Editorial der Ausgabe 2019/4

Ein Beitrag von Susanne Billig veröffentlicht in der Ausgabe 2019/4 Mut unter der Rubrik Editorial.

MUT lautet der Schwerpunkt der neuen Ausgabe von BUDDHISMUS aktuell und darin geht es um Ängste und den Umgang mit ihnen, das Verlieren von Sicherheiten und diese immer wieder neu zu finden, um Balance. Dem Thema nähern sich auch die Autorinnen und Autoren mit ihren Beiträgen, in denen es um die Bereitschaft geht, sich den eigenen inneren Monstern zu stellen, Schattenseiten zu sehen und dann wieder den Willen zu haben, konsequent trotz aller Hindernisse vorwärts zu gehen und bei Bedarf auch gegen den Strom zu schwimmen. Um Balance geht es auch in Susanne Billigs Editorial, in dem sie Bezug nimmt auf die Nachricht vom Tod Sogyal Rinpoches. Diese erreichte die Redaktion, als das Heft schon abgeschlossen war. Einerseits die Bedeutung würdigen, die er für viele hatte und hat, andererseits aber nicht die Missstände übergehen, für die sein Name auch steht, und schließlich den Mut haben, nicht sofort mit einer fertigen Meinung aufzuwarten. Über den Schwerpunkt hinaus finden Sie Gespräche über Friedensakteure und ihr Verhältnis zum Establishment, zum interreligiösem Dialog, zu Umweltfragen und zur Ethik im Zusammenhang mit künstlicher Intelligenz. Nicht zuletzt bleibt: „Die Magie der Wirklichkeit“.

Liebe Leserinnen und Leser,

diese Ausgabe von BUDDHISMUS aktuell war bereits auf dem Weg zur Druckerei, als die Nachricht vom Tod Sogyal Rinpoches uns erreichte. Der Gründer und langjährige spirituelle Leiter der Rigpa-Gemeinschaft starb in einem thailändischen Krankenhaus. Ein Foto, geteilt auf seiner Facebook-Seite, zeigt ihn in den letzten Lebensmonaten, schmal geworden und deutlich von seiner Krebserkrankung gezeichnet. Unter der Todesnachricht waren hunderte von Kommentaren zu lesen, in denen Menschen ihre Dankbarkeit für die Begegnung mit Sogyal Rinpoche ausdrückten, der ihr Leben tiefgreifend verändert habe. Einige betonten auch, wie froh und erleichtert sie seien, hier zunächst keine neue Kritik lesen zu müssen. Seit ehemalige Schülerinnen und Schüler Sogyal Rinpoche jahrelange körperliche und sexualisierte Gewalt vorgeworfen haben, ist dessen Lebenswerk in einer breiteren buddhistischen Öffentlichkeit umstritten.

In der kommenden Ausgabe werden wir ein ausführliches Gespräch mit Gabriele Maass, Leiterin von Rigpa Deutschland, führen. Solche Gespräche sind nicht einfach, für niemanden, der oder die sich darin engagiert. Das Thema Missstände und Reformen in buddhistischen Gemeinschaften sorgt in der Redaktionsarbeit fortlaufend für Mails, Forderungen, Wünsche, Anregungen, Vorwürfe unterschiedlichster Art. An die Wand dieses Arbeitszimmers, in dem ein Teil von BUDDHISMUS aktuell derzeit entsteht, sind in großen Buchstaben die Elemente des Achtfachen Pfades geschrieben. „Rechte Rede“ – was heißt das? Es heißt, sich drei Fragen zu stellen: Stimmt der Zeitpunkt? Stimmt der Inhalt? Stimmt die Art und Weise? Im Sinne des Buddha gut zu sprechen und zu handeln, das sind Balanceakte, bei denen es naturgemäß immer auch schwankt, ungewiss wird, schwierig, Sicherheit verlierend und neu suchend. Wer immer sofort und genau weiß, was zu sagen und was zu tun ist, versäumt das Balancieren. Allerdings darf der Horizont nicht in Zweifel stehen: Verblendungen abzulegen und miteinander zu erwachen.

Auch der Mut, obgleich sehr begehrt, ist ein Produkt solcher Balanceakte, denn die eigenen Ängste türmen sich oft schmerzhaft hoch auf. Der Buddhismus bietet dazu eine reiche Überlieferung an Erläuterungen und Praxismethoden an. Einige davon greift der Schwerpunkt dieser Ausgabe auf. So betont die Nonne Shifu Simplicity den Wert der Konsequenz, um trotz Hindernissen stetig vorwärts zu gehen. Dharmalehrer Drubwang Tsoknyi Rinpoche plädiert für eine achtsame Annäherung an die „inneren Monster“. Welche Praxis und welches Menschenbild braucht es, um mutlosen Menschen Mut zuzusprechen? Das reflektieren die Dharmalehrerin Annabelle Zinser und die Achtsamkeitslehrerin Janina Egert im Gespräch. Kritisch geht es Karl-Heinz Brodbeck an: Die Begriffe Mut und Tapferkeit umgebe, so betont er, ein „pervertiertes Pathos“. Für eine mutig-radikale Dharmapraxis setzt sich die afroamerikanische Zen-Lehrerin angel Kyodo williams ein. Im Interview fordert sie dazu auf, auch Schattenseiten in der buddhistischen Welt, etwa subtilen Rassismus, in den Blick zu nehmen. Auch die Dharmalehrerin Lily Besilly plädiert für einen Mut, der sich gesellschaftlichen Anliegen nicht verschließt und bereit ist, gegen den Strom zu schwimmen und unbequeme Wahrheiten auszusprechen.

Jenseits des Schwerpunktes sprechen wir mit dem Geschäftsführer des Berliner Forums der Religionen, Michael Bäumer, über den Wert des interreligiösen Dialogs. Martin Bauschke erklärt im zweiten Teil des Interviews mit ihm, warum sich Friedensakteure immer auch mit dem Establishment anlegen. Heidi Köppl schreibt über die Praxis des Visualisierens, Yuka Nakamura nimmt drängende Umweltfragen in den Blick und Ron Eichhorn spricht über Ethik und künstliche Intelligenz. Dazu kommen im Magazinteil der Zeitschrift viele aktuelle Berichte, Veranstaltungshinweise und der Blick in neue Bücher. Eine vielfältige Lektüre wünscht das Redaktionsteam, Susanne Billig Chefredakteurin

Susanne Billig,
Chefredakteurin

Susanne Billig

Susanne Billig ist Biologin, Buchautorin, Rundfunkjournalistin (Wissenschaft, Gesellschaft) und Sachbuchkritikerin. Sie ist seit 1988 in Praxis und Theorie mit Buddhismus und interreligiösem Dialog befasst, Kuratoriumsmitglied der Buddhistischen Akademie Berlin-Brandenburg und Chefredakteurin von BUDDHISMUS aktuell.

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