Editorial der Ausgabe 2022/3
Liebe Leserinnen und Leser,
„Unser Heim ist dort, wo das, was wir tun, Konsequenzen hat und wo wir für das, was wir tun, Feedback – positives wie negatives – erwarten und erhalten. Dieses Feedback ist vielleicht der wichtigste, wenn nicht sogar der einzige Mechanismus, der das Gleichgewicht mit der uns relevant erscheinenden Umwelt aufrechterhält. Nicht an ein Heim gebunden zu sein, ermöglicht uns, die Kosten unseres Handelns auszulagern.“
Das schreibt Bernd Heinrich in seinem wunderbaren Buch „Der Heimatinstinkt“, in dem er einen weiten Bogen über Heimatbedürfnisse auf dem lebendigen Erdball spannt, vom Fisch in seinem Schwarm über den Vogel, der sich fliegend zehntausend Kilometer zu seinem Geburtsort durchkämpft, um dort und nur dort seinen Nachwuchs aufzuziehen, bis zu den Menschen, die sich vielfältige Heimaten geschaffen haben, künstliche, geistige – leider oft in dem fatalen Irrtum, wir seien den natürlichen ganz entrückt und nichts mehr schuldig.
Mit dem Schwerpunkt „Heimat“ beleuchten wir in dieser Ausgabe einen vielschichtigen Begriff. Gewaltsame Durchsetzungen des vermeintlich Eigenen gegen das vermeintlich Fremde, kulminierend in den Verbrechen des deutschen Nationalsozialismus, haben Heimat jahrzehntelang zum Unwort gemacht. Wenn sich das seit einigen Jahren ändert, hat das wohl leider weniger mit einem gewachsenen Verständnis für universelle Rückzugsbedürfnisse zu tun und mehr mit jenem Rechtsruck, in dessen Klammergriff der Globus politisch und weltanschaulich derzeit zunehmend gerät. Längst haben sich ja diejenigen in Politik, Kultur und leider auch Religion, die auf der Klaviatur des „Meine Leute, meine Heimat zuerst“ spielen, zu einem bedrohlichen weltweiten Netzwerk zusammengeschlossen.
Der Buddhismus ist eine Weltsicht und Lebenspraxis des rechten Maßes. Er lässt uns stets fragen: Wo liegt– jetzt? – die heilsame, dem Fluss des Lebens, dem größtmöglichen inneren und äußeren Frieden, der Befreiung zuträgliche Balance? Sollten wir mit der Heimat vorsichtig sein, da wir uns von Anhaftungen zu lösen versuchen? Oder gibt es auch so etwas wie eine Heimat in der Praxis, der Zuflucht, vielleicht sogar der Hauslosigkeit und dem Weg des Nicht-Anhaftens selbst? Im Schwerpunkt dieser Ausgabe plädiert die buddhistische Nonne in der Theravada-Tradition Ayya Tisarani für ein fortwährendes, umsichtiges Abwägen, um Extreme zu vermeiden. „Hauslosigkeit findet im Herzen statt“, unterstreicht sie. Die Dharmalehrerin Sylvia Wetzel schreibt über vielfältige Heimaten, die ein Leben lang gepflegt sein wollen – in der Dharmapraxis, in der Sprache, in Landschaften und unterschiedlichen Kreisen von Menschen. Roshi Amy Hollowell nimmt eine Meditation mit Menschen auf der Flucht zum Anlass, über das Heimkehren in jedem Moment nachzudenken, ganz gleich, wo man sich gerade befindet. Auch die Religionswissenschaftlerin Ilana Maymind hat sich mit Exilerfahrungen befasst, jüdischen und buddhistischen. Eines haben sie gemeinsam, sagt sie: „Im Exil zu leben, stärkt das Mitgefühl.“
Zurück zum blauen Planeten führt uns der Ethnologe David Sumerauer. In seinem Essay beklagt er, mit Zen- Literatur in der Hand, die Vernichtung der Anderen, die auch einst hier lebten und nun für immer ausgerottet sind.
Unser Heim ist dort, wo das, was wir tun, Konsequenzen hat. Nicht an ein Heim gebunden zu sein, ermöglicht uns, die Kosten unseres Handelns auszulagern.
Allmählich dämmert es weiten Teilen der Menschheit, dass wir die Kosten unseres Handelns eben nicht und nie ganz auslagern können. Spirituelle Traditionen wissen das längst, auch der Buddhismus, wenn er Karma und bedingtes Entstehen und Vergehen lehrt. In diesem Sinne, und auch mit Bernd Heinrich, kann das bedeuten: Wagen wir es doch, uns mit unseren sozialen, geistigen, natürlichen Heimaten vertrauensvoll zu verbinden – und verantwortungsvoll, im Respekt für die Heimatbedürfnisse der Anderen und in der Bereitschaft, uns den Konsequenzen unseres Handelns zu stellen.
Herzlich grüßen Sie das Team von
BUDDHISMUS aktuell und Ihre
Susanne Billig,
Chefredakteurin
Susanne Billig
Susanne Billig ist Biologin, Buchautorin, Rundfunkjournalistin (Wissenschaft, Gesellschaft) und Sachbuchkritikerin. Sie ist seit 1988 in Praxis und Theorie mit Buddhismus und interreligiösem Dialog befasst, Kuratoriumsmitglied der Buddhistischen Akademie Berlin-Brandenburg und Chefredakteurin von BUDDHISMUS aktuell.