Für eine Versöhnung von Kultur und Natur
In ihrer Bachelorarbeit haben die Studentinnen Smilla Brusenbauch und Julie Clausen die Beziehung zwischen Mensch und Natur in buddhistischen Waldklöstern in Deutschland und Norwegen untersucht. Dabei ließen sie sich von Analysen des französischen Wissenschaftssoziologen Bruno Latour leiten.
Die Moderne steht vor einer Vielzahl von Herausforderungen, die sich aus der Entfremdung des Menschen von der Natur ergeben. Während städtische Betonlandschaften immer weiter expandieren und technologische Fortschritte unsere Aufmerksamkeit beanspruchen, scheint der einst enge und harmonische Dialog zwischen Mensch und Natur zunehmend in Vergessenheit zu geraten. Doch inmitten dieses Chaos gibt es einen Ort, an dem die Essenz dieser Beziehung bewahrt wird – buddhistische Waldklöster.
In Deutschland und Norwegen haben sich buddhistische Waldklöster als Refugien der Stille und spirituellen Erneuerung etabliert. Diese Klöster bieten nicht nur einen Rückzugsort für die Sinnsuche, sondern verkörpern auch eine tiefe Verbindung zwischen den Menschen und ihrer natürlichen Umgebung. In einer Zeit, in der die Auswirkungen des Klimawandels immer spürbarer werden und der Ruf nach einem nachhaltigen Lebensstil lauter wird, eröffnen diese Klöster neue Perspektiven für eine harmonische Beziehung zwischen Mensch und Natur.
Welche Lebenspraxis gibt es in buddhistischen Klöster, die wegweisend sein kann für die Lösung von Problemen, die schon so lange bestehen und so tief in der Gesellschaft verankert sind? Und inwiefern liegt die Lösung womöglich sogar in der buddhistischen Weltanschauung selbst? Dies waren nur zwei der Fragen, die wir uns gestellt haben und die uns motiviert haben, in unserer Bachelorarbeit die Beziehung zwischen Mensch und Natur in buddhistischen Waldklöstern zu untersuchen.
Interdisziplinäre Perspektive
Für unser Forschungsprojekt haben wir zwei Klöster besucht, das Muttodaya in Deutschland und das Lokuttara Vihara in Norwegen. Durch eine interdisziplinäre Herangehensweise konnten wir verschiedene Aspekte einbeziehen – die Philosophie des Buddhismus ebenso wie die Praxis der Achtsamkeit und die Gestaltung der Klöster selbst. Unser Ziel war es, ein umfassendes Verständnis davon zu gewinnen, wie diese Klöster die Mensch-Natur-Beziehung fördern und welche Lehren wir daraus ziehen können, um unsere eigene Verbindung zur Natur zu stärken.
Um aufzuschlüsseln, wie sich Naturbeziehung und Naturverständnis in buddhistischen Klöstern ausdrücken, haben wir mit verschiedenen soziologischen Feldforschungsmethoden gearbeitet. Ein Großteil der Forschung bestand aus Interviews mit Mönchen und der Beobachtung des Klosteralltags in beiden Klöstern, ein Alltag, an dem wir jeweils auch für einige Zeit teilgenommen haben. Auf diese Weise wollten wir Einblicke in die Erfahrungen und Wahrnehmungen der Menschen gewinnen, die in diesen spirituellen Oasen Zuflucht genommen haben.
Wichtig war uns auch die Frage, inwiefern sich das, was wir erfahren und beobachten, in wichtige soziologische Theorien einbinden lässt. Viele soziologische Arbeiten beschreiben die Trennung zwischen dem Menschen und der Natur als Kennzeichnen der Moderne. Unsere Hypothese war: Diese Aufteilung von Kultur und Natur in zwei getrennte Sphären wird im Buddhismus abgelehnt und auch von ihm durchbrochen. In unserer Forschung haben wir darum vor allem nach Anzeichen dafür gesucht, dass die beiden Klöster und ihre Bewohner sich selbst als Teil der Natur wahrnehmen und sowohl ihren persönlichen Platz wie auch den des Klosters – und womöglich den Platz aller Menschen – in der Natur verorten.
