Ein Buddhismus in der Sprache des Westens

Ein Interview mit Noah Rasheta geführt von Susanne Billig veröffentlicht in der Ausgabe 2021/4 Verbundenheit unter der Rubrik Buddhismus Heute. (Leseprobe)

Ein Gespräch über säkularen Buddhismus mit dem Buchautor und Podcaster Noah Rasheta

Haben Sie sich von Anfang an im säkularen Buddhismus zu Hause gefühlt oder auch andere buddhistische Schulen erkundet?

2012 habe ich an einem Seminar über Weltreligionen teilgenommen. Dort stellte jemand die Frage nach dem Sinn des Lebens. Die verschiedenen religiösen Vertreterinnen und Vertreter erklärten die Ansichten ihrer jeweiligen Religionen, nur der Buddhist sagte etwas Erstaunliches: „Der Buddhismus dreht die Frage um und fragt zurück: Wer ist es, der diese Frage stellt?“ Das hat mich fasziniert.

Anschließend habe ich buddhistische Zentren und Tempel der verschiedensten Richtungen besucht. Die Einfachheit des Zen und sein nicht religiöser Ansatz beeindruckten mich, doch dann entdeckte ich die Werke von Stephen Bachelor und das Konzept des säkularen Buddhismus; dabei blieb ich dann. In den folgenden Jahren habe ich viel buddhistische Literatur gelesen und mich in einem zweijährigen Studienprogramm zu einem buddhistischen Lehrer ausbilden lassen. Es wurde von einer Schule angeboten, die zum japanischen Reine-Land-Buddhismus gehört, aber sehr offen für das Denken anderer Schulen ist. Auch das war also ein nicht dogmatischer, beinahe nicht religiöser Zugang zum Buddhismus. 

Sie sind im Kontext des säkularen Buddhismus sehr aktiv. Was tun Sie – und was motiviert Sie dazu? 

Ich habe Bücher zur Einführung in den Buddhismus geschrieben, darin wollte ich den Buddhismus kurz und bündig an Menschen weitergeben, die wie ich weltlich eingestellt sind. Denn es gab in meiner Umgebung viele, die sich von der Religion abgewandt hatten, genau wie ich. Und genau wie ich waren sie immer noch an irgendeiner Form von Spiritualität interessiert, aber eben nicht an einer Religion. Diese Menschen begannen, mir Fragen zum Buddhismus zu stellen. Sie wollten wissen, warum genau ich die organisierte Religion verlassen hatte und was ich nun im Buddhismus entdeckte.

Auch in meinem Podcast „Secular Buddhism“ möchte ich den Buddhismus als eine Philosophie teilen, die andere Menschen kennenlernen und auf ihr tägliches Leben anwenden können. Es gibt, wie ich erfreut festgestellt habe, ein ziemlich großes Publikum, das buddhistische Lehren auf eine nicht religiöse Weise erforschen möchte. 

Eine weitere Motivation für den Podcast sind meine Kinder. Sie werden in einer anderen religiösen Tradition erzogen und deshalb verstehe ich meinen Podcast auch als eine Möglichkeit, meine von buddhistischen Lehren beeinflussten Ansichten über das Leben mit ihnen zu teilen – sodass sie, wenn ich vielleicht einmal nicht mehr da bin, eines Tages verstehen können, wie ich gedacht habe. Mit dem Podcast gibt es sozusagen einen Ort, an den sie gehen können, um alles darüber zu hören. 

Was ist säkular am säkularen Buddhismus – und was nicht säkular an anderen buddhistischen Schulen? 

Verglichen damit, wie wir Religion im Westen verstehen, ist der Buddhismus insgesamt eine nicht theistische Tradition. Es gibt darin keinen Schöpfergott und es geht nicht darum, die großen Dinge der Welt zu verstehen, sondern zu begreifen, was in meinem eigenen Geist vor sich geht. Warum denke, spreche, handle ich so, wie ich es tue? Wenn du Buddhismus praktizierst, erhältst du kein besseres Bild der Realität, sondern ein besseres Verständnis der Natur deines eigenen Geistes. In allen seinen Schulen bietet der Buddhismus Werkzeuge und Praktiken an, die dem Innenleben der Person dienen sollen, die praktiziert.

Es gibt allerdings buddhistische Schulen, in deren Tempel Sie gehen können, und alles, was Sie dort erleben, fühlt sich an wie eine religiöse Praxis. Wenn Sie sich vom Standpunkt der Lehren aus mit diesen Schulen befassen, werden Sie feststellen, dass es auch ihnen nicht um Theismus geht. Aber die rituellen Praktiken wirken religiös – Mantrarezitationen, Niederwerfungen vor Buddhastatuen.

