Ein Leben in der Praxis des Zen
In diesem Jahr wird Dagmar Doko Waskönig, die das buddhistische Leben in Deutschland seit vielen Jahren prägt, 80 Jahre alt. Die Zen-Lehrerin ist im interreligiösen Dialog engagiert, war lange Zeit Ratsmitglied der Deutschen Buddhistischen Union und ist Mitglied im Kuratorium der Brambosch-Schaelen-Stiftung, die sich die Förderung buddhistischer Nonnen und Nonnenprojekte zur Aufgabe gemacht hat. Eine Würdgung von Felicitas von Aretin.
Alles ist an seinem Platz. Der Stuhl. Der Tisch und die darüber befindliche Tuschezeichnung. Wer in Hannover freundlich von der Leiterin des Zentrums „Zen Dojo Shobogendo“ begrüßt wird, spürt Klarheit und Ruhe. Seit 1983 leitet Dagmar Doko Waskönig das Meditationszentrum. Parallel hat die Kunsthistorikerin im vietnamesischen Kloster Vien Giác die Vollordination als buddhistische Nonne empfangen. Damit gehört sie unter den deutschen Buddhisten zu einer Ausnahmeerscheinung. Der Zen-Buddhismus entwickelte sich als eine Strömung des Buddhismus in Ostasien. In der im Westen bekanntesten Form kommt er aus Japan. Im Mittelpunkt steht das Meditieren in Stille, das sogenannte Zazen. Unter Dojo versteht man einen „Ort der Übung.“ Regelmäßig können Interessierte in Hannover an der Meditation teilnehmen, einführende Seminare über „Meditation und Buddha-Lehre“ oder „Einführung in den Zen-Buddhismus“ besuchen oder sich unter der Leitung von Dagmar Doko Waskönig einer intensiven Praxis widmen.
Seit der Kindheit zur Religion hingezogen
Der eigene Weg zum Buddhismus entwickelte sich nach einer Loslösung vom Christentum in einer Zeit, als dieser hierzulande noch kaum präsent war. „Während der Beerdigungsfeier meiner Mutter spürte ich, dass ich den Glauben an Gott verloren hatte“, erzählt sie. Zuvor waren Zweifel an dieser Lehre aufgekommen, als sie sich in jungen Jahren intensiv mit dem Nationalsozialismus befasste und das Geschehene nicht mit der übermittelten Vorstellung eines eingreifenden Gottes in Einklang bringen konnte. Als Dagmar Waskönig ihren christlichen Glauben verlor, war sie 21 Jahre alt. Die Mutter hatte sich dem Christentum verbunden gefühlt, weshalb sie ihre damals noch ungetauften beiden Töchter in Wattenscheid in die evangelische Gemeinde schickte. Dagmar Waskönig fühlte sich seit ihrer Kindheit zur Religion hingezogen und besuchte regelmäßig den Kindergottesdienst und ging bis zum Abitur jeden Sonntag in die Kirche. „Ich stamme aus einer bildungsbürgerlichen Akademikerfamilie“, berichtet die im Ruhrgebiet Aufgewachsene. „Meine Mutter hat absolutes Vertrauen in mich gesetzt“, sagt sie und betont, wie unabhängig sie von der Mutter erzogen worden sei. Nicht zuletzt wurde auch ihr ästhetisches Bewusstsein durch die Mutter geschärft.
Mit 14 Jahren beginnt sie Klavier zu spielen und sich für die sakrale Kunst des Mittelalters zu interessieren. Die Liebe zur Musik, zur Schönheit und Ästhetik ist geweckt. Nach dem Abitur studiert Dagmar Waskönig in Tübingen und Hamburg Kunstgeschichte, gerät allmählich in das Fahrwasser der 68er und der Frauenbewegung und wird schließlich Marxistin. Durch ihren Mann kommt sie 1970 nach Hannover. Sie engagiert sich an einer neu gegründeten Gesamtschule und unterrichtet „linke“ Kunstgeschichte und arbeitet in diversen Museen. Anfang der siebziger Jahre hat sie sich der evangelischen Kirche so weit entfremdet, dass sie die Kirche verlässt und austritt.
Intensive Zazen-Praxis
Im Rahmen einer generellen Gesellschaftskritik entdeckt sie die Wichtigkeit manueller Arbeit. „Es war die Küche, die zum Katalysator für meinen buddhistischen Weg wurde“, erzählt sie. Durch ein von der japanischen Tempelküche beeinflusstes Kochbuch findet sie zu einem vegetarischen Lebensstil. Yoga-Unterricht nach einem Bandscheibenvorfall und ein Büchlein des populären Meisters Taisen Deshimaru Roshi, das im Bioladen ausliegt, führen sie zum Zazen, einer Meditationsform, die sie seit den siebziger Jahren übt. Der japanische Zen-Meister lehrte einen Buddhismus, der das Alltagsleben im Zen-Stil einbezog und gründete 1980, kurz vor seinem Tod, den ersten Zen-Tempel Europas in Frankreich. Auch förderte er den interreligiösen Dialog mit Dominikanermönchen, Juden und Muslimen.
