Editorial der Ausgabe 2023/4

Ein Beitrag von Susanne Billig veröffentlicht in der Ausgabe 2023/4 Verantwortung unter der Rubrik Editorial.

Verantwortung ist ein zentraler Aspekt des buddhistischen Weges. Wir wissen um die Gesetzmäßigkeit von Ursache und Wirkung und die Wirksamkeit unserer Taten, die der Buddhismus traditionell als Karma-Lehre ausgestaltet. Wir wissen: Unser Denken, Sprechen, Handeln betrifft nie nur uns selbst, sondern immer auch andere. Wir empfinden uns als Teil eines größeren Ganzen, mit allen Wesen verbunden, was auch bedeutet, dass alle Wesen uns und unseren Entscheidungen ausgesetzt sind.

Was bedeutet es, als Buddhistin oder Buddhist verantwortlich zu leben? Wie können und möchten wir unsere Praxis in den Dienst der Gesellschaft stellen? Wie gehen wir mit den Schwierigkeiten und Konflikten um, die sich unweigerlich in unserem persönlichen und gemeinschaftlichen Leben ergeben? Der Blick auf unsere Verpflichtungen gegenüber anderen wendet sich ja im Buddhismus immer wieder zu uns selbst zurück. Wer anderen nicht schaden, sondern Gutes tun möchte, muss sich darin üben, wachsam zu sein, achtsam und präsent, mutig, ehrlich und mitfühlend. Es gilt, sich selbst zu hinterfragen und wo nötig zu korrigieren und zu entschuldigen. Nicht zuletzt gehört auch dazu, innerlich bewegt zu bleiben, nicht zu erstarren, sondern sich weiterzubilden und einander zu inspirieren und zu unterstützen.

Von den vielen Möglichkeiten, sich dem Thema buddhistisch zu nähern, realisieren die Autorinnen und Autoren dieser Ausgabe eine Bandbreite interessanter Zugänge. Nur drei Beispiele:

Mut und Verantwortung – was es bedeutet, das zusammenzudenken, beschreibt Sylvia Wetzel in ihrem Artikel und fächert verschiedene Teilverantwortungen auf, die sich aus solchem Mut ergeben. Für die Dharmalehrerin gilt es, die Folgen unseres Handelns gründlich zu bedenken, aber auch eigene Motive und Absichten zu erkunden; der Umgang mit Erfahrungen des Scheiterns will gelernt sein und um bei all dem am Ball bleiben zu können, ist es wichtig, die tägliche Übung wertzuschätzen und nicht zu vernachlässigen. 

Eine ungewöhnliche Perspektive steuert die Supervisorin Lisa Aigner bei. Dabei geht sie von der Beobachtung aus, dass buddhistische Zentren und Gemeinschaften weltlichen Herausforderungen genauso wie alle anderen Organisationen unterliegen. Das können Energieverlust durch emotionale Spannungen und Kommunikationsschwierigkeiten sein, aber auch Zeitknappheit, Personalmangel und Strukturen, die den wachsenden Aufgaben nicht entsprechen. Gleichzeitig dürfen solche Probleme auf keinen Fall das Vertrauen der Gemeinschaftsmitglieder oder Besucherinnen und Besucher des Zentrums in den Dharma gefährden, denn das wäre aus buddhistischer Sicht das Worst-Case-Szenario. Aus diesen Gründen kann es zur Verantwortung werden, unterstreicht Lisa Aigner, sich in schwierigen Situationen auch einmal professionelle Unterstützung zu holen. Wie das funktioniert und welcher Mehrwert damit einhergehen kann, erläutert sie im Interview. 

Ganz konkret wird das Thema Verantwortung bei dem Klimaschutzaktivisten Tobias März, der sich als Buddhist der Letzten Generation angeschlossen hat. Sehr persönlich schildert er seine Beweggründe für diesen Schritt und seine Erfahrungen damit. Er sagt: „Würde ich mich, trotz des Wissens um all die Zerstörung in der Welt und die Dringlichkeit der Lage, auf mein Kissen zurückziehen, dann würde ich den Teil meines Herzens, der davon tief berührt ist, ausschließen. Erst im Aktivwerden, sei es auf der Straße oder im Vortragssaal oder im gemeinsamen Trauern in der Gruppe, kann ich diesen Teil lebendig werden und sich ausdrücken lassen – und so daran wachsen.“

Die buddhistische Welt geht überaus vielfältig und lebendig mit dem Thema Verantwortung um; das hat mir die Arbeit an dieser Ausgabe einmal mehr gezeigt. Dafür bin ich dankbar und ich hoffe, dass auch Sie Anregungen für Ihren eigenen Weg finden. 

Haben Sie einen guten Herbst und seien Sie herzlich gegrüßt von dem Redaktionsteam und Ihre

Susanne Billig,
Chefredakteurin

Susanne Billig

Susanne Billig ist Biologin, Buchautorin, Rundfunkjournalistin (Wissenschaft, Gesellschaft) und Sachbuchkritikerin. Sie ist seit 1988 in Praxis und Theorie mit Buddhismus und interreligiösem Dialog befasst, Kuratoriumsmitglied der Buddhistischen Akademie Berlin-Brandenburg und Chefredakteurin von BUDDHISMUS aktuell.

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