„Im Buddhismus sollten wir Räume des Zuhörens schaffen“
In der „Arbeitsgruppe Krieg und Frieden“ der Deutschen Buddhistischen Union (DBU) haben sich Menschen mit unterschiedlichem buddhistischen und persönlichen Hintergrund zusammengefunden. In einer Gesprächsrunde mit BUDDHISMUS aktuell loten vier von ihnen Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der Bewertung der aktuellen Konfliktlage aus.
Susanne Billig: Wer seid ihr und was bringt euch in dieses Gespräch?
Heinz-Jürgen Metzger: Ich bin Dharmalehrer in der Zen-Tradition und spiritueller Leiter der BuddhaWeg-Sangha. 1971 habe ich vor Gericht durchgesetzt, dass ich den Kriegsdienst verweigern und einen zivilen Ersatzdienst machen konnte. Seit 2001 leite ich regelmäßig Sesshins im ehemaligen Konzentrationslager Weimar-Buchenwald.
Angelika Damien-Prignitz: Ich wohne in Bonn und habe 2010 die buddhistische Zuflucht bei Yesche Regel im Paramita-Projekt genommen; das ist auch meine derzeitige Praxis. Als Teil der Friedensbewegung der 1980er-Jahre habe ich mich intensiv gegen den NATO-Doppelbeschluss engagiert. Jetzt im Ukrainekrieg kenne ich Betroffene beider Seiten, aus der Ukraine sind sie teils schwer traumatisiert, in Russland leben sie in ständiger Angst vor neuen Einberufungsbescheiden. In Bezug auf Deutschland mache ich mir Sorgen, dass es langfristig zu einer schleichenden Militarisierung in unserer Gesellschaft kommen könnte, mit weitreichenden Konsequenzen in vielen gesellschaftlichen Bereichen, von der Kultur bis zur Erziehung. Es ist wichtig, dieser Entwicklung entgegenzutreten. Meinen vier Enkelkindern wünsche ich, dass sie – wenn es schon nicht gelingt, Kriege ganz zu verhindern – in einer von einer großen Friedensbewegung geprägten Welt aufwachsen können.
Alwin Baumert: Ich habe in den 1990er-Jahren als Sozial- und Theaterpädagoge in friedenspädagogischen Einrichtungen gearbeitet. 2000 wurde ich selbständig mit einer Projektwerkstatt namens „Klang der Stille“. Durch Reisen in Indien, Nepal und Sri Lanka habe ich meine Verbindung zum Buddhismus vertieft. Ich praktiziere japanische Teezeremonie, bin aber keiner Schule beigetreten. Religiöse Institutionen wie die Kirchen und die Deutsche Buddhistische Union haben mit Beginn der Coronakrise und später dem Ukrainekrieg politische Positionen übernommen, ohne fundierte Haltungen aus der Religion heraus zu entwickeln. Darüber möchte ich heute sprechen.
Yesche U. Regel: Ich kam jung zum Buddhismus, war vom 23. bis 40. Lebensjahr als buddhistischer Mönch ordiniert, was ich nun schon viele Jahre nicht mehr bin. Meine Mutter erzählte mir früh in meiner Kindheit von dem großen Bombenangriff auf Dresden, den sie direkt miterlebt hat. Ich habe die Gründung einer AG Krieg und Frieden der DBU angeregt, weil mir ein Forum für Buddhistinnen und Buddhisten fehlte, um über die aktuellen Kriege zu sprechen. Im Buddhadharma geht es um die Entwicklung von Weisheit und Mitgefühl, doch mir fiel bei Kursen auf, dass viele die buddhistische Praxis als Gelegenheit zum Vergessen benutzen. Die Weltkriegsgefahr im Zuge des Ukrainekrieges beschäftigt mich sehr. Die großen Spannungen zwischen der NATO, den USA und Russland sollten nicht leichtfertig übersehen werden, schließlich leben wir im Atomzeitalter.
