Buddhismus in Europa oder europäischer Buddhismus?

Ein Beitrag von Wolfgang Damoser veröffentlicht in der 3-2025 Computerwelten unter der Rubrik Aktuell.

Wie sieht die Zukunft des Buddhismus in Europa aus? Anlässlich ihres 50-jährigen Bestehens lud die Europäische Buddhistische Union (EBU) am 25. April 2025 zu der internationalen Konferenz „Buddhism 2075 – Shaping The Identity Of European Buddhism“ nach Wien ein. Dort stellte sie die Frage nach Identität, Wandel und gesellschaftlicher Verantwortung des Buddhismus in Europa. Eindrücke von Wolfgang Damoser. 

Im Konferenzsaal stehen Menschen links und rechts von dem Plakat mit dem die Konferenz angekündigt wurde. Die ungefähr 10 Menschen schauen in die Kamera.
Die Wiener Konferenz brachte Mitglieder buddhistischer Gemeinschaften und Verbände aus ganz Europa zusammen

Strömender Regen begleitet die Teilnehmenden auf dem kurzen Weg vom Wiener Praterstern zum Veranstaltungszentrum der Volkshochschule. Unter das gewohnte Bild dunkler Hoodies und grauer Jogginghosen mischen sich heute die weinroten Roben tibetischer Nonnen und die schwarzen Roben der Zen-Lehrerinnen und Zen-Lehrer unter das morgendliche Getümmel. Das Publikum ist so vielfältig wie die buddhistische Gemeinschaft selbst. Manche sind klar als Mönche oder Nonnen erkennbar, wirken fast deplatziert in dem altmodischen Veranstaltungssaal, andere folgen dem simplen Standard-Dresscode wissenschaftlicher Konferenzen oder tragen Alltagskleidung. 

Logo 50 Jahre Europäische Buddhistische Union und 70 Jahre Deutsche Buddhistische Union

Rund 200 Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben sich eingefunden, um über die Zukunft des Buddhismus in Europa zu diskutieren. Selbstverständlich ist Gerhard Weißgrab gekommen, der Präsident der Österreichischen Buddhistischen Religionsgemeinschaft (ÖBR), wie auch EBU-Präsident Stefano Davide Bettera. Renommierte Autorinnen und Autoren sind vor Ort, wie der britische Vertreter eines säkularen Buddhismus Stephen Batchelor, der auch außerhalb buddhistischer Kreise international bekannt ist. Dem breiten Publikum weniger geläufig dürften die wissenschaftlichen Fachvortragenden aus den Fachbereichen Buddhistische Studien, Asiatische Studien, Religionswissenschaft und Philosophie sein wie die italienische Nonne und Forscherin Bhikkhuni Dhammadinna, der US-amerikanische Philosoph und Autor Peter D. Hershock, Gábor Karsai, Philosoph und Rektor des Dharma Gate Buddhist College in Budapest, sowie die österreichische Aktivistin, Menschenrechtstrainerin und Leiterin der Buddhistischen Jugend Österreich, Ioana Spataru.

Breites Themenspektrum

Diskutiert wird ein breites Spektrum an Fragen: Ist der Buddhismus bereit, aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen aufzugreifen? Wenn ja, wo verläuft die Grenze zwischen schützenswerten und authentischen Teilen der buddhistischen Lehre einerseits und modern angepassten Formen andererseits, die den faktischen Lebensrealitäten heutiger Buddhistinnen und Buddhisten Rechnung zu tragen versuchen? Inwieweit muss buddhistische Praxis soziale und ökologische Probleme gesamtgesellschaftlich adressieren, um nicht zum bloßen Werkzeug kapitalistischer Selbstoptimierung im Sinne eines „Mindfulness-Lifestyles“ zu werden? Fragen wie diese münden möglicherweise in der Grundsatzentscheidung, ob Europa dem traditionellen, asiatisch geprägten Buddhismus verpflichtet bleibt, oder ob es einen auf westlichen Denktraditionen wie dem Humanismus oder der Aufklärung basierenden europäischen Buddhismus braucht. 

Auf der Wiener Konferenz werden selbstkritische Reflexionen über die europäische Sangha nicht ausgespart. Warum bleibt die Beteiligung an buddhistischen Institutionen meist auf zum Buddhismus konvertierte, weiße Menschen der sozialen Mittelschicht beschränkt? Welche sozialen, ökonomischen und kulturellen Barrieren hindern in Europa lebende Angehörige aus traditionell buddhistischen Kulturen an der umfassenden Partizipation in europäisch-buddhistischen Organisationen? Inwieweit muss der europäische Buddhismus eine post-koloniale Perspektive auf seine Institutionen einnehmen, um nicht in die Kritik der kulturellen Aneignung zu geraten? Zugleich können auch die verschiedenen Ausprägungen des europäischen Buddhismus – mit seinen unterschiedlichen Varianten und Sprachen von Skandinavien bis Österreich, von Frankreich bis Ungarn – nicht undifferenziert gleichgesetzt werden. In Wien werden diese oftmals übersehenen Aspekte des buddhistischen Lebens in Europa erfrischend offen und kritisch reflektiert. 

