Der Wille zum Sinn – Viktor Frankl und das große JA zum Leben

Ein Beitrag von Christa Spannbauer veröffentlicht in der Ausgabe 2018/2 Freiheit unter der Rubrik Freiheit. (Leseprobe)

„Ich will beweisen, dass der Mensch auch noch in der Hölle Mensch bleiben kann.“ In diesen drastischen Worten verdichtet sich die Existenzanalyse des großen Humanisten und Psychologen Viktor Frankl. Als Überlebender von vier Konzentrationslagern hatte er die Hölle am eigenen Leibe erlebt. Hier, an diesen Orten der Unmenschlichkeit, begründete er seine Philosophie der Menschlichkeit. Hinter Stacheldraht gefangen erkannte er: „Jeder Mensch behält bis zum letzten Augenblick seines Lebens die Freiheit, über seine Haltung zu der tragischen Situation zu entscheiden.“

Trotzdem Ja zum Leben sagen 

Zweifellos können wir viel lernen von Menschen, die sich von leidvollen Lebenserfahrungen zwar erschüttern, nicht aber zerbrechen lassen. Die erfahrenes Leid nicht verdrängen, sondern es mutig durchschreiten und nach Möglichkeiten der Transformation Ausschau halten. Dieses Potenzial des Menschen, über sich selbst hinauszuwachsen, sah Viktor Frankl selbst noch im Todeslager Auschwitz wirken. „Die Trotzmacht des Geistes“ nannte er diese Widerstandskraft und erblickte in ihr die letztendliche Freiheit des Menschen im Angesicht seines unausweichlichen Schicksals. Für den Shoah-Überlebenden stand fest: Es ist die geistige Einstellung dem Leiden gegenüber, die darüber entscheidet, ob der Mensch es bewältigen oder an ihm verzweifeln wird. In seinem autobiografischen und millionenfach aufgelegten Buch Trotzdem Ja zum Leben sagen hat er dies eindrücklich dokumentiert. „Wer von denen, die das Konzentrationslager erlebt haben, wüsste nicht von jenen Menschengestalten zu erzählen, die da über die Appellplätze oder durch die Baracken des Lagers gewandelt sind, hier ein gutes Wort, dort den letzten Bissen Brot spendend? Und mögen es auch nur wenige gewesen sein – sie haben Beweiskraft dafür, dass man dem Menschen im Konzentrationslager alles nehmen kann, nur nicht die letzte menschliche Freiheit, sich zu den gegebenen Verhältnissen so oder so einzustellen. Und es gab ein so oder so.“ 

Für was es sich zu leben lohnt 

Woher aber nehmen Menschen die Kraft, in leidvollen Situationen so weit über sich selbst hinauszuwachsen? Und wie gelingt es ihnen, unter schwersten äußeren Lebensbedingungen innerlich heil zu bleiben? Für Viktor Frankl bestand kein Zweifel daran, dass es der Wille zum Sinn ist, der Menschen diese Widerstandskraft verleiht: „Lebenssinn ist das Dringendste, was ein Mensch braucht. Der Mensch muss etwas oder jemanden finden, für das oder den es sich zu leben lohnt.“ Menschsein weist damit immer schon über sich selbst hinaus: „In der Art, wie ein Mensch sein unabwendbares Schicksal auf sich nimmt, darin eröffnet sich auch noch in schwierigsten Situationen und noch bis zur letzten Minute des Lebens eine Fülle von Möglichkeiten, das Leben sinnvoll zu gestalten.“

Erst im Dienst an einer Sache oder in der Liebe zu anderen wird der Mensch ganz Mensch und verwirklicht sich selbst. In der Hingabe an eine Aufgabe, im Engagement für eine bessere Welt erfährt er sein Leben als erfüllt und sich zutiefst mit anderen Menschen verbunden. Ebenso wie der jüdische Religionsphilosoph Martin Buber war auch der Existenzialist Viktor Frankl davon überzeugt, dass der Mensch auf die Welt hin orientiert ist und – um mit Bubers Worten zu sprechen – erst am Du zum Ich wird. 

In dem Maße, in dem wir uns als Mitgestalter der Welt, als weltoffene Wesen wahrnehmen und uns für unsere Mitmenschen einsetzen, gewinnt unser Leben nicht nur an Sinn, sondern auch an Glück. Aktuelle Studien der Positiven Psychologie bestätigen dies. Ein gelingendes Leben ist demzufolge immer auch ein tätiges, engagiertes und am Gemeinwohl interessiertes Leben: „Es gibt nichts auf der Welt, das einen Menschen so sehr befähigt, äußere Schwierigkeiten oder innere Beschwerden zu überwinden, wie das Bewusstsein, eine Aufgabe im Leben zu haben„, resümierte Frankl. Diese Weltorientiertheit einhergehend mit der Fähigkeit zur Selbsttranszendenz ist es, die dem Menschen die Kraft verleiht, sinnvolles Handeln über die eigene Befindlichkeit zu stellen, Verzicht für etwas oder jemanden zu leisten und Hindernisse nicht nur zu überwinden, sondern an ihnen zu wachsen. Der von Frankl hochgeschätzte Philosoph Friedrich Nietzsche brachte diese Haltung mit wenigen Worten auf den Punkt: „Wer ein Warum zum Leben hat, erträgt fast jedes Wie.“

ENDE DER LESEPROBE

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Christa Spannbauer

Christa Spannbauer lebt als Autorin, Referentin und Seminarleiterin in Berlin. In ihren Büchern, Vorträgen und Seminaren geht sie der Frage nach, wie ein gutes Leben gelingen kann und wie insbesondere Achtsamkeit und Mitgefühl dies unterstützen können. „Ich schreibe für alle, die ebenso wie ich an einem glücklichen und sinnerfüllten Leben interessiert sind. Meine Inspirationsquellen hierfür sind die Weisheitswege aus Ost und West sowie neue Erkenntnisse aus Psychologie und Neurowissenschaft.“

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