WARUM … die Antwort auf Krisenzeiten jenseits von Hoffnung und Furcht liegt
Klimakrise, soziale Spaltungen, Machtkämpfe bestimmen die täglichen Nachrichten. Die Suche nach Lösungen? Ist überlagert von Machtinteressen. Populistische Regierungen bauen fossile Infrastrukturen aus. Selbst aufrichtiger Aktivismus läuft Gefahr, einer Illusion zu erliegen: retten zu können, was sich der Kontrolle längst entzieht. Werner Vogd ist Professor und Leah Willi Studentin an der Universität Witten/Herdecke. Beide sind dem Buddhismus verbunden und plädieren dafür, mithilfe buddhistischer Ressourcen einen inneren Ort jenseits von Hoffnung und Furcht anzustreben.
In seinem vielbeachteten Essay „Deep Adaptation – A Map for Navigating Climate Tragedy“ von 2018 plädiert Jem Bendell, Umweltaktivist und emeritierter britischer Professor für nachhaltige Unternehmens- und Organisationsführung, für ein radikales Umdenken im Umgang mit dem Klimawandel. Auf der Basis aktueller wissenschaftlicher Prognosen kommt er zu dem Schluss, dass tiefgreifende ökologische Veränderungen nicht nur wahrscheinlich, sondern bereits unausweichlich sind: „Es ist möglich, dass die Menschheit bis zum Ende dieses Jahrhunderts aussterben wird.“ Er fordert, nicht länger auf technologische Lösungen oder politische Reformen zu hoffen. Stattdessen solle man sich auf eine tiefere, existenzielle Form der Anpassung vorbereiten – eine „Deep Adaptation“, die psychologische und kulturelle Prozesse gleichermaßen umfasst. Dazu gehöre es, die eigene Verletzlichkeit und das kollektive Versagen anzuerkennen, Wege der Vergebung gegenüber sich selbst zu finden und sich den dramatischen Folgen der menschlichen Unfähigkeit, die Erde zu schützen, nicht länger zu verschließen. Doch der Diskurs über Zusammenbruch und Endlichkeit sei selbst unter denen, die sich mit dem Thema Nachhaltigkeit befassen, tabuisiert. Diese Tabuisierung hindere uns daran, einen menschlichen und verantwortlichen Umgang mit dem Kommenden zu entwickeln.
Dem Schmerz gemeinsam begegnen
Aber was bedeutet das für uns als Einzelne? Wie können wir angesichts der ökologischen Zerstörung der Erde und der Verwerfungen, die damit einhergehen werden, ein sinnvolles und positives Leben führen? Und: Können die buddhistischen Lehren dafür Ressourcen bereitstellen?
Diese Fragen haben wir als Lehrende und Studierende im letzten Jahr in Seminaren an der Universität Witten/Herdecke aufgegriffen. Sie fanden im Wintersemester 2024/25 in den Studiengängen Studium fundamentale und Psychologie statt und befassten sich mit den Themen Empathie und Psychotherapieforschung. Leah Willi interviewte Klimaaktivistinnen und -aktivisten – sowohl ehemalige wie aktuell engagierte – und Vertreterinnen und Vertreter des engagierten Buddhismus. Ihre Forschungen haben ergeben:
Viele leiden unter den düsteren Szenarien. Manche versuchen, sich von schlechten Nachrichten zu distanzieren, indem sie sich lieber ablenken, als „den ganzen Tag resigniert zu sein“, wie es eine Befragte ausgedrückt hat. Andere trennen zwischen der eigenen und der globalen Lebenssituation. Sie meinen, sich hier in Europa „halbwegs sicher“ zu fühlen. Wieder andere schöpfen Kraft aus der Hoffnung auf einen guten Ausgang – vor allem, wenn sie bereits schwere Krisen durchlebt haben. Die Menschheit habe in schwierigen Zeiten oft große Dinge vollbracht. Für manche stiftet Hoffnung Sinn und setzt Energie zum Handeln frei; eine ältere Schweizer Klimaaktivistin hat es sinngemäß so formuliert: „Ohne Hoffnung würde ich wahrscheinlich verzweifeln. Aber ich denke immer daran, was man noch tun kann.“
Mensch bleiben in der Krise
Doch es gibt auch Befragte in unserer Studie, die den Klimakollaps für das wahrscheinlichste Szenario halten und die unkontrolliert krisenhafte Situation als solche akzeptieren. So sieht ein Klimaaktivist am meisten Sinn darin, „Mensch zu bleiben“, indem wir uns gemeinsam und solidarisch auf die Konsequenzen vorbereiten.
Was bedeutet es, sich innerlich auf den Zusammenbruch vorzubereiten – und dennoch weiter handlungsfähig zu bleiben? Eine Studentin formuliert es sinngemäß so: „Selbst, wenn morgen die Welt untergeht, würde ich heute noch einen Baum pflanzen. Dieser Gedanke hat mich aus meiner Lähmung herausgeholt.“
Die Akzeptanz der Krise und ihres möglichen Ausgangs führt zu einer entscheidenden Verschiebung: Der Schmerz über den Verlust muss nicht länger verdrängt werden, sondern darf ausgesprochen, geteilt und gemeinsam getragen werden. Sich gemeinsam über Schmerz austauschen; füreinander da sein; merken, dass man nicht allein ist.
Sich von den Ergebnissen des Handelns lösen
In den buddhistischen Lehren finden sich zu einer solchen Haltung klare Entsprechungen. So heißt es, dass Nirvana – der endgültige Befreiungszustand, der durch die Praxis des Dharma erreicht werden kann – jenseits von Hoffnung und Furcht liegt. Davon auszugehen bedeutet, die Wirklichkeit in ihrer Vergänglichkeit und Unkontrollierbarkeit radikal anzunehmen. Wie es in den Versen 373 und 374 des Dhammapada heißt:

