Faszination einer Weltreligion

Ein Interview mit Renate Noda geführt von Susanne Billig veröffentlicht in der 2/2024 Krieg und Frieden unter der Rubrik Aktuell.

Sonderausstellung Buddhismus im Bremer Übersee-Museum 

Die promovierte Japanologin und Sinologin Renate Noda war Kuratorin für Ostasien am heutigen Weltmuseum Wien, bevor sie 2010 Leiterin der Abteilung Völkerkunde am Übersee-Museum Bremen wurde und dort auch zuständig für die Asien-Sammlungen. Im Interview erläutert sie die Hintergründe der großen „Sonderausstellung Buddhismus“.

Foto: Volker Beinhorn @ Übersee-Museum Bremen

BUDDHISMUS aktuell: Was hat Sie dazu bewegt, die Sonderausstellung Buddhismus auf die Beine zu stellen? 

Renate Noda: Ehrlich gesagt hatte ich vor dem Thema Buddhismus immer großen Respekt, wissenschaftlich bin ich eher auf historische Themen ausgerichtet. Während meiner Beschäftigung mit dieser komplexen Religion bin ich oft an meine Grenzen gestoßen. Auch nach drei Jahren des Lesens und Recherchierens habe ich immer noch das Gefühl, nur an der Oberfläche zu kratzen.

Ab 2015 waren dann mehrfach Spezialisten aus Japan zu Gast am Übersee-Museum, die im Rahmen des Forschungsprojekts „Buddhistische Kunst aus Japan in europäischen Museen“ auch unsere Sammlungen erforschten. Dadurch habe ich unsere japanischen buddhistischen Objekte sehr gut kennengelernt. Die Faszination für die zum Teil sehr alten Objekte und deren besondere Ausstrahlung hat in mir den Wunsch keimen lassen, diese einmal in einer Ausstellung zu zeigen. Daraus ist schließlich die Sonderausstellung Buddhismus entstanden, in der das Thema sich nicht auf Japan beschränkt, sondern wesentlich weiter gefasst ist.

Bis zur fertigen Ausstellung war es dann ein dreijähriger Prozess, der viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus den verschiedenen Abteilung des Übersee-Museums einbezog. Die ersten zwei Jahre stand mir ein Japanologe, der auf den Buddhismus des japanischen Mittelalters spezialisiert ist, als Volontär zur Seite. Mit ihm habe ich zunächst die Magazine nach buddhistischen Objekten durchkämmt. Von insgesamt 1 000 kamen an die 250 auf die Objektliste, bevor das Gestalterbüro „please don’t touch“ ins Boot geholt wurde. Ansonsten bestand das Team hauptsächlich aus Mitarbeitenden des Übersee-Museums: den Restauratorinnen, Präparatorinnen, der Werkstatt, der Grafikerin und so weiter.

Und warum ist das Übersee-Museum in Ihren Augen genau der richtige Ort für diese Ausstellung?

Übersee-Museum Bremen,
Foto: Matthias Haase @ Übersee-Museum Bremen

Das Übersee-Museum hat die entsprechenden Sammlungen und kann eine solche Ausstellung aus den eigenen Beständen heraus konzipieren und verwirklichen. Außerdem entspricht es dem Mission Statement des Übersee-Museums, das auf die Vielfalt der Welt setzt, die uns bereichert und unseren Horizont erweitert. Natürlich wollen wir unser Publikum auch über den Museumsbesuch hinaus inspirieren – ich hoffe, das gelingt mit dieser Ausstellung.

Man könnte argumentieren: Wenn schon in Drogerie-Schaufenstern Buddhafiguren stehen, wissen die Leute so allmählich, was es mit dem Buddhismus auf sich hat . . .

Gerade das ist ja der große Irrtum. Ja, der Buddhismus ist heute Teil der westlichen Alltags-, Wellness- und Konsumkultur. Begriffe wie Karma und Nirvana haben Eingang in die Alltagssprache gefunden. Aber wie viel verstehen wir von der tatsächlichen Bedeutung dieser Wörter, von der traditionellen buddhistischen Praxis in Asien oder von der hochkomplexen Lehre und dem Weltbild der buddhistischen Schulen, die sich im Laufe der Geschichte herausgebildet haben?

