Editorial der Ausgabe 2020/1
Es gibt viele Gründe, regelmäßig einen Blick auf Frauen in der buddhistischen Welt zu werfen: auf ihre Debatten und Errungenschaften, auf ihre Benachteiligung, was Mitspracherechte und Status angeht, und ihre spirituelle Tiefe, schreibt Susanne Billig in ihrem Editorial. Die neue Ausgabe von BUDDHISMUS aktuell erzählt von den persönlichen Lebenswegen ordinierter Frauen, bietet buddhistische Perspektiven auf die Befreiung von Frauen, thematisiert den Kampf gegen Ungerechtigkeit und für Gleichberechtigung auch in der buddhistischen Welt und die Lage von Frauen in den asiatischen Ursprungsländern des Buddhismus. Darüber hinaus weist das Editorial auf Beiträge zu aktuellen Themen wie der Klimakrise, Fake News und zu Wissenschaft und Buddhismus hin. Ausschließlich online finden Sie einen zwar schon älteren, aber noch immer höchst aktuellen Beitrag zu den besonderen Problemlagen im tibetischen Buddhismus. In ihrem Editorial wirbt Susanne Billig auch dafür, sich auf die inhaltliche Vielfalt dieser Zeitschrift einzulassen, denn nur Vielfalt „kann ja eigenes Denken öffnen und erweitern“. Und sie ruft Sie, die Leserinnen und Leser, auf: „Sollten Sie sich über einen Text ärgern – kündigen Sie nicht, sondern schreiben Sie uns!“
Liebe Leserinnen und Leser,
haben wir im Editorial dieser Zeitschrift schon einmal betont, dass nicht alle Artikel die Meinung der Redaktion wiedergeben? Das tun sie nicht. Zumal es die eine Meinung der Redaktion ohnehin nicht gibt. Auf unseren Redaktionssitzungen stoßen wir, bei aller guten Zusammenarbeit und in allem Einverständnis über buddhistische Grundwerte, immer mal wieder auf unterschiedliche Einschätzungen, Vorlieben und Abneigungen, was die Texte in dieser Zeitschrift angeht. Genau das möchte BUDDHISMUS aktuell leisten: eine Bandbreite an buddhistischen Interpretationen, Schwerpunktsetzungen, Lebenswegen, Formen der Gemeinschaftsbildung, Aktivitäten, Haltungen zu gesellschaftlichen Entwicklungen aufzufächern, vorwiegend in den deutschsprachigen Ländern, aber auch international. Nur wer die Begegnung mit Vielfalt nicht scheut, kann ja eigenes Denken öffnen und erweitern, für die Dauer einer Artikellektüre ein paar Schritte in den Schuhen eines anderen Menschen gehen, das Verbindende und die Essenz hinter den vielen unterschiedlichen Perspektiven erspüren oder aber sich, in wohlgesinnter Ablehnung, wichtiger eigener Erkenntnisse und Erfahrungen vergewissern. Gibt es Grenzen dessen, was wir hier drucken? Selbstverständlich. Doch eine vom eigenen Verständnis abweichende buddhistische Interpretation gehört nicht per se dazu. Sollten Sie sich über einen Text ärgern – kündigen Sie nicht, sondern schreiben Sie uns! Wir sprechen über jede Zuschrift, und Traudel Reiß, die für den Magazinteil der Zeitschrift und damit auch für die Leser*innenpost verantwortliche Redakteurin, nimmt Beiträge gern in die nächste Ausgabe der Zeitschrift auf. (Da war es – das Gendersternchen. Es wird Ihnen von nun an in dieser Zeitschrift hin und wieder begegnen, nicht ständig und überall, aber manchmal passt es einfach zu gut, um darauf zu verzichten.)
Damit kommen wir zum Schwerpunkt der vorliegenden Ausgabe. Es gibt viele Gründe, regelmäßig einen Blick auf Frauen in der buddhistischen Welt zu werfen: auf ihre Debatten und Errungenschaften, auf ihre Benachteiligung,was Mitspracherechte und Status angeht, und ihre spirituelle Tiefe. Der größte Teil der praktizierenden Buddhistenim Westen sind ja Buddhistinnen – sie stellen in der Regel die Mehrzahl derjenigen, die buddhistische Zentrenbesuchen, an Meditationsangeboten teilnehmen und sich auf vielfältige Weise, mal im Vordergrund, oft im Hintergrund, für den Dharma engagieren. Die Dharmalehrerin Lama Tsültrim Allione wurde als eine der ersten westlichenFrauen in tibetischer Tradition als Nonne ordiniert. Sie erklärt in ihrem Beitrag: „Für mich ist Tara die ersteFeministin“. Nach einer schweren Erkrankung suchte die junge Journalistin Lena Schnabl Orientierung und Heilungauf einem buddhistischen Pilgerweg in Japan – „Meine Suche nach dem Nichts“ heißt ihre lebensnahe Reportage.Der weltweit geschätzte Theravada-Mönch Bhikkhu Bodhi steht für einen sozial engagierten Buddhismus und steuerteine buddhistische Perspektive auf die Befreiung der Frauen bei. Tsunma Konchok Jinpa Chodron engagiert sich iminterreligiösen Austausch und erzählt im Porträt, was sie auf ihrem Lebensweg als Nonne motiviert. Die Australierin Ayya Yeshe hat die diesjährige Sakyadhita-Konferenz besucht und wünscht sich mehr weibliche Radikalität im Kampf gegen Ungerechtigkeiten. Carola Roloff gehört zu den bekanntesten Buddhistinnen in und aus Deutschlandund setzt sich für einen aufgeklärten, wissenschaftsfreundlichen Buddhismus ein, was für sie selbstverständlich auch die Gleichberechtigung der Frauen einschließt. Wir haben mit ihr gesprochen. Schließlich werfen wir auch einen Blick in die asiatischen Ursprungsländer des Buddhismus: Die Journalistin Caitlin Dwyer hat Ouyporn Khuankaew interviewt, die prominenteste Vertreterin der aufkeimenden buddhistisch-feministischen Frauenbewegung in Thailand, und die Religionswissenschaftlerin Jessica Starling hat das Leben von Tempelehefrauen im japanischen Shin-Buddhismus erkundet. Auch jenseits des Schwerpunktes gibt es wichtige und spannende Themen – darunter dieKlimakrise, das „Herz der Religion“, die Debatte um Fake News und die Bedeutung der Körperachtsamkeit für Meditation und buddhistisches Leben. Alles das und mehr finden Sie in diesem Heft.
Wir vom Redaktionsteam wünschen Ihnen eine gute Lektüre!
Susanne Billig,
Chefredakteurin
Susanne Billig
Susanne Billig ist Biologin, Buchautorin, Rundfunkjournalistin (Wissenschaft, Gesellschaft) und Sachbuchkritikerin. Sie ist seit 1988 in Praxis und Theorie mit Buddhismus und interreligiösem Dialog befasst, Kuratoriumsmitglied der Buddhistischen Akademie Berlin-Brandenburg und Chefredakteurin von BUDDHISMUS aktuell.