Obwohl unsere Arbeit also stark soziologisch ausgerichtet gewesen ist und sich der Thematik mit sozialwissenschaftlichen Theorien genähert hat, lassen sich einige ihrer Hypothesen und Ergebnisse zweifelsohne auch auf andere Lebensbereiche übertragen. Ein Blick in das Leben der allermeisten Menschen heute zeigt, wie real und nah an der alltäglichen Lebenserfahrung die soziologische Erkenntnis der modernen Trennung zwischen Mensch und Natur ist – beispielsweise in der Jahrhunderte zurückreichenden Trennung zwischen Religion und Wissenschaft, einem Dualismus, der weit in die Gesellschaft und das Denken der Einzelnen hineinreicht. So ist es für nicht wenige Menschen undenkbar, sich sowohl an religiösen als auch an wissenschaftlichen Leitmotiven zu orientieren. Einige würden sogar behaupten, dass Religion und Wissenschaft unvereinbar sind und geradezu im Krieg miteinander stehen. Solche Dualismen werden in Dutzenden soziologischer Theorien erörtert und haben auch uns in unserer Forschungsarbeit interessiert.
Muster der Abgrenzung
Besonders relevant waren für uns die Arbeiten des französischen Wissenschafts- und Techniksoziologen Bruno Latour (1947–2022). Seiner Analyse zufolge besteht die Trennung zwischen Kultur und Natur, auch die zwischen Religion und Wissenschaft, erst seit wenigen Hundert Jahren. In seinen Werken zeigt er überzeugend, dass sich erst mit der Epoche der Aufklärung, also ab Ende des 17. Jahrhunderts, immer häufiger Muster der Abgrenzung und dualistischer Weltbeschreibungen finden. Für den Soziologen beginnt die Moderne mit der Erzeugung und Festigung einer dualistischen Weltanschauung, die das Ziel hatte, modernen Gesellschaften zugleich Macht zu verleihen wie auch Möglichkeiten zu geben, ihre Macht zu rechtfertigen.
Der komplizierte Aufbau der beiden Sphären von Natur und Kultur sowie ihrer Trennung voneinander, geschah Bruno Latour zufolge durch ein endloses paradoxales Rechtfertigungssystem: Sowohl Natur als auch Kultur wurden als etwas Unveränderliches und vom Menschen Unabhängiges und zugleich als etwas leicht Veränderbares und Menschengemachtes dargestellt. Hinzu kamen christliche religiöse Vorstellungen, die einen Gott postulierten, der nicht nur allmächtig ist und über allem steht, sondern auch von den Widersprüchen ablenkt, die mit dem Dualismus von Natur und Kultur einhergehen. Gleichzeitig diente dieser Gott als Werkzeug, mit dem sich sowohl missliebige Erscheinungen kritisieren wie auch Erwünschtes rechtfertigen ließen. Kritik und Rechtfertigung konnten in der Konstruktion der Moderne von einer Instanz zur nächsten schieben. Auf diese Weise waren sie geschützt – durch das, was Bruno Latour als endloses paradoxales Rechtfertigungssystem erkannt hat. Er fasst dieses Geschehen in seinem Buch „Wir sind nie modern gewesen“ prägnant in die Worte:
Sie haben die Natur nicht gemacht; sie machen die Gesellschaft; sie machen die Natur; sie haben die Gesellschaft nicht gemacht; sie haben weder die eine noch die andere gemacht, Gott hat alles gemacht; Gott hat nichts gemacht, sie haben alles gemacht.