„Damit waren die Würfel gefallen“, erzählt die Italienliebhaberin, die 1983 erstmals zu einem neuntägigen Retreat an den Comer See reist – ihre Ehe war inzwischen gescheitert. Dort war der buddhistische Mönch Fausto Taiten Guareschi im Begriff, ein Kloster zu gründen. Der Italiener betrieb seit seiner Jugend in Fidenza in der Nähe von Parma Judo. Durch seinen Sportlehrer, der Meister Taisen Deshimaru Roshi persönlich kannte, war er in Berührung mit der japanischen Soto-Zen-Tradition gekommen. 1984 war das Kloster Shobozan Fudenji in Italien fertiggestellt. Dagmar Doko Waskönig ist fasziniert von dem Charisma der Mönche und Nonnen, angetan von der besonderen Atmosphäre des Klosters in ihrer lichten Weite. Der Italiener wird ihr erster Meister und ordiniert sie 1986 zur Zen-Nonne. „Der Meister war fordernd“, berichtet sie von ihren italienischen Jahren. Im Kloster Shobozan Fudenji erhält sie eine intensive Ausbildung inklusive eines Studiums der buddhistischen Lehre, übernimmt diverse Ämter, erlernt Instrumente des Klosters und praktiziert intensiv Zazen. Das für die Ordination benötigte traditionelle Flickengewand wird in dieser Tradition persönlich per Hand genäht. Zusammen mit dem Set der EssschaIen wird es bei der Ordination übergeben. Im Rahmen des Klosterbetriebs baut Taiten Guareschi ein buddhistisches Studien-Programm auf, an dem Doko mit großem Interesse teilnimmt. Sie pendelt zwischen Hannover und Salsomaggiore und leitet bis 1996 in dem italienischen Kloster den Studiengang „Geschichte und Philosophie des Buddhismus“ als Direktorin mit internationalen Kontakten.
Auf neuen Wegen
Dann kommt es zum Bruch mit dem Meister. Dagmar Doko Waskönig intensiviert nun ihre Aktivitäten in Hannover und in den buddhistischen Dachverbänden. Seit Mitte der neunziger Jahre engagiert sie sich lange Jahre im Rat der Deutschen Buddhistischen Union, später im Vorstand der Deutschen Buddhistischen Ordensgemeinschaft. Ihr Blick weitet sich und sie lernt neben dem japanischen Zen-Buddhismus weitere Formen, Traditionen und Ausrichtungen kennen. So studiert sie den tibetischen Buddhismus und übt sich parallel in der Theravada-Meditation.
Außerdem dringt sie tief in die Lehre des japanischen Meisters Dogen Zenji (1200–1253) ein, insbesondere in dessen philosophisches Hauptwerk mit dem Titel Shobogenzo. Dogen Zenji brachte die Soto-Richtung des chinesischen Chan (japanisch Zen) nach Japan mit Betonung der gemeinschaftlichen Sitzmeditation, das sogenannte Zazen. Lange Zeit galten seine Schriften als zu komplex, um interpretiert zu werden. Im Jahre 2000 organisiert Doko Waskönig in der Pagode in Hannover den Jahreskongress der Deutschen Buddhistischen Union und nimmt dies zum Anlass, den 800. Geburtstag von Dogen Zenji besonders zu würdigen und ihn in buddhistischen Kreisen besser bekannt zu machen. Zu dem Kongress lädt sie auch den Zen-Meister Gudo Wafu Nishijima Roshi aus Tokio ein, einen der führenden Shobogenzo-Spezialisten. Später reist sie in sein Dojo, das heißt in sein Meditationszentrum, in Ichikawa, in der Nähe von Tokio.
„Seine umgängliche Art, seine Auslegung des Shobogenzo und des Zazen haben mich sehr angezogen“, erzählt die Zen-Meisterin, die 2003 in Japan die Dharma-Übertragung von ihm erhält. Im chinesischen Chan-Buddhismus sowie in der japanischen Form des Zen wird darunter die Übertragung der vollständigen Lehrautorisierung an den Schüler verstanden. Dies bedeutet, dass der Meister seinen Schüler als seinen würdigen Nachfolger, seine Nachfolgerin ansieht, was einen gewissen Reifegrad und eine vertiefte Zen-Praxis bei dem Schüler voraussetzt.
