Editorial der Ausgabe 2022/2

Ein Beitrag von Susanne Billig veröffentlicht in der Ausgabe 2022/2 Nahrung unter der Rubrik Editorial.

Nahrung ist der Schwerpunkt der neuen BUDDHISMUS aktuell. Ehe Susanne Billig zu den Inhalten der neuen Ausgabe kommt, geht sie auf das aktuell alles überragende Thema „Krieg in der Ukraine“ ein und fasst zusammen: „Samsara! Eine Welt, so durcheinander, so widersprüchlich, voller Leiden und Schmerzen und voller Güte und Mitgefühl und jenseits, weit jenseits eines Friedens für alle. Die Welt, in der jede und jeder Einzelne von uns täglich aufgefordert ist, weise zu handeln. Keine Ideologie, keine Meinung, kein Wissen und Nichtwissen, keine Distanz und kein Uns-Involvieren kann uns von der Frage erlösen: Was tue ich jetzt sinnvollerweise? Was steht an? Was hilft? Wozu möchte ich beitragen?“ Sie schließt mit der Aufforderung: „Lassen Sie uns den buddhistischen Werten treu bleiben, besonnen, friedfertig und um Weisheit bemüht.“

Weizenfeld, Foto: pixabay.com

Liebe Leserinnen und Leser,

es ist Anfang März. Täglich kommen Tausende von Kriegsflüchtlingen in Deutschland an und täglich werden es mehr. 

Eine Welle der Hilfsbereitschaft rollt durch viele Länder Europas. Auf dem Berliner Hauptbahnhof werden erschöpfte Menschen aus der Ukraine per Megafon mit Menschen von hier zusammengebracht, die ihnen ein Dach über dem Kopf und Menschlichkeit schenken. Sachspenden stapeln sich, Geldspenden fließen. Mutige Mitarbeitende von Hilfsorganisationen wagen sich mit Medikamenten und Lebensmitteln mitten in den Krieg. Ukrainische Tierärztinnen und -ärzte harren aus und kümmern sich um umherirrende Kühe, Schweine, Hunde und Katzen. People of Color, Menschen mit Pässen von außerhalb der EU stehen bei eisigen Temperaturen in Extraschlangen an Grenzübergängen und werden nicht durchgelassen. Die deutsche Bundespolizei holt sie aus Zügen und unterbricht ihre Weiterfahrt. Ukrainische Männer dürfen ihr Land nicht verlassen. Sie müssen mit Waffen kämpfen, sie wollen es tun, gegen Männer aus Russland, die ihre Städte in Schutt und Asche legen, weil es ihnen befohlen wurde. Faschisten – auch sie Männer und wie alle diese Männer Söhne von Müttern, die fast nie Waffen in den Händen halten – reisen ins Kriegsgebiet, um auf beiden Seiten zu kämpfen und zu töten. Atomkraftwerke stehen unter Beschuss. Angst grassiert. Und immer noch das Virus. Russische LKW-Fahrer, die nachts auf deutschen Autobahnraststätten zu schlafen versuchen, hängen ukrainische Fahnen in ihre Kabinen und montieren Nummernschilder ab, damit ihnen niemand die Scheiben einschlägt, was schon passiert ist. Geschäfte mit russischen Lebensmitteln werden attackiert, russischen Menschen wird auf der Straße ins Gesicht gespuckt, russische Künstlerinnen und Künstler sollen sich öffentlich politisch erklären. Manche verweigern das. Manche reisen nach Polen und helfen Flüchtlingen. In den Medien und im Internet wird öffentlich gerungen und gestritten. Ist Putin wie Hitler? Paranoid? Geht es um Gas und Öl? Um den Traum von einem mythisch-faschistischen Großreich? Muss jemand einen Tyrannenmord begehen? Hätte der Westen vor Jahren eine andere Ostpolitik, Krim-Politik, Donbass-Politik, Minsk-I- und Minsk-II-Politik machen müssen und trägt die Hauptschuld? Eine Mitschuld? Ist das eine infame Argumentation angesichts dieses brutalen Angriffskrieges?

Samsara.

Die Welt, die wir uns – nehmen wir an, es gibt dieses Menschheits-Wir – gemacht haben und täglich neu machen.  Eine Welt, so durcheinander, so widersprüchlich, voller Leiden und Schmerzen und voller Güte und Mitgefühl und jenseits, weit jenseits eines Friedens für alle. Die Welt, in der jede und jeder Einzelne von uns täglich aufgefordert ist, weise zu handeln. Keine Ideologie, keine Meinung, kein Wissen und Nichtwissen, keine Distanz und kein Uns-Involvieren kann uns von der Frage erlösen: Was tue ich jetzt sinnvollerweise? Was steht an? Was hilft? Wozu möchte ich beitragen?

Unnötig zu sagen, dass diese Ausgabe unserer Zeitschrift lange vor dem Krieg auf den Weg gebracht wurde. Ihre Themen sind nicht unwichtig geworden, weil es einen weiteren Schmerz gibt. Um Nahrung geht es im Schwerpunkt – spirituelle Nahrung, gute Nahrung auf guten Feldern, Nahrung für eine bedrohte Wildnis, Nahrung, auf die sich verzichten ließe, weil sie selbst leben möchte. Wir nehmen Abschied vom großen Thich Nhat Hanh. Und  der Zufall will es, dass wir davon erzählen, wie sich einer jahrzehntelang darum bemüht hat, Bücher, die im Zweiten Weltkrieg während des deutschen Vernichtungsfeldzugs als Beutekunst von Russland nach Deutschland verfrachtet wurden, wieder dorthin zurückzubringen – um einen kleinen persönlichen Beitrag zu Frieden und Aussöhnung zu leisten.

Lassen Sie uns den buddhistischen Werten treu bleiben, besonnen, friedfertig und um Weisheit bemüht.

Herzlich grüßen Sie das Team von
BUDDHISMUS aktuell und Ihre

Susanne Billig,
Chefredakteurin

Susanne Billig

Susanne Billig ist Biologin, Buchautorin, Rundfunkjournalistin (Wissenschaft, Gesellschaft) und Sachbuchkritikerin. Sie ist seit 1988 in Praxis und Theorie mit Buddhismus und interreligiösem Dialog befasst, Kuratoriumsmitglied der Buddhistischen Akademie Berlin-Brandenburg und Chefredakteurin von BUDDHISMUS aktuell.

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