Immense und fatale Auswirkungen hatte ein Effekt des Systems, den Bruno Latour unter dem Begriff der „modernen Verfassung“ zusammenfasst: Moderne Gesellschaften maßen sich an, dass sie allein es vermögen, die Dinge in ihrer Klarheit und wahren Form zu erkennen – und zwar in ihrer Getrenntheit voneinander. Andere Gesellschaften, die man von da an, negativ konnotiert, „vormodern“ nannte, erkannten die Welt jedoch meist in ihren Verbindungen. Sie waren sich der Unmöglichkeit bewusst „die gesellschaftliche Ordnung zu ändern, ohne gleichzeitig die Naturordnung zu verändern“, wie der französische Soziologe schreibt. Heute jedoch gibt es, so stellt Bruno Latour fest – und längst nicht mehr nur er –, zu viele Beweise für die Verbundenheit beider Sphären, um an der modernen Verfassung festhalten zu können.
Aufbruch in eine vormoderne Weltsicht
Ein Blick auf die großen Katastrophen unserer Zeit – Artensterben, Erderhitzung – zeigt, wie wichtig es ist, Gedankensysteme der Moderne aufzubrechen. Doch wie kann die moderne dualistische Auffassung überwunden werden? Und wohin soll der Weg gehen? An dieser Stelle präsentiert Bruno Latour eine seiner wichtigsten Überlegungen, denn nach seiner Auffassung ergibt weder eine postmoderne noch eine antimoderne Weltanschauung Sinn. Stattdessen sieht er den einzig möglichen Weg darin, zur vormodernen Weltsicht zurückzukehren, einer Weltsicht, die sowohl Natur als auch Kultur in ihren Verbindungen zur jeweils anderen Sphäre sieht, beide bewusst miteinander verbindet und eben diese Verbindung als Grundlage einer neuen Verfassung anerkennt.
Die vormoderne Weltanschauung stellt für Bruno Latour also keineswegs eine antiquierte und nicht länger gültige Wahrheit dar, sondern er findet in ihr sogar die Grundlage eines Auswegs aus dem heutigen Dilemma der Entfremdung des Menschen von der Natur. In der nichtmodernen Weltsicht kann sich die Wirklichkeit in
unterschiedliche Kollektive, in Netze und Netzwerke aufspannen, innerhalb derer sich verschiedene hybride Erscheinungen unterschiedlich positionieren, ohne sich voneinander abzugrenzen. Bruno Latour geht sogar so weit, zu sagen, wir seien eigentlich nie modern gewesen, sondern hätten lediglich bewusst eine Trennung herbeigeführt, die in Wahrheit nicht existiere.
Buddhismus und Natur
Unsere Forschungsergebnisse zeigen: Eine solche vormoderne Weltsicht findet sich im Buddhismus. Das buddhistische Verständnis der Welt zeichnet ein Bild von Verbundenheit, gegenseitiger Einflussnahme und Interdependenz. Nicht nur in buddhistischen Metaphern wie der von Indras Netz oder in buddhistischen Theorien wie der Allverbundenheit findet sich dieser Gedanke wieder. Vielen praktizierenden Buddhistinnen und Buddhisten mag das selbstverständlich erscheinen, doch unsere Forschung hat auch auf wissenschaftlicher Basis bestätigt, dass auch die Mitglieder buddhistischer Gemeinschaften ihr Leben auf etwas gründen, was nach Bruno Latour als vormodern – und zukunftsweisend – bezeichnet werden kann.
Sowohl in der buddhistischen Theorie als auch in der Praxis haben wir Hinweise gefunden, dass die Mönche in beiden untersuchten Klöstern versuchen, der großen Trennung der Moderne entgegenzuwirken. In vielen Interviews spiegelte sich das von Verbundenheit geprägte buddhistische Weltbild wider, das eine Trennung von Mensch und Natur nicht erkennen kann. Einer unserer ordinierten Gesprächspartner sagte beispielsweise:
Wir sind bereits ein Teil der Natur, nicht wahr? Unser Körper ist bereits ein Teil der Natur. Je mehr wir also in Kontakt mit unserem Körper sind, desto mehr sind wir in Kontakt mit der Natur.
Einige Mönche haben die moderne Trennung sogar direkt selbst angesprochen. So sagte einer von ihnen (wir geben alle Zitate gekürzt wieder):
Was ist Natur? Oder was ist überhaupt „nicht Natur“? Zeig mir etwas, was nicht Natur ist. Wir haben manchmal diese Trennung. Diese modernen Dinge kommen auch alle aus der Natur, sind auch natürliche Dinge.