Susanne Billig: Gerne möchte ich auch ein paar Worte zu meinem Hintergrund sagen, weil ich mich vielleicht an der Diskussion beteiligen werde. Ich bin mit 28 Jahren zum Buddhismus gekommen, damals über die aus Japan stammende Gemeinschaft Soka Gakkai, in der das Thema Frieden aufgrund der furchtbaren Atombombenabwürfe auf das Land eine große Rolle spielt. Auch für meine Perspektive ist meine Familie wichtig. Meine Eltern und Großeltern haben oft über ihre Erfahrungen im Nationalsozialismus gesprochen, sowohl, was die Seite der Verführung angeht – mein Vater war begeisterter Hitlerjunge –, als auch über die Brutalität. Die Eltern meiner Mutter waren überzeugt sozialdemokratisch, mit viel Abstand zum NS-Regime. Mein Vater ging mit 15 Jahren an die Front und floh unter dramatischen Umständen; sein Vater wurde ins Konzentrationslager Mauthausen deportiert und ermordet. Damit komme ich zur ersten Frage: Yesche, du hast vorhin gesagt, es bestehe die Gefahr, dass die Spannungen zwischen der NATO, den USA und Russland übersehen werden. Wer übersieht sie?
Yesche U. Regel: Ich sehe das bei Kursteilnehmerinnen und Kursteilnehmern, aber auch in den Medien, in Diskussionen und bei Politikerinnen und Politikern. Ich sah neulich einige alte Reden von Helmut Schmidt. Er würde heute anecken und warnte schon vor Jahren davor, dass man mit Russland nicht so umgehen darf, wie es die USA tun, weil das schlimme Folgen haben könnte; das sagte auch Michail Gorbatschow. Man wird heute zum „Russlandversteher“ degradiert, wenn man tiefer schauen möchte, was die Ursachen für diesen Konflikt sind und welche Ursachen dafür auch im Westen liegen.
Angelika Damien-Prignitz: Das möchte ich unterstützen. Viele Probleme entstehen auch durch mangelnde schulische Bildung, insbesondere im Geschichtsunterricht, was dazu führt, dass die Bevölkerung die Komplexität vieler Probleme nicht versteht. Die Medien können dies ausnutzen, indem sie oft einseitige Darstellungen präsentieren. Das betrifft auch die hochkomplexe Geschichte des Nahostkonflikts, die bis ins Osmanische Reich reicht. Viele junge Menschen kennen diese Fakten nicht. Deshalb sollten wir im Buddhismus auf eine tiefer gehende Bildung setzen.
Yesche U. Regel: Wir kommen immer mehr in eine Zeit, auch was das Klima angeht, wo man die Dharmalehren und -praktiken nicht losgelöst von dem betrachten kann, was uns heute betrifft. Wenn wir in buddhistischen Kursen nie oder kaum über solche Themen sprechen, halte ich das für einen Mangel. Darum habe ich angefangen, einige Kurse zu geben, in denen es Austauschrunden zu bestimmten Themen gibt. Buddhismus ist eine Religion für Menschen. Im Dharma gibt es viele Inhalte, Methoden und Lehren, die unsere geistige und emotionale Haltung stärken können. Das sollte man nicht unterschätzen.
Heinz-Jürgen Metzger: Wir machen im Buddhismus vieles schweigend und üben den wichtigen Blick nach innen. Aber auch das Nach-außen-Gehen nach dem Retreat erfordert Training und Übung. Das sollten wir im Buddhismus stärker im Blick haben.
Die Frage der Selbstverteidigung
Susanne Billig: Gehen wir gedanklich noch einmal zurück zum Beginn des Ukrainekrieges. Millionen von Menschen werden überfallen, ihre Regierung ruft nach Waffen zur Selbstverteidigung. Es gibt einen enormen Zeitdruck, weil furchtbare Tatsachen geschaffen werden. Gibt es für euch als Buddhistinnen und Buddhisten ein Recht auf Selbstverteidigung? Gibt es ein Recht oder eine Pflicht, die Selbstverteidigung anderer zu unterstützen, vielleicht auch mit Waffenlieferungen?
