Editorial der Ausgabe 2024/3
Liebe Leserinnen und Leser,
mit dem Thema „Geist“ betreten wir im Schwerpunkt dieser Ausgabe ein Gebiet spannender Gespräche zwischen dem Buddhismus und westlichen Denktraditionen.
Für den Buddhismus ist der Geist Dreh- und Angelpunkt des buddhistischen Lebens. Nicht in erster Linie, um die Natur des Geistes theoretisch zu erörtern, auch wenn das intellektuelle Erörtern dem Buddhismus natürlich nicht fremd ist. Wichtiger aber ist es ihm, Menschen zu einer persönlichen Transformation zu inspirieren.
Auf diesem Weg gilt es, den Geist in seinen emotionalen und gedanklichen Regungen wahrzunehmen und zu schulen, um fundamentale Umstände des Lebens zu erkennen: Dass wir unser Glück auf Sand zu bauen versuchen. Dass nichts für immer bestehen bleibt. Dass Körper und Geist offene, bedingte und vernetzte Geschehen sind, kein festes Ich nirgends. Dass ethische Tugenden auf diesem Weg unverzichtbar sind. Ohne freundliche Anteilnahme am Schmerz und der Freude anderer, ohne die Fähigkeit, gleichzeitig eine gewisse Ruhe zu bewahren, geht es nicht. Solche Tugenden entfalten sich im Geist, der auf diese Weise als lebendig mitschwingender Herzgeist wahrnehmbar wird.
Die abendländische „Philosophie des Geistes“ ringt um Erklärungen für das Phänomen, beschwert von der Last eines harsch-dualistischen, oft auch wertenden Verständnisses von unterlegener Materie und überlegenem Geist. Vor allem in den Naturwissenschaften hat sich diese Sichtweise durchgesetzt, die so erfolgreich demonstrieren konnten, wie sich natürliche Materie – oder sollten wir lieber sagen: empfindungsfähige Natur? – unterwerfen und technisch nutzbar machen lässt. Das aber ist kein umfassendes Verstehen, sondern zu weiten Teilen andauernde Gewalt.
Ein einfaches Beispiel für die offene Frage in der Mitte der Philosophie des Geistes: Wir sehen die Farbe Rot. In unserem Gehirn mögen dabei zuverlässig ein paar benennbare Neuronen aktiv werden und Eiweiße sich auffalten. Doch sind die Aktivitäten der Neuronen und Eiweiße identisch mit unserer Wahrnehmung der Farbe Rot? Ist Rot-Sehen gleich Eiweiß-Aufklappen und Neuronen-Feuern?
Einige westliche Forschende und Philosophierende sehen das so – es gibt für sie keinen Geist. Wenn wir jedoch auf unserer offensichtlichen Rot-Wahrnehmung bestehen, entgegnen sie: „Sinnliches Empfinden ist eben die subjektive Seite eines chemisch-physikalischen Geschehens.“ Dann wird unsere Folgefragen lauten: „Und was ist eine subjektive Seite?“ Und das Geheimnis des Geistes springt wieder aus der Flasche.
Erkennt man die Existenz geistiger Phänomene jedoch an und lässt den Dualismus zwischen Geist und Materie vollumfänglich bestehen, bleibt die Frage nach der Natur des Geistes ebenso unbeantwortet. Und in den Winzigkeiten der Quantenphysik, wo Elektronenspins sich auf unerklärliche Weise miteinander verschränken und Materieteilchen, um mit dem Physiker Hans-Peter Dürr zu sprechen, sich weniger als Teilchen denn als „Ereignis-chen“ darstellen, springt das Geheimnis der Materie aus der Flasche, weil die sich dort auflöst – jedenfalls unserem groben Verständnis nach.
Können wir die Frage „Was ist Geist?“ im Schwerpunkt dieser Ausgabe von BUDDHISMUS aktuell endgültig beantworten? Selbstverständlich nicht. Unsere Autorinnen und Autoren können zeigen, zu welchen Übungen und Betrachtungen der Buddhismus hinsichtlich des Geistes anregen möchte. Und auf der philosophischen Seite können sie zeigen, dass der Buddhismus uns zutraut, über ein grobes Verständnis hinaus feinere Wahrnehmungsantennen zu entwickeln, die es uns möglicherweise eines Tages erlauben werden, zu entdecken, dass Geist und Materie ein- und dasselbe Geschehen sind.
Wie immer gibt es auch in dieser Ausgabe natürlich viele Themen dazwischen, drumherum und außerhalb – auch auf unseren Bücherseiten und im vielfältigen Magazin. Wir wünschen eine gute Lektüre!
Herzlich grüßen das Redaktionsteam und
Susanne Billig,
Chefredakteurin
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Susanne Billig
Susanne Billig ist Biologin, Buchautorin, Rundfunkjournalistin (Wissenschaft, Gesellschaft) und Sachbuchkritikerin. Sie ist seit 1988 in Praxis und Theorie mit Buddhismus und interreligiösem Dialog befasst, Kuratoriumsmitglied der Buddhistischen Akademie Berlin-Brandenburg und Chefredakteurin von BUDDHISMUS aktuell.