Der Mönch in tiefer Einsamkeit,
In seinem Herzen wohl gestillt,
Fühlt übermenschliches Entzücken,
So er die Wahrheit klar erschaut.Wenn immer er die Daseinsgruppen,
Verse 373 und 374 des Dhammapada
Verstehen und Vergehen erwägt,
Erfüllt Verzückung ihn und Glück,
So er das Todlose erkennt.
Die buddhistische Perspektive löst unsere spirituelle Identität von den Ergebnissen des eigenen Handelns. Dieser zentrale Gedanke der buddhistischen Ethik ist in der gegenwärtigen Krisensituation wegweisend: sich weder der Illusion hingeben, die Welt retten zu können, noch darüber resignieren, dass sich Katastrophen einstellen. Denn beide Haltungen bleiben egozentrisch. Was zählt, ist ein Handeln aus Liebe und Mitgefühl. Ein Zen-Lehrer hat im Gespräch mit uns gesagt: „Die Erde will nicht gerettet werden. Sie will geliebt werden. Wenn wir unsere Liebe zur Erde kultivieren, werden wir alles tun, was wir tun müssen – auch wenn die Lage schlecht aussieht.“
Platz für Hoffnung und Schmerz
Als Beispiel hat er eine sehr persönliche Situation herangezogen: ein Mensch, den wir sehr lieben, liegt im Sterben. „Wir würden nicht mit den Schultern zucken und gehen, weil wir seinen Tod nicht verhindern können. Nein, wir würden alles tun, was wir können – egal, ob es helfen wird oder nicht.“ Das ist die buddhistische Sichtweise: Weil wir nicht wissen, wie sich die Dinge entwickeln werden – ob in globalen Krisen oder im täglichen Leben –, sollten wir uns nicht auf die Ergebnisse fokussieren, sondern mitfühlend unser Bestes tun. Der Zen-Lehrer ergänzte: „Wenn es also um die ökologische Krise oder die Polykrise geht, tun wir, was wir können. Wir verlangen keine Ergebnisse. Wir arbeiten dafür. Wir versuchen, es zu erreichen, aber wir können nichts kontrollieren.“
Auf diese Weise können wir eine Haltung kultivieren, die Zynismus und Rückzug vermeidet und uns in eine Schule des Herzens führt. Upekkha, Gleichmut, wird nicht verstanden als Kälte, sondern als Weite, in der Schmerz und Hoffnung, Trauer und Freude Platz haben, ohne einander auszuschließen.
Und vielleicht ist dies das eigentliche Geschenk, das die buddhistische Lehre uns in Zeiten der multiplen Krise macht: dass wir nicht versteinern müssen angesichts des Ungewissen, sondern lernen dürfen, inmitten der Vergänglichkeit zärtlich zu bleiben. Dann ist auch das Ende nicht bloß Ende, sondern Öffnung: eine Einladung, das Leben immer wieder neu zu lieben.

Werner Vogd
ist Professor für Soziologie an der Fakultät für Kulturreflexion der Universität Witten/Herdecke. Seine Forschungsthemen sind unter anderem Buddhismus im Westen. Er praktiziert seit mehr als dreißig Jahren täglich Vipassana-Meditation.

Leah Willi
studiert Psychologie und hat ihre Bachelorarbeit mit dem Titel „Leiden und Freuden im Kontext einer aktiven Auseinandersetzung mit der Klimakrise“ abgeschlossen. Sie fühlt sich der Plum-Village-Tradition verbunden.


