Bhikkhu Bodhi zum 80. Geburtstag

Ein Beitrag von Redaktion BUDDHISMUS aktuell veröffentlicht in der 3/2024 Geist unter der Rubrik Aktuell.

Ein Leben in Mitgefühl und Bescheidenheit 

Seit über fünf Jahrzehnten lebt der Ehrwürdige Bodhi Mahathera, der sich schlicht Mönch Bodhi nennt, in Roben. Buddhistinnen und Buddhisten weltweit kennen und schätzen ihn für sein vielfältiges und mitfühlendes Engagement. Am 10. Dezember 2024 wird er 80 Jahre alt – für Raimund Hopf ein Anlass, das bewegte Leben Bhikkhu Bodhis Revue passieren zu lassen und zu würdigen. 

Geboren am 10. Dezember 1944 als Sohn jüdischer Eltern, wuchs Jeffrey Block in Brooklyn, New York, auf. Seine Kindheit war geprägt von einer ethnisch gemischten Nachbarschaft der aufblühenden Nachkriegszeit. Weder seine Eltern noch Jeffrey waren religiös, obwohl er als Dreizehnjähriger die Bar Mizwa feierte, das traditionelle Fest der Religionsmündigkeit, und dafür Hebräisch lernen musste. 

Jeffreys Jugend war geprägt von der Beat Generation, Elvis Presley, Che Guevara und Fidel Castro, den Rolling Stones und den Beatles, dem Vietnamkrieg und der Ermordung John F. Kennedys, an die er sich, wie viele Menschen in den USA, als tief einschneidendes Ereignis gut erinnert. 

Washington 1980

Das Interesse des jungen Jeffrey galt zunächst dem Sport und der Jazz- und Blues-Musik. Bis auf Buddhastatuen, die ihn bei Besuchen in Chinatown durch ihr freundliches Gesicht und den Ausdruck von Gelassenheit und Frieden beeindruckten, hatte er keine Berührung mit dem Buddhismus. In seiner Zeit am Brooklyn College verspürte er zunächst eigentlich kein Interesse an Religion, machte jedoch Erfahrungen mit Psychedelika. Deren bewusstseinserweiternde Wirkung trug dazu bei, dass er sich auch für den Buddhismus interessierte. Dazu kam, dass Richard Alpert als Gastredner ans College eingeladen wurde, später bekannt als Baba Ram Dass. Richard Alpert hatte, wie auch sein Kollege Timothy Leary, an der Harvard-Universität mit psychotropen Substanzen experimentiert. Später suchte er ähnliche Erfahrungen in der Meditation. Auch das imponierte dem jungen Jeffrey Block. 

Begegnungen mit vietnamesischen Mönchen

1966 verließ er das College mit einem Bachelorabschluss und wechselte an die Claremont Graduate School in Kalifornien, wo er 1972 in Philosophie promovierte. Die Zeit dort sollte zu einer bleibenden Wende führen. Schon auf dem Weg nach Kalifornien traf Jeffrey auf den vietnamesischen buddhistischen Mönch Minh Chau, dem er später erneut – wiederum „zufällig“ – in Los Angeles begegnete. Auch einer seiner Studienkollegen war vietnamesischer Mönch.

Am 4. April 1968 wurde Martin Luther King ermordet, 1969 fand das legendäre Woodstock-Festival statt, die Hippiebewegung stand in voller Blüte; der junge Student Jeffrey Block war allerdings nun vor allem mit der Lehre Buddhas beschäftigt. Nach intensiver Lektüre der wenigen damals erhältlichen Bücher über Buddhismus und ersten Meditationserfahrungen mit seinem neuen buddhistischen Studienkollegen entschloss er sich, ein buddhistischer Novize zu werden. Der Studienfreund holte die Erlaubnis seines Ordens ein, ordinierte Jeffrey, der damit zum Mahayana-Novizen Bodhi wurde, und beide zogen in eine gemeinsame Studentenwohnung, die auch als kleines Mediationszentrum diente. Da Jeffrey seine Robe nicht in der Uni tragen musste, fiel seinen Kommiliton:innen lediglich auf, dass er keine langen Haare und keinen Bart mehr trug.

Klosterleben auf Sri Lanka

Nach seiner Promotion unterrichtete der Novize Bodhi als Dozent am College und ging im Herbst 1972 auf Vermittlung des damals bekannten Mönchs Bhikkhu Piyadassi nach Sri Lanka zu dem Ehrwürdigen Balangoda Ananda Maitreya. Dessen Kloster lag damals unweit von Colombo. Bis auf einen älteren westlichen Novizen befanden sich nur Kindernovizen im Kloster. Dennoch entschloss er sich, dort die Theravada-Novizenordination zum Samanera und ein halbes Jahr später die volle Ordination zum Bhikkhu nehmen. Sein Lehrer Ananda Maitreya empfahl ihm, den bereits erhaltenen Ordinationsnamen Bodhi zu behalten. 