Heinz-Jürgen Metzger: Ja, meines Erachtens hat jedes Land das Recht, sich gegen Aggressionen zu verteidigen, auch beispielsweise Israel. Aus buddhistischer Sicht scheint mir zentral, dass niemand gezwungen werden sollte, gegen sein Gewissen zu töten. Darum wäre es meines Erachtens angebracht, dass sich die DBU dafür einsetzt, dass Deutschland Kriegsdienstverweigerer und Fahnenflüchtige aus Kriegsgebieten aufnimmt. Sie sollte sich auch dafür einsetzen, dass man den Kriegsdienst ohne Gewissensprüfung verweigern kann, da das Gewissen nicht überprüfbar ist. Was die Unterstützung der Selbstverteidigung eines Landes angeht, sehe ich ein Dilemma. Ich kann verstehen, wenn ein Politiker sich entscheidet zu sagen: Ich bin für die Lieferung von Waffen. Genauso verständlich finde ich, wenn jemand sagt: Das halte ich für falsch. Ein Kriterium für mich wäre, ob mir glaubwürdig vermittelt wird, dass es tatsächlich nur darum geht, einem Land dabei zu helfen, sich selbst zu verteidigen, oder ob dahinter andere Interessen stehen. Eines ist mir wichtig: Man muss immer das Leiden aller Seiten sehen. Einseitige Berichterstattung verhindert das. Das Leiden durch Bombardierungen in der Ukraine wird zum Beispiel ganz anders dargestellt als das Leiden in Palästina. Ich schaue oft BBC-Nachrichten und auch japanisches Fernsehen – dort sehe ich oft sehr andere Bilder aus Palästina als in der „Tagesschau“ oder in „heute“.
Yesche U. Regel: Auf die Frage nach dem Recht auf Selbstverteidigung habe ich, ehrlich gesagt, keine gute Antwort. Das hat mit Naivität nichts zu tun – ich habe einfach keine Antwort. Für mich ist das ein schreckliches Dilemma. Den Wunsch, sich selbst zu verteidigen, kann ich verstehen, aber bei Waffenlieferungen und aktiver Gegengewalt wird es schwierig. Ab wann ist es ein offener Krieg und keine Selbstverteidigung mehr? Das ist schwer zu unterscheiden. Auch deutsche Politikerinnen und Politiker haben schnell gesagt: „Die Russen müssen besiegt werden“, „Die Ukrainer müssen die Krim zurückerobern“. Eine solche Sprache und Haltung erlebe ich als einen fürchterlichen Widerspruch zu allen Einsichten aus den letzten großen Kriegen. Man wollte „Nie wieder Krieg!“ und auch keine Waffen in Krisengebiete liefern.
Als praktizierender Buddhist befürworte ich keine Gewaltanwendung und bekenne mich zu einem Weg des Erwachens und der Friedfertigkeit – ähnlich wie Ärztinnen und Ärzte ihre Rolle darin sehen müssen, Menschen zu versorgen und nicht zu verletzen. Meiner Meinung nach sollten sich viel mehr Menschen auf Prinzipien der Friedfertigkeit besinnen. Sie sollten mutig sagen können: Was auch immer in der Welt passiert, ich kann keine Gewaltanwendung befürworten. Buddhistinnen und Buddhisten können sagen: „Ich habe mich für den Weg des Erwachens, der Friedfertigkeit und Entwicklung von positiven Eigenschaften entschieden. Ich beteilige mich nicht an einem gewalttätigen Geschehen und fühle dazu auch keine Verpflichtung.“ So machen es viele Menschen in buddhistischen Kulturen seit Jahrhunderten, auch wenn es Ausnahmen gab.