Mit der Ausstellung versuche ich einen Einblick in die Vielfalt und den Facettenreichtum dieser Religion zu geben. Die Besucherinnen und Besucher werden eingeladen, den Blick zu erweitern und die im Westen weitverbreiteten Annahmen und Klischees über den Buddhismus zu hinterfragen. 

Mich persönlich beeindruckt am meisten das Konzept der Achtsamkeit. Aber nicht in dem hier im Westen als Megatrend propagierten Sinn, der der ursprünglichen Bedeutung oft komplett entgegensteht. So wie ich es verstehe, geht es darum, die Ich-Verblendung und den Egoismus durch Mitgefühl zu ersetzen, die Trennung der eigenen Person von anderen zu überwinden und eine Verbundenheit herzustellen. In unserer heute so unruhigen Welt ist das eine wertvolle Lehre.

Die buddhistische Welt ist sehr reichhaltig. Sie mussten sich beschränken und Schwerpunkte setzen. Eine große Herausforderung!

Skulptur des Himmelskönigs Zōchōten mit Vajra, dem Blitzbündel, dem essenziellen Symbol des Vajrayana (Japan).
Foto: Volker Beinhorn @ Übersee-Museum Bremen

Als Museumsmensch bin ich ganz pragmatisch herangegangen: Ich habe nachgeforscht, aus welchen Regionen und Ländern unsere buddhistischen Objekte stammen, und mich auf diese konzentriert. Dann habe ich mir angesehen, welche Geschichten, Konzepte sich anhand der Objekte selbst erzählen lassen und die Themen entsprechend ausgewählt. Eine Ausstellung bedeutet immer auch eine Reduktion und eine Fokussierung auf bestimmte Themen, die sich anhand von Exponaten zeigen lassen.

250 buddhistische Objekte aus der eigenen Sammlung wurden dann ausgewählt – darunter außergewöhnliche Highlights aus Myanmar, Thailand, der Seidenstraßenregion, China, Japan und Tibet. Diese geben die regionalen und thematischen Schwerpunkte vor und machen die Veränderungen nachvollziehbar, die der Buddhismus im Lauf seiner Verbreitung in Asien durchgemacht hat. Es hat sich natürlich sehr gut getroffen, dass sich durch diese Objektauswahl genau die drei großen Hauptrichtungen des Buddhismus, Theravada, Mahayana und tibetischer Buddhismus, präsentieren ließen. 

In die verschiedenen Bereiche habe ich Unterthemen eingebaut wie die Rolle des Mönchstums, Buddhismus und Herrschaft, Buddhismus und Gewalt, die Erweiterung des buddhistischen Pantheons im Mahayana-Buddhismus, Pilgerschaft, Buddhismus und Frauen, Buddhismus und Tod, Himmel und Hölle. Es ging mir darum, die gelebte Religiosität der Buddhistinnen und Buddhisten in den asiatischen Herkunftsländern zu zeigen mit all ihren Ritualen, Festen, dem Darbieten von Opfergaben sowie der Verehrung von Reliquien, Bildnissen und heiligen Texten. 

Ein Bogen zur Gegenwart und zur Anziehungskraft des Buddhismus für ein westliches Publikum schließt die Ausstellung thematisch ab, in dem die Rezeptionsgeschichte des Buddhismus im Westen beleuchtet wird.

Das ist alles sehr beeindruckend. Können Sie etwas über die Art der Präsentation erzählen?

Dank der Gestaltungsagentur „please don’t touch“ und des Teams des Übersee-Museums entstand eine elegante, atmosphärische Ausstellung. Die Architektur ist zurückhaltend und die Räume sind eher dunkel gehalten, um die Objekte selbst zum Strahlen zu bringen. Die erstaunliche Vielfalt von Ausrichtungen, Lehren und Ritualen spiegelt sich in den Objekten wider und wird über die Grenzen der jeweiligen Ausstellungsräume zueinander in Bezug gesetzt und so der fortwährende Veränderungsprozess sichtbar gemacht.

