Editorial der Ausgabe 2025/4

Ein Beitrag von Susanne Billig veröffentlicht in der 4-2025 Heilung unter der Rubrik Editorial.

Liebe Leserinnen und Leser,

Heilung ist ein Sehnsuchtswort. Es klingt nach umfassen- dem Wiederganzwerden. Kein Schmerz mehr, keine Verletzungen, keine Fragilität. So wie der Körper nach einer Krankheit wieder werden soll, wie er vielleicht zuvor ein- mal war, robust und Herausforderungen bestens gewachsen, soll auch unser Zusammenlebenwieder heil und ganz werden – resilient und fähig, friedlich auszutarieren, was an Differenzen und Meinungsverschiedenheiten nun einmal zum Leben gehört. Esmüsste doch möglich sein.

Die Wahrheit kennen wir alle: Wenn es überhaupt geht – ohne Narben, ohne davon gezeichnet zu sein, geht es oft nicht. Krankheiten hinterlassen Spuren. Gesundheitliche oder soziale Entgleisungen schreiben sich der Zukunft ein. Manche Krankheiten ufern so massiv aus – in der politisch zu verantwortenden Welt, in dem von uns persönlich gestalteten sozialen Leben, in unseren Psychen und Körpern und denen unserer Liebsten –, dass Heilung weit entfernt scheint. Weltweit wütend Kriege, menschengemachter und -gewollter Hunger grassiert, Klimakipppunkte verwandeln sich von der Theorie in die Realität, Proteste verhallen im mitmenschlichen und politischen Nirgendwo.

„Für mich als Seelsorgerin und als Praktizierende bedeutet Heilung in erster Linie: radikale Gastfreundschaft zu üben. Dem anderen Menschen gegenüber, genauso, wie er ist. Und dem Moment gegenüber, genau so, wie er sich zeigt.“ Das erklärt die buddhistische Seelsorgerin und Zen-Priesterin Mary Myoku Remington imSchwerpunkt der vorliegenden Ausgabe. Das tue sie ohne Ziel und Erwartungen, denn es gehe um „ein echtes, weites, offenes Herz. Und aufrichtige Neugier: Wer bist du? Was hat dich geprägt? Was trägt deine Freude – und was dein Leid? Was macht dir das Herz schwer? Was nährt deine Seele?“ Radikale Akzeptanz – „nichtals Methode, sondern als gemeinsamer Weg des Entdeckens.“

Als „Großer König der Ärzte“ wird der Buddha häufig bezeichnet. Daran erinnert die Gemeinschaft Dharma Drum Mountain in ihren Anregungen zum weisen Umgang mit Krankheit. Denn der Buddha schaut tief in die Ursachen des Leidens und empfiehlt damit eine innere Bewegung weit jenseits jeglichen Verdrängens. Genau das macht den Buddhismus als Philosophie und Praxis zu etwas fundamental anderem als Positive Psychologie oderEntspannungstechniken, wie hilfreich sie auch sein mögen. Alter, Krankheit, Schmerzen und Tod bleiben unvermeidlich, und buddhistische Praktizierendeschieben sie nicht an den Rand ihrer Wahrnehmung, sondern nehmen jede Begegnung damit als eine Gelegenheit zur Einsicht in die wahre Natur des Lebens. Dennoch, daran erinnert die Meditationslehrerin Isolde Schwarz, geht es immer auch darum, aus echtem inneren Frieden heraus leben undhandeln zu können. „Hilft es anderen, wenn ich mich aufrege, ängstige, sorge, die politischen Umstände innerlich beklage?“, fragt sie. „Oder ist es nichtvielmehr so, dass mein innerer Frieden zum Frieden in meinem direkten Umfeld beitragen kann – und insofern auch zum Frieden in der Welt? Auch derBuddha, auch der Dalai Lama sagen ganz klar: Kümmere dich radikal um den Frieden in dir selbst. Denn dort beginnt alles.“

Das sind nur einige Beispiel für die vielen Reflexionen und Inspirationen im Schwerpunkt, aber auch den weiteren Themengebieten, Buchrezensionen und Magazinbeiträgen der Herbstausgabe 2025.

Kurzfristig erreicht uns die Nachricht, dass die langjährige ehemalige Chefredakteurin von BUDDHISMUS aktuell Michaela Doepke diesesLeben am frühen Morgen des 29. August 2025 verlassen hat. „Michaela hat durch ihr Wirken im Buddhismus ihr Leben zu einem Geschenk für viele Menschen gemacht“, schreibt die Ehrwürdige Ani Karma Tsultrim am Tag nach ihrem Tod. Die spirituelle Leiterin des Dharma-Tor Zentrums Bodhicharya Huttenried konnte Michaela Doepke in einer tiefen und vertrauensvollen Beziehung auf ihrem inneren Weg begleiten. In der kommen- denAusgabe werden wir ausführlich an Michaela und ihr Engagement erinnern.

Wir wünschen euch und Ihnen eine heilsame, nachdenkliche, inspirierende Lektüre und grüßen herzlich – das Redaktionsteam und

Susanne Billig,
Chefredakteurin

Susanne Billig

Susanne Billig ist Biologin, Buchautorin, Rundfunkjournalistin (Wissenschaft, Gesellschaft) und Sachbuchkritikerin. Sie ist seit 1988 in Praxis und Theorie mit Buddhismus und interreligiösem Dialog befasst, Kuratoriumsmitglied der Buddhistischen Akademie Berlin-Brandenburg und Chefredakteurin von BUDDHISMUS aktuell.

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