Ich möchte dazu beitragen, dass mehr Menschen, insbesondere Buddhistinnen und Buddhisten, in ihrer Einstellung zur völligen Gewaltfreiheit bestärkt werden. Das Gelöbnis, nicht zu töten, wie es im Buddhismus abgelegt werden kann, ist ein eindeutiger Ausdruck dessen. Unabhängig von den schrecklichen Ereignissen in der Welt sollten alle, der sich zu diesem Weg bekannt haben, ihre Haltung der Friedfertigkeit aufrechterhalten. Vielleicht erweist sich das als die stärkere Kraft, die Frieden schaffen kann.
Angelika Damien-Prignitz: Inzwischen ist doch auch klar geworden, dass die Waffenlogik in der Ukraine nicht aufgeht. Anfangs hieß es: Je mehr Waffen wir liefern, desto schneller schafft es die Ukraine, den Aggressor zu besiegen. Heute sind wir weiter von einem Frieden entfernt als jemals zuvor. Mich empört zunehmend, dass es in der gegenwärtigen Regierung scheinbar überhaupt keinen Wunsch mehr nach Verhandlungen gibt. Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer wurden für ihre Friedensinitiative mit Hohn und Spott übergossen. Heute gibt es gar keine Initiativen mehr, die in der Öffentlichkeit Resonanz hätten. Die Friedensbewegung ist kaum noch sichtbar und arbeitet zu wenig koordiniert; das ist ein großes Drama.
Alwin Baumert: Früher gab es einen breiten gesellschaftlichen Konsens, dass sich Deutschland nicht mit Waffen in Konflikte einmischen soll; das scheint jetzt anders. Russland hatte angekündigt, wo die rote Linie verläuft, doch das wurde ignoriert. Stattdessen nun die Waffenlieferungen. Die Friedensbewegung ist präsent und öffentlich, ihre Anwesenheit wird aber oft ausgegrenzt und zensiert.
Susanne Billig: Wenn Weisheit bedeutet, Komplexität zu erkennen und damit umzugehen, sehe ich in Teilen der Friedensbewegung allerdings große Lücken. Denn zur Vorgeschichte des Ukrainekrieges gehört ja auch die Übernahme Russlands durch einen mafiöses, rechtsradikalen, auch innenpolitisch extrem brutalen Machthaberzirkel, der sich Verhandlungen bislang verweigert, denn es gab etliche Versuche. Persönlich habe ich mich nach dem Beginn des Krieges – mich hat selbst schockiert, wie spät ich auf diese Idee gekommen bin – intensiv mit den Stimmen der drangsalierten russischen Opposition befasst. Ich nehme es als großes Versäumnis wahr, dass diese Stimmen, auch Stimmen von ukrainischen Kulturschaffenden, von einem großen Teil der deutschen Friedensbewegung bis heute nicht zur Kenntnis genommen werden.
Yesche U. Regel: Auch ich glaube nicht, dass man derzeit mit den Machthabern im Kreml über Verhandlungen etwas erreichen kann. Aber sollte man stattdessen glauben, dass man mit einem Krieg etwas erreichen kann? Krieg ist das Allerschlimmste, was geschehen kann. Auf beiden Seiten sterben Zehntausende, wenn nicht Hunderttausende. Grausamkeiten und wahlloses Töten sind im Krieg erlaubt. Und es hört nicht auf, bis vieles zerstört und alle erschöpft sind. Darum müssen andere Lösungen gefunden werden, sonst könnte das immer weiter eskalieren, bis hin zu einem Atomkrieg.
„Die“ Medien?
Susanne Billig: Lasst mich eine kritische Nachfrage stellen. Auch in dieser Runde höre ich, „die“ Medien verhielten sich falsch. Ich bin Medienschaffende, hier bei BUDDHISMUS aktuell, aber auch im öffentlich-rechtlichen Hörfunk. Ich gebe mir viel Mühe mit meinen Beiträgen, recherchiere ausführlich und kenne viele Kolleginnen und Kollegen, die großartige Sendungen machen. Als leidenschaftliche Nutzerin der öffentlich-rechtlichen Mediatheken, aber auch als Podcasthörerin und Leserin von Zeitungen, Zeitschriften, Büchern und Internetblogs kann ich mich jederzeit ganz frei und differenziert informieren. Beteiligt ihr euch nicht selbst an einer unguten Polarisierung, wenn ihr sagt, „die“ Medien führten uns in die Irre?