Doch die Reise durch die spirituelle und kulturelle Welt des Buddhismus geht über die Präsentation von Exponaten hinaus. In Audio- und Video-Stationen sowie Installationen erleben Besucherinnen und Besucher die denkwürdigen Ereignisse in der Nacht von Buddhas Erwachen, tauchen ein in die meditative Atmosphäre eines Zen-Gartens, verweilen bei einem stimmungsvollen Lichtermeer anlässlich des japanischen Allerseelenfests oder staunen über die monumentalen heiligen Stätten, die die Geschichte des Buddhismus geprägt haben.

Foto Volker Beinhorn © Übersee-Museum Bremen

Der Buddhismus steht einerseits in einer langen Tradition, auf der anderen Seite lebt er mitten in der heutigen Zeit, in Asien wie im Westen. Wie thematisiert die Ausstellung das Spannungsfeld „Tradition und Moderne“?

Das geschieht vor allem im Bereich „Der Buddhismus im Westen“, der die Geschichte der Rezeption des Buddhismus im Westen seit Ende des 19. Jahrhunderts anhand ausgewählter Bücher und ihrer Autorinnen und Autoren vorstellt. Diese Beispiele machen deutlich, wie um eine zeitgemäße Neuinterpretation der buddhistischen Lehre gerungen wurde und ein buddhistischer Modernismus entstand. Dabei wird auch auf die enge Wechselwirkung zwischen der buddhistischen Erneuerungsbewegung in Südostasien und den Anfängen der Verbreitung des Buddhismus im Westen eingegangen und auf die starken Wurzeln des sozial engagierten Buddhismus in der ostasiatischen Mahayana-Tradition. Es soll deutlich werden, dass der Buddhismus sich wie seit jeher verändert und auch an unsere moderne Welt anpasst.

Interviews mit Buddhistinnen und Buddhisten aus Bremen und dem Umland zu aktuellen Themen wie Frauen- und Menschenrechten ergänzen die Ausstellung hier um zeitgenössische Stimmen.

Foto Volker Beinhorn © Übersee-Museum Bremen

Sie untersuchen in der Ausstellung auch die Rolle der Frauen im Buddhismus. Warum ist Ihnen dieser Aspekt wichtig?

Nun, zunächst bin ich selbst eine Frau. Aufgrund meiner persönlichen Erfahrungen in Japan hatte ich mich sowohl in meiner Dissertation als auch in meiner Lehrtätigkeit der Frauen- und Genderforschung zugewandt. Das Thema liegt mir also am Herzen.

Im westlichen Buddhismus gibt es so viele engagierte Frauen, dass man geradezu den Eindruck gewinnt, der Buddhismus sei eine frauenfreundliche Religion, in der Frauen gleichberechtigt neben Männern praktizieren können. Historisch gesehen ist das allerdings mitnichten der Fall. Der Buddhismus hat da, wie auch andere Religionen, einiges aufzuarbeiten.

Einem aufmerksamen Publikum wird auffallen, dass unter den vielen ausgestellten Buddha- und Bodhisattva-Figuren mit Ausnahme der Guanyin in China alle männlich sind. Schon daran erkennt man, dass der Buddhismus stark männlich geprägt ist. Traditionell überwiegt die Auffassung, dass man nicht im Körper einer Frau das Erwachen erreichen oder gar ein Buddha werden kann. Anhand der kleinen Figur des Drachenmädchens aus China kann man sehr schön erzählen, wie das im Mahayana-Buddhismus trotzdem gelingt. Aber das möchte ich hier nicht verraten.

