kein prächtiger Schmuck, keine auffällige Buddhastatue im Eingang. So weist schon der äußere Eindruck darauf hin, dass es um buddhistische Praxis im Einklang mit der Gesellschaft hier und heute gehen soll.

Initiator des Zentrums ist der Managementtrainer und Meditationslehrer Thomas Hamann. Er habe den Freie Buddhismus im Jahr 2011 ins Leben gerufen, weil er in einer Gruppe praktizieren wollte, die sich von unterschiedlichen Traditionen inspirieren lässt. Denn viele Menschen würden gar nicht die gesamte Bandbreite des Buddhismus kennenlernen. „Wir legen Wert darauf, dass unsere Besucherinnen und Besucher einen guten Überblick über die verschiedenen buddhistischen Traditionen und Methoden gewinnen. Auf dieser Basis können sie sich dann entscheiden, was sie vertiefen wollen“, betont er.

Zu den Angeboten des Zentrums zählen buddhistische Vorträge, wöchentliche offene Meditationsabende mit anschließendem thematischen Austausch und ein Treffen für junge Meditierende. Es gibt Einführungskurse in den Buddhismus, Studiengruppen, ein anspruchsvolles Grundstudium des Buddhismus, gelegentliche Meditationswochen und Veranstaltungen mit Dharmalehrer:innen aus verschiedenen buddhistischen Traditionen. Eingeladen sind auch Menschen, die sich nicht ausdrücklich als Buddhistinnen und Buddhisten verstehen.

Viele geistige Einflüsse

Thematisch setzt die als eingetragener Verein organisierte Gemeinschaft keine engen Grenzen. „Wir sind interessiert an Einflüssen aus oder Auseinandersetzung mit anderen spirituellen oder geistigen Traditionen wie der Neurobiologie, der Psychologie, dem Hinduismus, Taoismus oder Christentum. Wer zu uns kommt, soll sich frei fühlen, seine eigene Einstellung zum Buddhismus und anderen Geistestraditionen zu entwickeln.“

Dass es bei einem solchen Angebot die Gefahr der Oberflächlichkeit gibt, ohne mit einer Methode intensiv in die Tiefe zu gehen, kann Thomas Hamann nicht erkennen. „Das bleibt allen selbst überlassen. Wir bieten Meditations-Retreats und Studiengruppen an, die sich intensiv mit bestimmten Aspekten der buddhistischen Lehre beschäftigen. Außerdem geben wir Empfehlungen für Retreats bei besonders qualifizierten Lehrerinnen und Lehrern unterschiedlicher Traditionen. Ich würde mich auch darüber freuen, wenn jemand sich selbständig intensiv zum Beispiel mit einer Meditationsmethode beschäftigt und uns dann erzählt, wie sie gewirkt hat.“

„Buddha hat gesagt, wir sollen prüfen“

Diese offene Atmosphäre wird von denen, die regelmäßig ins Zentrum kommen, sehr geschätzt – aus je persönlichen Gründen. Der Arzt Gert, 63 Jahre alt, ist schon von Beginn an dabei. Als Angehöriger der späten Nachkriegsgeneration habe er das Glück gehabt, ohne Zwang erzogen worden zu sein. „Also nichts zu akzeptieren, ohne es hinterfragt zu haben, und alles vor einem ethischen Hintergrund zu beleuchten. Für mich ist es wichtig, dass Dinge nachvollziehbar und überprüfbar sind.“ Jeder Mensch müsse seinen persönlichen Zugang zum Buddhismus und zum Dharma finden können, ist er überzeugt. „Buddha hat uns aufgerufen, einen eigenen buddhistischen Weg zu finden. Wir sollen Lehrer und Lehren prüfen und dem folgen, was heilsam ist und uns in unserer spirituellen Verwirklichung weiterhilft.“

Was aber ist mit dem Bedürfnis nach Hingabe und Geborgenheit in Ritualen oder einem tradierten System? „Das können wir nicht erfüllen“, erklärt Gert realistisch – doch das sei auch kein Problem. „Wir haben alle unterschiedliche Erfahrung gemacht und eigene Bedürfnisse, was unsere spirituelle Entwicklung angeht. Vielleicht ist unsere Erkenntnis umso tiefer, je kritischer wir uns mit der Materie beschäftigen.“

Als Abgrenzung von traditionsgebundenen Formen des Buddhismus empfindet Gert seinen Zugang nicht, im Gegenteil: „Ich habe den Wunsch, dass alle Menschen, die sich Buddhistinnen und Buddhisten nennen, sich austauschen und respektieren und sich verbunden fühlen, so wie es das gemeinsame buddhistische Bekenntnis der DBU formuliert.“

Auch der 57-jährige Betriebswirt Lothar war von Anfang mit dabei. Ihm liegt vor allem an der thematischen Vielfalt der Angebote. „Philosophie, Medizin, Neurologie sind einbezogen. Dazu kommen Vorträge interessanter Gäste. Bei mir ist nie der Eindruck entstanden, dass ich hier auf eine Richtung festgenagelt werde.“

Ähnlich sieht es Alfred, der ebenfalls regelmäßig ins Zentrum kommt. Als Psychotherapeut hat er vor einigen Jahren den Wert der Achtsamkeitsmeditation für sich und seine Arbeit entdeckt. „Seitdem meditiere ich jeden Tag und empfehle es meinen Klientinnen und Klienten.“ Als Sohn einer traditionell katholischen Mutter möchte er heute in einem Umfeld frei von religiöser Verpflichtung praktizieren. „Mich faszinieren die ethischen Vorstellungen des Buddhismus – dass man sein Schicksal selber bestimmt.“ 

Der Beitrag entstand als Zusammenarbeit von Susanne Billig und dem Freien Buddhismus Essen (freierbuddhismus.de).

ENDE DER LESEPROBE

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