Angelika Damien-Prignitz: Meine Kritik gilt den Primetime-Sendungen wie den ZDF-Nachrichten, der Tagesschau, politischen Sendungen am früheren Abend. Die finde ich viel zu einseitig. Bessere Sendungen laufen zu einer Zeit, in der die Masse der Bevölkerung nicht mehr erreicht wird.
Heinz-Jürgen Metzger: Ja, wir können uns „frei und differenziert“ informieren. Das ist in vielen Ländern nicht möglich. Zu freier und differenzierter Information gehört aber freie und differenzierte Berichterstattung. Wenn verhindert wird, dass Journalisten frei aus Kriegsgebieten berichten, wie es zum Beispiel in Gaza der Fall ist, verhindert das die Bildung einer differenzierten Meinung.
Alwin Baumert: Die Möglichkeit, eine eigenständige Haltung einzunehmen, haben wir nur, wenn wir die Mechanismen der Propaganda begreifen. In vielen Bereichen wird versucht, die Menschen in ihrem sozialen und natürlichen Kontext zu isolieren. Dem sind wir ausgesetzt und das müssen wir begreifen. Im derzeitigen politischen Klima stellen unsere Regierung und die Medien es so dar, als würden wir in der Ukraine unser eigenes Land verteidigen. Genauso wie es in Russland eine Propaganda gibt, gibt es bei uns auch eine Propaganda, und es ist für die Bevölkerung sehr schwierig, Informationen und Propaganda auseinanderzuhalten. Wir sind schon mittendrin im Krieg und schon seit Längerem einer kognitiven Kriegsführung ausgesetzt.
Ich möchte dafür appellieren, den Raum der offenen Weite, den wir durch Meditation erleben können, auch in anderen Situationen zu nutzen. Wir sollten andere Menschen nicht ausschließen und keine vorschnellen Urteile fällen, sondern in Begegnungen gehen und zuhören. Politische Kategorisierungen wie „links“ und „rechts“ werden benutzt, um mit Menschen und ihren Meinungen nicht mehr in Kontakt treten zu müssen, bis hin zur öffentlichen „Kontaktschuld“. Meinungen vorschnell zu kategorisieren oder gar Menschen darin zu stigmatisieren, sind eine Ursache für Gewalt und Kriege. Wir sollten uns da nicht hineinziehen oder instrumentalisieren lassen.
Susanne Billig: Die letzten Sätze möchte ich nicht unwidersprochen stehen lassen, denn das Erstarken des Rechtsradikalismus besorgt mich sehr. Ich fürchte, dass wir uns schleichend an Positionen gewöhnen, die aus menschenrechtlichen, ökologischen und demokratiepolitischen Gründen hoch gefährlich und völlig inakzeptabel sind.
Heinz-Jürgen Metzger: Die Sorge über rechtsextremistische Bewegungen teile ich, aber wir müssen auch sehen, was sie nährt. Das sind meines Erachtens die zunehmende soziale Ungleichheit und ein wachsendes Stadt-Land-Gefälle.
Alwin Baumert: Der Ukrainekrieg ist für mich die Fortsetzung einer Politik, die mit Corona begann. Bereits damals erlebten wir eine Zersplitterung und Polarisierung der Bevölkerung. Als der Ukrainekrieg begann, war die Grundlage für eine weitere Zersplitterung schon gelegt und Anfeindungen und politische Positionierungen setzten sich in der Presse und in der Politik fort. So konnte die Zustimmung zum Krieg politisch leicht vorangetrieben werden, indem man Schwarz-Weiß-Denken übernahm und Feindbilder schuf. Wir können aber nur aus innerem Frieden heraus authentische Antworten finden und brauchen eine eigenständige Haltung – aus dem Dharma oder der persönlichen Praxis heraus. Leider haben auch buddhistische Kreise die gesellschaftliche Spaltung hingenommen, etwa, als es um Impfdruck oder das Tragen von Masken ging.