Auf das Problem der fehlenden oder abgebrochenen vollen Nonnenordination in den meisten buddhistischen Traditionen gehe ich mit einer der wenigen Leihgaben in dieser Ausstellung ein: Die Buddhismus-Professorin Carola Roloff hat uns die Nonnenrobe zur Verfügung gestellt, die sie 1985 bei ihrer Ordination zur buddhistischen Nonne in Taiwan trug. Sie war 1981 in Dharamsala in Indien in den tibetisch-buddhistischen Orden der Gelugpa als Novizin eingetreten. Da es aber in Tibet keine Ordinationstradition für Frauen gibt, entschied sie sich für eine volle Ordination in der Tradition der Dharmaguptaka-Linie, der einzigen bis heute lebendigen Ordinationspraxis für Nonnen.

Was können Sie über das Rahmenprogramm erzählen?

Mönchsfigur mit Bettelschale, Myanmar.
Foto Volker Beinhorn © Übersee-Museum Bremen

Die Sonderausstellung Buddhismus wird von einem umfangreichen Programm aus Führungen, Vorträgen, Expert:innen-Talks, Workshops, Yoga und Meditation begleitet. Es bietet die Gelegenheit, tiefer in die Themen der Ausstellung einzutauchen, vom Buddhismus beeinflusste Kunst und Musik kennenzulernen. Vor allem war mir wichtig, einen Austausch zwischen Besucherinnen, Besuchern und buddhistischen Praktizierenden zu ermöglichen. Jeden ersten Sonntag im Monat stellen sich unterschiedliche buddhistische Schulen aus Bremen und Umgebung vor. 

Besondere Highlights sind ein Talk zum Thema „Frauen- und Menschenrechte im Buddhismus“ am 8. März 2024, an dem unter anderen Carola Roloff teilnimmt, und das Streuen eines Sandmandalas durch tibetisch-buddhistische Mönche aus Ladakh zwischen dem 9. und 13. April 2024.

Die Ausstellung läuft schon eine Weile – welche Rückmeldungen haben sie bislang besonders gefreut oder auch überrascht?

Die Ästhetik und die Atmosphäre der Ausstellung werden immer wieder positiv hervorgehoben. Von vielen Besucherinnen und Besuchern wird die Vielfalt des Buddhismus staunend zur Kenntnis genommen.

Besonders haben mich die Rückmeldungen von in Bremen und Umgebung praktizierender Buddhistinnen und Buddhisten gefreut, denen die Unterschiede zwischen ihrer Praxis hier im Westen und der in den buddhistischen Ländern bewusst geworden ist. Auch sie freuten sich, wieder einmal vor Augen geführt zu bekommen, wie vielfältig der Buddhismus ist.

Gibt es auch einen Katalog zur Ausstellung?

Wir haben uns für eine Begleitbroschüre entschieden, die ergänzend zur Ausstellung einen vertiefenden Blick auf einige der gängigsten Klischees über den Buddhismus wirft und sich kritischeren Themen wie dem Umgang mit Frauen, Herrschaft oder Machtmissbrauch widmet. Als besonderes digitales Extra können außerdem 3-D-Modelle ausgewählter Exponate über QR-Codes entdeckt werden.

Haben Sie herzlichen Dank für Ihre großartige Arbeit und dieses Interview!

Weitere Informationen

uebersee-museum.de/sonderausstellung-buddhismus

Buddha Shakyamuni, Myanmar, Bronze, 19. Jahrhundert.
Foto Volker Beinhorn © Übersee-Museum Bremen

 

Renate Noda

Renate Noda, geboren 1965, hat in Bonn Sinologie studiert, mit einem Studienaufenthalt in Jinan (Provinz Shandong in der Volksrepublik China). Dem Studium folgten langjährige Aufenthalte in Kumamoto, Japan, und Hong Kong. Ihr Dissertationsstudium der Japanologie nahm sie in Wien auf und promovierte 2010. Von 2004 bis 2010 war sie Kuratorin für Ostasien am Museum für Völkerkunde Wien und als Lehrbeauftragte in den Fachbereichen Sinologie und Japanologie an der dortigen Universität tätig. Seit 2010 ist sie Leiterin der Abteilung Völkerkunde am Übersee-Museum Bremen. Von 2011 bis 2016 war sie Vorstandsmitglied der Deutsch-Japanischen Gesellschaft zu Bremen.

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