Ode an den Klang der Leere

Ein Beitrag von Felix Idris Kunzang Baritsch veröffentlicht in der Ausgabe 2023/2 Buddhismus im Westen unter der Rubrik Inspirationen.

Wo Stille nur, klingt auch Musik. 
Klang bedingt Nicht-Klang, 
Nicht-Klang bedingt Klang – 
So lehrte der Buddha das Abhängige Entstehen. 

Nicht aus Seiendem das Sein entsteht, 
Denn es würde nur, was es schon war. 
Wie würde neu geboren, 
Was niemals entstanden, sondern immer schon da? 

Nicht aus Nicht-Sein Seiendes entsteht, 
Denn Ursachen bewirken Wesensgleiches bloß. 
Trägt nicht der Samen den Duft seiner Blüten, 
Die Verheißung der Früchte im eigenen Schoß? 

Nicht aus Sein und Nicht-Sein gemeinsam geboren, 
Noch aus keinem von beiden ohne Grund erkoren – 
So lehrte der Buddha das Abhängige Entstehen: 
Nur in Leerheit geht nichts verloren. 

Es gehören zusammen 
Wie Feuer, Licht und Flammen, 
Wie Wellen, Wind und Meere, 
Auch Stille, Klang und Leere. 

So riet der Buddha beim Ersten Drehen des Rad‘s: 
In Gedanken, Worten und Tat 
Werde still und schweige, 
Alle Töne und Klänge vermeide. 

Jeder Eindruck der Sinne schürt Sehnsucht, 
Sucht, erneut das Schöne zu pflegen, 
Was einst erfahren vom Leben – 
Ziehend an das ewige Wieder. 

Den Weg damit beginne, 
Den Schein zu durchschauen, 
Den Klang zu durchhorchen, 
zu betreten endlose Weite – jenseits der Sinne. 

Entsage endlosem Auf- und Nieder, 
Dem Greifen nach Glück, des Leidens zuwider, 
Schwelgend in Freude und Leid, 
Hilflos getrieben von Karma und Unwissenheit. 

Achtsam und leis geh den Heiligen Pfad, 
Auf dem Wege der Mitte dein Ziel dir naht – 
von Wiedergeburt für immer befreit, 
Frieden finden im Lösen des Karma Leid. 

Im Zweiten Drehen des Rades zeigt Buddha‘s Lehre: 
Anderen zu Hilfe, verzichte auf Frieden und Ehre, 
Andere zu beglücken, 
Spiel auf und tanz aus Entzücken. 

Endloser Raum in der Vase, die zerbrochen, 
Unermessliche Liebe im Herzen, das offen – 
Lass Dich verwunden von der Welt, 
Bis sie die Medizin der Leerheit erhellt. 

Erhebt Deine Stimme sich donnergleich, 
Klingt wie Musik der Sphären, sie dennoch ganz leicht, 
So werden die Wesen von Täuschung befreit, 
Ohne ‚ich‘ ohne ‚du‘, von Leerheit berührt, erreichen Allwissenheit. 

Dein ganzes Wesen wird eins, 
Wie ein Instrument in sich stimmen, 
Wird bringen zum Klingen 
In jedem Wesen heilige Schwingen. 

Musik ist Leerheit, leer von eigenem Sein, 
Leerheit ist Musik, Ding-Sein nichts anderes als Schein. 
Das Wahre ist in dir, ist fließend Musik, 
Bist ständiger Wandel – lenke ihn weise, mit großem Geschick: 

Einzig Dein Geist, die Gesinnung entscheidet, 
Ob Brücken Du baust aus Klang und Musik – 
Von einem Land in das andere, 
Hinüber Du gehst in jedem Augenblick. 

Im Dritten Verkünden der Lehre 
Die Natur des Geistes 
Nicht getrennt ist von Erde – 
Licht und Ton zusammen werde. 

Wohl wissend um Leiden und Schmerz, 
wie die Natur so offen, wahr und rein, 
Lausche aufs Feinere als fein 
Was im innersten Tropfen des Herzens mag sein. 

Ist alles mit allem verbunden, 
wird zugleich die Leerheit gefunden. 
Mit vielen Stimmen zu singen, 
Lässt im Chor die Einheit erklingen. 

Bist selber vielfältiger Klang, 
Bist Rhythmus, vielstimmig Gesang, 
Bist Universum, Gesetz, bist Gottheit viel mehr, 
Jede Regung eine Welle, zeitloses Meer. 

Dein Schritt sei präsent und besonnen, 
Dein Körper verwandelt vor Wonnen, 
Gedanken voll Funkeln und Licht, 
Deine Stimme Ursprung aller Musik. 

Die Null sei dein Maß, das alles erlöse, 
Im einzigen Tropfen – jenseits von Gut und von Böse. 
Von wo es gekommen, dahin kehrt es zurück – 
Atem-Urgrund, die erste Musik. 

So lehrte der Buddha 
Einem jeden das Seine – 
Bei Tag und bei Nacht: 
„Sei wach, sei wach!“ 

Sprich erst, wenn geschwiegen, 
Spiel erst, wenn still geblieben – 
Sonst ist es nur Lärm und Gescherz‘, 
Vermehrend Karma, Leid und Schmerz. 

Dann aber lass frei deinen Atem, 
Lass frei Deine Liebe, 
Lass frei sie schweben, 
Alles erfüllen, alles durchweben. 

Jenseits von Glück und von Leid, 
Ganzer Mensch, für immer befreit, 
Erklingst allen Wesen zur Freud. 
So sprach einst der Buddha und so spricht er noch heut. 

Als rosarot der Horizont im Osten sich verfärbt, 
Hell der Morgenstern die Stille der Nacht zu Licht verklärt, 
als am letzten Tag des Jahres 2020 die ersten Vogelstimmen singen, 
da begannen mit dem Atem diese Verse sanft zu schwingen. 

Felix Idris Kunzang Baritsch

Felix Idris Kunzang Baritsch ist Jurist, Heilpraktiker, Philosoph, Meditationslehrer und Autor. Durch seine Arbeit bei Amnesty International kam er 1979 nach Südamerika, wo er im interreligiösen Dialog engagiert war. In den 1990er-Jahren studierte er Buddhismus in Dharamsala, Indien sowie im Tibetischen Zentrum Hamburg. Er war Mitglied im Rat der DBU.

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