Yesche U. Regel: In Großbritannien war es wohl für viele der Regierung gegenüber kritisch eingestellte Menschen genau andersherum. Sie haben sich in großen Demos beschwert, dass zu wenige Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung ergriffen wurden. Trotzdem unterstützt London heute die Ukraine. Das mag jetzt nicht unser Thema sein, aber ich möchte es hier gerne ergänzen.
Susanne Billig: Es ist insofern unser Thema, als uns die Frage beschäftigt, ob wir in einer polarisierten Gesellschaft leben; auch das kann man anders sehen. Aber treten wir einen großen Schritt zurück. Gerne möchte ich euch fragen: Wo holt ihr euch persönlich Inspiration in diesen Zeiten, wer sind eure Vorbilder?
Vorbilder der Friedfertigkeit
Alwin Baumert: Mir dient als Vorbild die Lehre des Buddha selbst. Dazu die Gewaltfreiheit Mahatma Gandhis und die Erkenntnis, dass alle Menschen Buddhanatur haben. Damit umzugehen, ist die tägliche Freude und Herausforderung.
Angelika Damien-Prignitz: An Mahatma Gandhi beeindruckt mich seine persönliche Hingabe und der Einsatz seines eigenen Lebens. Nelson Mandela fasziniert mich durch die Geisteskraft und innere Resilienz, die er während seiner Haft entwickelt hat. Thich Nath Hanh hat aus einem tiefgründigen Dharmabewusstsein geschöpft; auch das beeindruckt mich.
Yesche U. Regel: Ich fühle mich dem Dalai Lama und Thich Nhat Hanh verbunden. Beide kommen aus von grausamer Gewalt heimgesuchten Ländern und haben gerade durch ihre Erfahrungen eine friedvolle Haltung entwickelt. Der Buddha selbst fand seinen Weg zum Erwachen in kriegerischen Zeiten. Sein Weg entstand nicht losgelöst von menschlichen Dramen, sondern gerade wegen der existierenden Konflikte in der Welt. Im Westen gibt es ebenfalls Vorbilder: Bertha von Suttner hat eine spannende Lebensgeschichte und Botschaft. Während der beiden großen Kriege im 20. Jahrhundert haben viele Menschen versucht, die Dinge anders zu sehen als die Mehrheit. Andere Perspektiven sollten in der öffentlichen Diskussion und in den Medien mehr Raum erhalten.
Heinz-Jürgen Metzger: Der US-amerikanische Zen-Meister Bernie Glassman, in dessen Tradition ich stehe, legte großen Wert darauf, möglichst viele unterschiedliche Stimmen zusammenzubringen. Das ging so weit, dass er mich einmal fragte, ob ich einige Neonazis bitten könne, mit nach Auschwitz zu kommen, um auch ihre Stimmen zu hören. Das Zuhören ist entscheidend. In unserer schnelllebigen Zeit äußern wir rasch Meinungen, doch das schwächt unsere Fähigkeit, andere Perspektiven wirklich zu hören und zu verstehen. Im Buddhismus sollten wir Räume für das Zuhören schaffen, ohne uns direkt zu positionieren.
Susanne Billig: Ich denke, das haben wir heute getan – wir waren nicht in allem der gleichen Meinung, aber haben uns aufmerksam zugehört. Vielen Dank an euch alle für das respektvolle Gespräch!
Weitere Informationen
buddhismus-deutschland.de/ag-krieg-und-frieden
Ansprechpartner für die AG Krieg und Frieden in der DBU ist Yesche U. Regel. Kontakt: yesche-regel@t-online.de