Ich möchte die nicht religiösen Vorteile der buddhistischen Praxis umarmen. Dabei denke ich nicht, dass es einen gravierenden Unterschied in Bezug auf die Kernlehre des Buddhismus gibt. Wenn wir das Wort „säkular“ verwenden, möchten wir Menschen nicht von einem nicht säkularen Buddhismus wegführen, sondern ihn einem Publikum präsentieren, das sonst vielleicht nicht zugehört hätte. Das Wort säkular oder weltlich führt dazu, dass es weniger Berührungsängste gibt, weil die Bedrohung wegfällt, dass mir dort jemand etwas Religiöses predigen möchte. Der säkulare Buddhismus ist vielleicht einfach wie eine weitere buddhistische Schule. So jedenfalls sehe ich das, auch wenn andere es anders sehen mögen. 

Noah Rasheta

In Ihrer Podcast-Serie gibt es einen intensiven Bezug auf buddhistische Literatur aller Art. Welches Verhältnis haben Sie dazu?

Das ist eine interessante Beobachtung. Tatsächlich empfinde ich keine Opposition zu Literatur aus welcher Schule auch immer. Ich befasse mich mit allem, was für mich Sinn ergibt. Und wenn etwas für mich keinen Sinn ergibt, weil es vielleicht von etwas Übernatürlichem spricht – dann lasse ich es einfach im Regal stehen, dort, wo die für mich irrelevanten Inhalte stehen. Die relevanten Inhalte nehme ich aus dem Regal, befasse mich damit und wende sie auf mein tägliches Leben an. Das heißt aber nicht, dass für mich irrelevante Inhalte schlecht oder falsch sind – sie ergeben einfach keinen Sinn für mich; sie sprechen mich nicht an.

Es gibt Modernisierungsbemühungen in vielen buddhistischen Schulen, denken wir an Frauenrechte, Prinzipien der Demokratie, die Beschäftigung mit dem wissenschaftlichen Denken. Teile der Traditionen sind dafür sehr offen. Ein Beispiel ist die große Liebe des Dalai Lama zur westlichen Wissenschaft. Warum mit dem säkularen Buddhismus eine eigene Bewegung gründen, anstatt Modernisierungsbemühungen innerhalb bestehender Traditionen zu unterstützen? 

Das ist sicherlich eine Option und tatsächlich gibt es achtenswerte Modernisierungsbemühungen in vielen buddhistischen Traditionen. Der Buddhismus hat sich an alle Kulturen angepasst, in die er eingewandert ist, und wird sich auch an den Westen anpassen. Allerdings scheint es mir fast unnatürlich, meine eigene kulturelle Prägung beiseitezuschieben und zu sagen: „Halt! Bevor ich die buddhistische Lehre in einer Sprache ausdrücke, die zu mir und meiner Kultur passt, warte ich doch erst einmal, bis sich der tibetische, thailändische, japanische, chinesische Buddhismus modernisiert hat.“ 

Wenn die Tradition nicht länger meine Richtschnur ist für das, was ich lerne, übe, lese, höre – was wird dann zu meiner Richtschnur? Oder brauchen wir keine Richtschnur?

Ich bin mir nicht sicher, ob wir eine Richtschnur brauchen. Im traditionellen buddhistischen Kontext suchte der Schüler einen Lehrer und lernte von ihm, bis er selbst zum Lehrer wurde. In unserer heutigen westlichen Welt gibt es so viele Formen des Zugangs zu Lehrern. Wenn Sie heute ein Buch lesen oder einen Podcast hören, ist es fast so, als folgten Sie der persönlichen Anleitung einer Lehrerin oder eines Lehrers. Es gibt heute so viele Möglichkeiten, buddhistischen Lehrerinnen und Lehrern zu begegnen, ohne das ursprüngliche Modell abonnieren zu müssen.

Auf diese Weise kann ich meine eigene Richtschnur sein: Ich folge den Büchern, bis alles für mich Sinn ergibt und ich mein eigener Lehrer werden kann. Das ist für mich der ideale Weg. Wenn ich etwas hervorheben darf an meiner Herangehensweise an den Buddhismus, ist es das: Der Guru, den Sie suchen, sind tatsächlich Sie selbst. Und ich persönlich würde mich keinem anderen Lehrer unterwerfen wollen.

Sicherlich kann das auch bedeuten, dass Sie zwischendurch vielleicht einmal nicht wissen, wie es mit dem Lernen und Üben weitergehen soll. Das Lernen ohne Lehrerin oder Lehrer hat also seine Vor- und Nachteile. Deshalb biete ich eine Art Richtschnur in Form von Workshops an. Mein Achtsamkeitsworkshop beispielsweise dauert etwa acht Wochen; dann haben Menschen die Basics erlernt. So etwas kann man heutzutage Technologie-unterstützt gut machen.  

Weitere Informationen

Bücher von Noah Rasheta: „No-Nonsense Buddhism for Beginners: Clear Answers to Burning Questions about Core Buddhist Teachings”, Althea, 2018; „Secular Buddhism“, Blurb 2019.

Podcast: secularbuddhism.com

ENDE DER LESEPROBE

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Noah Rasheta

lebt in Utah, USA und unterrichtet weltweit per Internet und in Workshops Achtsamkeit und säkularen Buddhismus.

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