In unserer Arbeit wurde vor allem deutlich, dass das buddhistische Weltbild eine Trennung nicht nur ablehnt, sondern ausdrücklich auf die Verbundenheit und ihre Bedeutung hinweist. Ein Interviewpartner betonte:
Eigentlich sind wir, ob wir es wollen oder nicht, mit der Natur verbunden. Es ist also gut, das zu wissen, und selbst jemand, der in einem Büro sitzt und an einem Computer arbeitet, ist auch mit der Natur verbunden. Es ist nur nicht so einfach, das zu spüren.
Die beiden Klöster versuchen, sich ihres Verbundenseins mit der Natur bewusst zu sein, und mehr noch: Sie nutzen diese auch aktiv. In beiden Klöstern gibt es tief im Wald gelegene Meditationshütten, kutis, die gerade wegen ihres Eingebettetseins in die Natur als Orte des Rückzugs und der Reflexion dienen. Und in beiden bilden Naturstupas hybride buddhistische Fokuspunkte, die zwar von Menschenhand geschaffen sind, aber aus natürlichen Materialien.
Theorie und Praxis
Der Buddhismus hilft nicht nur dabei, die richtungsweisende vormoderne Weltsicht, für die Bruno Latour eintritt, besser zu verstehen und die Sphären von Kultur und
Natur zu vereinen, er setzt auch überaus grundlegend an, indem er darlegt, dass alles in der Welt einen hybriden Charakter hat, alle Phänomene also Misch-Phänomene sind und sich nichts voneinander trennen lässt, weder in der Theorie noch in der Praxis. Einer unserer Gesprächspartner hat es in die schlichten und klaren Worte gefasst:
Man kann die Verbindung zwischen allem nicht leugnen. Ich habe keinen Zweifel daran, dass alles irgendwie miteinander verbunden ist.
Aus solchen Vorstellungen leitet sich für die buddhistische Gemeinschaft die tragende Idee ab, mit der Umwelt in Harmonie leben zu wollen. So sagte ein Mönch:
Wenn wir uns bewusst sind, dass wir alle miteinander verbunden sind, können wir nicht schmarotzen auf Kosten anderer, weil es dann letztendlich auf uns selber zurückfällt.
Zusammenfassend können wir sagen: Der Buddhismus ist gekennzeichnet durch eine Abkehr von extremen Perspektiven – modern oder antimodern – und eine Neigung zur Mitte und zu einem mittleren Weg. Er betont die Bedeutung von Ausgeglichenheit und Harmonie – und genau das weist auf die Lösung hin, die es laut Bruno Latour und vieler anderer, die über diese Themen nachdenken, jetzt braucht: Es gilt, die Welt in ihren Verwurzelungen und Verbindungen zu erkennen.
Unsere Hoffnung ist, mit unserer Arbeit über Leben und Denken in buddhistischen Waldklöstern dazu beigetragen zu haben, dass in unserer Gesellschaft ein tieferes Verständnis für die Beziehung zwischen Mensch und Natur entsteht. Am Beispiel der Waldklöster möchten wir auch zeigen, wie wichtig es ist, dass aus der Theorie eine neue Praxis erwächst, sowohl im Umgang mit der Natur und mit Naturzerstörung wie auch in unserem eigenen Lebensstil, der sich zur Nachhaltigkeit hin verändern muss.
Es geht hier um nicht weniger als eine Zukunft, in der die Beziehung zwischen Mensch und Natur wieder im Einklang sind. Es geht um die Verantwortung jedes einzelnen Menschen, ob buddhistisch orientiert oder nicht, für die Wertschätzung und den Erhalt der natürlichen Welt.
Smilla Brusenbauch und Julie Clausen haben ihre Bachelorarbeit 2023 an der Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften der Universität Hamburg im Studiengang Soziologie vorgelegt. Sie trägt den Titel „Eine soziologische Untersuchung zur Beziehung zwischen Mensch und Natur im Buddhismus in Deutschland und Norwegen“.
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