Editorial der Ausgabe 2018/1

Ein Beitrag von Ursula Kogetsu Richard veröffentlicht in der Ausgabe 2018/1 Liebe unter der Rubrik Editorial.

Für das erste Heft des neuen Jahres haben wir aus mehreren Gründen das Schwerpunktthema „Liebe“ gewählt, schreibt Ursula Richard in ihrem Editorial. Unter anderem wollen wir die unterschiedlichen buddhistischen Perspektiven zu Wort kommen lassen. Es ist uns aber auch ein Bedürfnis zu erkunden, welche Kraft der Liebe konkret lebenspraktisch innewohnt als Gegenmittel zu der alltäglich wahrnehmbaren Gewalt, nicht zuletzt in den eigenen Gedanken, Worten und Taten, aber natürlich auch in der Gesellschaft und der Welt. Und wir wollen beleuchten, was es bedeutet zu lieben. Dabei sollen auch die Schattenseiten der Liebe zur Sprache kommen – die exklusive, narzisstische, unterwerfende Seite der Liebe.

Liebe Leserinnen und Leser,

als wir uns auf der Redaktionssitzung im letzten Sommer entschieden, für das erste Heft des neuen Jahres das Schwerpunktthema „Liebe“ zu wählen, hatte das mehrere Gründe. Unter anderem wollten wir die unterschiedlichen buddhistischen Perspektiven zu Wort kommen lassen. Es war uns aber auch ein Bedürfnis zu erkunden, welche Kraft der Liebe konkret lebenspraktisch innewohnt als Gegenmittel zu der alltäglich wahrnehmbaren Gewalt, nicht zuletzt in den eigenen Gedanken, Worten und Taten, aber natürlich auch in der Gesellschaft und der Welt. Und wir wollten beleuchten, was es bedeutet zu lieben. Der Philosoph Philosoph und Biologe Andreas Weber schreibt in seinem neuen Buch Sein und Teilen: „Lieben heißt, auf je eigene Art und Weise in dieser Welt zu existieren. Lieben heißt, Teil dieser Welt zu sein und sich derart als ihren Teil zu erfahren, dass wir zugleich produktiv Welt und produktiv Einzelner sein können. Und nur wenn wir diese Liebe verstehen, so glaube ich, können wir verstehen, wie die Liebe zu einem anderen Menschen gelingen kann. Das Rätsel der Liebe zu verstehen heißt also zu verstehen, wie es uns gelingen kann, ein eigenständiges Individuum zu sein, das sich zugleich selbst ganz als Welt erfährt.“

Für mich beschreibt Andreas Weber hier etwas von dem großen, wundersamen Potenzial, das der Liebe innewohnt. Ein Potenzial, das wir in der Selbstliebe, in unseren Liebesbeziehungen, in der Liebe zu unseren Mitwesen, zur Natur, zur Welt auf unsere persönliche Art ausdrücken. Im Buddhismus ist oft von Mitgefühl die Rede, und es wird betont, dass dazu notwendigerweise die Weisheit gehört, damit es kein nur von Emotionen getriebenes, blindes Mitgefühl ist, oder es wird von liebender Güte (Metta) gesprochen, als einem der vier grenzenlosen Geisteszustände. Ich verstehe beide aber zunehmend als Umschreibungen für eines – für die Liebe. Eine Liebe, die sich im weiten, offenen Herzen, im wachen, nichts abweisenden Geist zeigt und sich in dem verwirklicht, wie wir mit uns und anderen leben. Letztlich geht es immer um Liebe – das ist kein sentimentaler Gedanke, höchstens eine sentimentale Umschreibung unserer Existenz. Die erste Äbtissin des San Francisco Zen Center, Blanche Zenkei Hartmann, hat in den letzten Jahren ihres Lebens mit leichten Variationen immer den gleichen Vortrag gehalten – über Metta, über Liebe, weil dies immer mehr zur Quintessenz ihres Lebens und Lehrens wurde.

Doch auch wenn die Liebe ein so zentraler Aspekt unseres Lebens ist, bedeutet das nicht, dass sie sich nicht auch in destruktiver Weise zeigen kann mit höchst unheilsamen Folgen: Die Sehnsucht nach Liebe und Angenommensein kann uns als Schülerinnen oder Schüler in unserer Beziehung zu einem Lehrer, einer Lehrerin dazu bringen, Hingabe mit Unterwerfung zu verwechseln; die narzisstische Liebe zu uns selbst kann uns als Lehrende dazu verleiten, unsere Autorität auszunutzen; die Liebe zu einer Religion oder Nation kann dazu führen, dass wir andere ausgrenzen, verfolgen oder sogar verjagen und töten. Diese Schatten der Liebe kommen dann zum Tragen, wenn die Liebe exklusiv wird, wir uns in ihr eben nicht auch als Welt erfahren, sondern nur als abgetrennten, defizitären Teil, genährt von den drei Geistesgiften Gier, Hass und Unwissenheit. Nimmt man diese Schattenseiten hinzu, handeln letztlich alle Beiträge der vorliegenden Ausgabe von BUDDHISMUS aktuell in der einen oder anderen Weise von der Liebe in ihren lichten wie dunklen Aspekten.

Wir – das Team der BUDDHISMUS aktuell – möchten das erste Heft des neuen Jahres auch dazu nutzen, unseren vielen langjährigen Leserinnen und Lesern für ihre Treue zu danken und die Leserinnen und Leser willkommen zu heißen, die dank unseres neuen, engagierten Vertriebs hinzugekommen sind. Wir freuen uns immer über Feedback und Anregungen – auch in Form von Leserbriefen oder Kommentaren auf unserer Website, auf der wir Artikel, Dokumentationen, aktuelle Meldungen bringen, die Sie nicht in der gedruckten Ausgabe finden. Ein Besuch lohnt sich – www.buddhismus-aktuell.de  

Ich wünsche Ihnen ein glückliches, erfülltes Jahr 2018 mit vielen liebevollen Begegnungen.

Ihre Ursula Richard,
Chefredakteurin

Ursula Kogetsu Richard

ist Verlegerin der edition steinrich, Autorin und Übersetzerin. Sie war viele Jahre Chefredakteurin von BUDDHISMUS aktuell und wurde im Herbst 2020 von Tanja Palmers zur Zen-Priesterin in der Phönix-Wolken-Sangha ordiniert.

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