Editorial der Ausgabe 2024/2
Liebe Leserinnen und Leser,
es gibt so viel Frieden in der Welt, nur erkennen wir ihn im Alltag oft nicht. Das hat der Dalai Lama sinngemäß einmal gesagt und es begleitet mich seitdem.
Ich lebe in der Millionenstadt Berlin, mitten in Neukölln. 320 000 Menschen aus tatsächlich so gut wie allen Ländern der Erde bilden meine Nachbarschaft. Tag und Nacht bewege ich mich weitgehend sicher durch diese Straßen, laufe zahllosen Menschen über den Weg und kann sagen, Ausnahmen bestätigen die Regel: Niemand schubst mich, niemand schlägt mich, niemand bestiehlt mich, niemand brüllt mich an oder beleidigt mich. Hin und wieder gibt es verbale Ausfälle und riskante Manöver im Verkehr. Unangenehm, auch gefährlich, und nur ein Teil des Bildes.
Wenn die Sonne scheint, strahlen die Leute sich an. Kaum ein Tag vergeht ohne freundlichen Blickkontakt zu Kindern und ihren Eltern. Manchmal grüßen mich Menschen, die ich nicht kenne. Oder ich grüße sie. Fremde tragen verloren gegangene Geldbörsen mit allen Papieren und Scheinen zu mir zurück. Selbst wenn die Menschen müde sind, erschöpft und gestresst, geben sie sich meistens große Mühe, ihre Mitmenschen damit zu verschonen. Gerne mische ich mich auf einen Spaziergang nach der Arbeit unter das Leben in den Straßen. Dort habe ich von Händlern schon – einfach so, weil ich gerade entlang ging – Obst und Gemüse geschenkt bekommen, Gläser mit süßem Tee, Fladenbrote, lachend aus offenen Fenstern gereicht.
Dieselbe Welt ist gleichzeitig voller Hass, Krieg und Gewalt. Wir müssen nur die Nachrichten einschalten, dann quillt uns das Elend entgegen. Es findet in fernen Ländern statt oder gleich hier bei uns um die Ecke. Warum fühlen sich düstere Meldungen so viel mächtiger an als die Friedensbereitschaft von Millionen? Weil uns der Krieg das Herz zerreißt. Mütter und Väter, die sterbende Kinder in ihren Armen tragen. Junge Männer und Frauen, zu abertausenden vom Kugelhagel an Fronten zerrissen. Bomben, die Wehrlose unter ihren Häusern begraben. Angehörige, die nicht wissen, was ihre Liebsten in Geiselhaft erdulden müssen. Gepeinigte, ausgeliefert in Kerkern. Immer wieder Frauen, Fremde, Kinder als Opfer von Gewalt. Immer wieder Männer mit Wut, Machtstreben und Waffen in den Händen. In all dem müssen wir unsere Hilflosigkeit ertragen. Bei vielen Geschehen tendiert unsere persönliche Selbstwirksamkeit gegen Null. In der hochkomplexen Welt, die die Menschheit sich erschaffen hat, greifen zahllose strukturelle Ursachen, oft mit jahrhundertelanger Geschichte, so ineinander, dass Stellschrauben für Einzelne, selbst für Regierungen, kaum noch erkennbar oder erreichbar sind.
Die Autorinnen und Autoren im Schwerpunkt der vorliegenden Ausgabe schauen sich auch schmerzhafte Wahrheiten an. Sie plädieren für persönliche Harmlosigkeit und radikalen Pazifismus, auch wenn sie nicht ausbuchstabieren können, worin genau der Transmissionsriemen zwischen innerem und äußerem Frieden besteht. Sie pflegen in jahrzehntelanger Bemühung Orte des Friedens, auch wenn sie wissen, wie klein ihr Ort ist und wie groß die Welt. Sie klopfen hartnäckig bei sich selbst an, um sich schwierige Fragen zu stellen, zum Beispiel: Was ist das für ein Frieden, der im stillen Sitzen kommt? Sie sprechen sich gegen Radikalpazifismus aus, aber nicht mit Hurra. Sie beschreiben Frieden als eine lohnende Aufgabe, obgleich sie weder Happyend noch Feierabend kennt. Sie leben in der Ukraine unter Drohnenbeschuss, praktizieren den Dharma, helfen ihren Nachbarinnen und Nachbarn und wünschen sich Waffen zu ihrer Verteidigung. Die Welt ist kompliziert. Naivität hilft nicht, Arroganz ebenso wenig, Pessimismus und Hoffnungslosigkeit schon überhaupt nicht. Der Buddhismus macht die Welt nicht unkomplizierter, aber er hilft, einen mitfühlenden und klaren Kopf zu bewahren. In diesem Sinne wünschen wir Ihnen und euch eine anregende und bereichernde Lektüre.
Herzlich grüßen Sie das Redaktionsteam und Ihre
Susanne Billig,
Chefredakteurin
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Vielen Dank!
Susanne Billig
Susanne Billig ist Biologin, Buchautorin, Rundfunkjournalistin (Wissenschaft, Gesellschaft) und Sachbuchkritikerin. Sie ist seit 1988 in Praxis und Theorie mit Buddhismus und interreligiösem Dialog befasst, Kuratoriumsmitglied der Buddhistischen Akademie Berlin-Brandenburg und Chefredakteurin von BUDDHISMUS aktuell.