Lehrvorträge an vielen Orten
Die Vermittlung des Zen-Weges, wie sie Dagmar Waskönig bereits in Italien erfahren hat, wird durch vier Komponenten bestimmt: Zazen, die Sitzmeditation in Stille, das Arbeiten mit den Händen, rituelle Aktivitäten sowie die Lehrvermittlung. Die Vermittlung der Lehrgrundlagen spiele für sie wie auch für ihre beiden Lehrer eine zentrale Rolle. Im Zentrum Shobogendo bietet sie Meditationen und Vorträge zu Themen der Buddha-Lehre an und hält an vielen Orten Lehrvorträge. 2010 erscheint ihr Buch mit Kommentaren zu Meister Dogens Werk Shobogenzo. Sieben Jahre vorher hat sie eine Textsammlung von deutschen Buddhisten über ihren Weg zum Buddhismus herausgegeben und damit die Neugier mancher Laien gestillt, für die diese Lebensform noch immer etwas Exotisches hat.
In Hannover spielt das buddhistische Leben eine bestimmte Rolle: Neben einem thailändischen Kloster zählt die vietnamesische Pagode Vien Giác zur den größten ihrer Art in Europa. In Deutschland leben nach Angaben des Abts rund 80.000 Menschen mit vietnamesischen Wurzeln. „Ein deutscher Freund, der in der Pagode lebte, fühlte sich einsam und lud mich zu den Mittagessen ein“, erinnert sich Dagmar Waskönig – der unbeabsichtigte Beginn einer sich vertiefenden Beziehung zur Pagode. 2005 erhält sie in der Pagode im Rahmen einer traditionellen Zeremonie die Vollordination zur Nonne gemeinsam mit anderen Nonnen und Mönchen, die aus Asien stammen. Sie legt Jahrhunderte alte Gelübde ab, wie beispielsweise die Verpflichtung, zölibatär zu leben. Diese Regel hatte für sie als japanische Zen-Meisterin nicht gegolten, da in Japan das Zölibat spätestens Ende des 19. Jahrhunderts abgeschafft worden war.
Der bekannte Gründerabt Thich Nhu Dien integrierte sie mehr und mehr in die Pagode, die sich der „Reines-Land-Schule“ verpflichtet fühlt. Wenn sie nicht gerade lehrt, Vorträge oder Seminare hält, isst sie täglich mit den Mönchen in der Pagode zu Mittag und nimmt an den für Ordinierte verpflichtenden Dreimonats-Retreats im Sommer teil. „Vietnamesisch werde ich aber nicht mehr lernen“, erzählt sie, das hätte sie lieber vor dreißig Jahren machen sollen. Im Buddhismus wird Mönchen und Nonnen nicht vorgeschrieben, an einem festen Ort oder in einem Kloster zu bleiben. Dagmar Doko Waskönig lebt deshalb weiterhin in einer kleinen Wohnung und finanziert ihren Unterhalt durch ihre Lehr- und Seminartätigkeit.
Ordinierte schließen sich zusammen
„Wie die meisten ausländischen Mönche und Nonnen leben die Mitglieder der Pagode weitgehend unter sich“, erklärt sie. Asiatische Nonnen lebten häufig deutlich weniger gleichberechtigt als Deutsche, an ein anderes Auftreten der westlichen Nonnen müssten sich die asiatischen Mönche allmählich gewöhnen. „Nur wenige Nonnen und Mönche können in Deutschland in einem Kloster leben“, erklärt Dagmar Doko Waskönig. Zwar gebe es viele buddhistische Zentren für Laien, aber kaum Klöster für Ordinierte. Zudem existieren hierzulande unterschiedliche buddhistische Traditionen, was sich auch in einer etwas unterschiedlichen Befolgung von Vorschriften widerspiegelt. Um der Vereinzelung von Ordinierten verschiedener Traditionen entgegenzuwirken, wurde 2008 auf Anregung des vietnamesischen Abts Thich Nhu Dien die Deutsche Buddhistische Ordensgemeinschaft (DBO) gegründet. Seither treffen sich Ordinierte zu regelmäßigen Treffen und sind untereinander besser vernetzt. „Wir diskutieren beispielsweise die schwierige Situation für Ordinierte in Deutschland.“ Auch ein regelmäßiger Austausch über das jeweilige Umgehen mit den verpflichtenden Gelöbnissen und Vorschriften werde als hilfreich empfunden. Der Verein möchte künftig für eine bessere Ausbildung für Novizinnen sorgen und Mönche und Nonnen gegebenenfalls finanziell, etwa beim Abschluss einer Krankenversicherung, unterstützen. Bei der Gründung von Klöstern in Deutschland sollen in Asien praktizierte Strukturen jedoch nicht komplett übernommen werden. „Der frische Blick auf die Lehre und Praxis des Buddha-Weges, auf den man sich hier so gern beruft, sollte es ermöglichen, angemessene, wohl bedachte Wege zu beschreiten.“
Der Artikel stammt aus Felicitas von Arentins Buch „Starke Schwestern. Klosterreisen – Inspirationen für ein anderes Leben“ und ist 2022 im Herder Verlag, Freiburg erschienen.