Bild einer Diskussionsrunde mit Forschenden, Ordinierten und Leitenden aus Verbänden und Gemeinschaften. Aufgenommen von oben. Ein Buddhakopf von hinten nimmt einen großen Teil des Bildes rechts unten ein.
Diskussionsrunde mit Forschenden, Ordinierten und Leitenden aus Verbänden und Gemeinschaften

Die nächsten Jahrzehnte entscheiden

Konkrete Lösungsvorschläge für die vielfältigen Herausforderungen des Buddhismus in Europa sind allerdings kaum zu hören – im Vordergrund steht ein gemeinsames Problembewusstsein. Betrachtet man die große Bandbreite an vertretenen Mahayana-, Theravada- und Vajrayana-Schulen, ist eine solche Verständigung schon eine beachtliche Leistung, ebenso wie das gemeinsame Verständnis von europäischem Buddhismus als partizipativem Dialog (im Unterschied zu dogmatischer Schriftexegese) durchaus Anlass zum Optimismus gibt. 

Gleichzeitig darf man sich fragen, ob diese Haltung in den nächsten Jahrzehnten zu einem zunehmend koordinierten Handeln der unterschiedlichen buddhistischen Institutionen in Europa führend wird. Sollte der Weg bis 2075 in eine solche Richtung führen, ist mit der aktiven Vernetzung der nationalen buddhistischen Dachorganisationen in der EBU schon ein wichtiger Schritt gesetzt. Letztlich ist die buddhistische Praxis in Europa eine junge Bewegung, deren langfristiger Erfolg und kulturelle Anpassungsfähigkeit sich, gemessen an historischen Vorbildern, wohl erst in den nächsten Jahrzehnten oder gar Jahrhunderten entscheiden werden. 


Stimmen zum Kongress

Fünf Vertreterinnen des Buddhismus in Deutschland. Von links nach rechts: Vajramala, Thea mohr, Gabriela Frey, Bettina Hilpert, Konchok Jinpa
von links nach rechts: Vajramala (ehemalige Vorsitzende der EBU), Thea Mohr (EBU), Gabriela Frey (EBU), Bettina Hilpert (DBU-Büro), Konchok Jinpa (1. Vorsitzende der DBU)

Bettina Hilpert, Leiterin der Geschäftsstelle der DBU
„Die Konferenz war für mich ein rundum gelungenes Erlebnis und ein starkes Plädoyer für Verbundenheit, interreligiösen Dialog und geistige Offenheit.“ 

Antonella Sberna, Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments
„Im Namen des Europäischen Parlaments übermittle ich Ihnen herzliche Grüße zum 50-jährigen Jubiläum der EBU. Dieses Jubiläum würdigt Ihr langjähriges Engagement für Dialog, Zusammenarbeit und gegenseitigen Respekt der buddhistischen Gemeinschaften Europas und hebt die wichtige Rolle der EBU im Austausch mit europäischen Institutionen sowie im interreligiösen Dialog hervor.“ 

Stefano Davide Bettera, Präsident der Europäischen Buddhistischen Union (EBU)
„Der Buddhismus befasst sich heute mit den drängenden sozialen Problemen, mit denen das demokratische Europa konfrontiert ist. Zunehmend polarisierte Debatten spalten die Menschen. Wir fragen: Sollten europäische Buddhistinnen und Buddhisten zu diesen Themen Stellung beziehen oder sich heraushalten, um nicht durch eine zu enge Verflechtung mit aktuellen gesellschaftlichen Debatten seine eigene, unabhängige Perspektive zu verlieren? Das ist die Herausforderung.“

Gabriela Frey, EBU-Koordinatorin der Deutschen Buddhistischen Union
„Es war eine wunderbare und wichtige Konferenz: Die 14 nationalen buddhistischen Dachverbände Europas sind für Austausch und Vernetzung zusammengekommen, mit dabei Vertreterinnen und Vertreter aus Österreich, Belgien, Finnland, Frankreich, Deutschland, Italien, die Niederlande, Norwegen, Polen, Portugal, Spanien, Schweden, die Schweiz und dem Vereinigten Königreich.“

Abdruck mit herzlichem Dank an die Redaktion von „Buddhismus in Österreich“.

Weitere Informationen

europeanbuddhistunion.org
buddhismus-austria.at/buddhismus-in-oesterreich/oebr-magazin

Wolfgang Damoser

ist Philosoph mit den Schwerpunkten buddhistische Philosophie und angewandte Ethik. Seit 2022 leitet er „Vielosophie – Die Philosophische Praxis“ (vielosophie.at) in Wien. Er engagiert sich in der Österreichischen Buddhistischen Religionsgemeinschaft (ÖBR) und unterstützt Animal Compassion als wissenschaftlicher Beirat.

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