Vor der Forest Hermitage mit Nyanaponika Thera

Aufgrund seiner westlichen Herkunft und seiner Promotion wurde Bhikkhu Bodhi auf Sri Lanka privilegiert behandelt. Außer gelegentlichen Zeremonien musste er keinen besonderen Verpflichtungen folgen oder Arbeiten verrichten; auf Almosenrunde zu gehen war nicht üblich. Deshalb fehlte ihm oft der Austausch mit anderen. Meistens saß er allein in seiner Hütte, meditierte, lernte Pali nach K. L. Warders Lehrbuch, dem damaligen Standardwerk für Pali, und las sich durch die alten Nikaya-Übersetzungen der Pali Text Society. Ananda Maitreya, selbst ein Pali-Gelehrter, begleitete und förderte Bhikkhu Bodhis Selbststudium. 

Zu einer wichtigen Begegnung kam es, als Bhikkhu Bodhi die berühmte Island Hermitage besuchte, eine Klosterinsel nahe der Küstenstadt Dondanduwa. Dort hatte einst der bekannte Nyanatiloka (1878–1957) gewirkt, der erste buddhistische Mönch aus Kontinentaleuropa, der viele Werke des Pali ins Deutsche übersetzt hatte. Hier traf Bhikkhu Bodhi zum ersten Mal auf den deutschen Mönch Nyanaponika Thera (1901–1994), Nyanatilokas Nachfolger und Gründer der Buddhist Publication Society (BPS). Schnell entdeckten die beiden ihre gemeinsame Affinität für Palistudien und den philosophischen Austausch über den Dhamma. 

Seitdem praktizierte Bhikkhu Bodhi häufig abwechselnd mit Nyanaponika Thera und Balangoda Ananda Maitreya und hatte somit zwei Lehrer. In dieser Zeit entstand sein erstes Buch, „Nourishing the Roots“ (Die Wurzeln pflegen), gefolgt von „The Discourse on the All-Embracing Net of View – The Brahmajala Sutta and Its Commentaries“ (Die Lehrrede zum allumfassenden Netz der Ansichten – Das Brahmajala Sutta mit seinen Kommentaren), beide begleitet von Nyanaponika Thera und veröffentlicht in der BPS. 

Autor vieler Bücher 

Nachdem seine Jahre als Mönch im Training abgeschlossen waren, flog Bhante Bodhi zurück in die USA, um seinen Vater zu treffen, und lebte dort zuerst zwei Jahre in der Lama Buddhist Monastery of America in New Jersey und dann weitere drei in der Washington Buddhist Vihara. In dieser Zeit schrieb er „The Discourse on the Root of Existence – The Mulapariyaya Sutta and Its Commentaries“ (Die Lehrrede zur Wurzel allen Seins – Das Mulapariyaya Sutta mit seinen Kommentaren) und hielt die Vortragsreihe „The Buddha’s Teaching As It Is“ (Buddhas Lehre, wie sie ist), die später als Audioaufnahmen erschienen sind. 

1982 kehrte er nach Sri Lanka zurück und hielt sich abwechselnd bei Nyanaponika Thera und im Waldkloster Mitirigala Nissarana Vanaya auf, wo er seine Meditationserfahrungen in der burmesischen Vipassana-Tradition vertiefte. In Kandy schrieb er unter anderem „Going for Refuge & Taking the Precepts“ (Zufluchtnahme und das Nehmen der Gelübde) in Wheel, einer frühen und damals beliebten Serie von Dhammabroschüren, die zu den ersten Veröffentlichungen der BPS gehörte. Auch verfasste er das Buch „Great Discourse on Causation – The Mahanidana Sutta and Its Commentaries“ (Die große Lehrerede über abhängiges Entstehen – Das Mahanidana Sutta mit seinen Kommentaren).

Ein sri-lankischer Mönch empfahl ihm dann, sich Nyanaponika doch ganz anzuschließen, da beide eine Affinität zueinander hätten und Nyanaponika wegen seines fortgeschrittenes Alters Hilfe brauche und auch einen Nachfolger für seine Arbeit bei der Buddhist Publishing Society in Kandy. Doch erst als Bhante Bodhi während eines Aufenthalts bei Acariya Buddharakkhita in Bangalore in Indien Probleme mit der Verlängerung seines Visums hatte und daraufhin von Nyanaponika eingeladen wurde, zu ihm in die Forest Hermitage nach Kandy zu ziehen, entschloss er sich, Nyanaponika dauerhaft zu unterstützen. Daraus wurden weitere zehn Jahre eines gemeinsamen Lebens, Meditierens und Studierens. 

Bald darauf bat ihn Nyanaponika Thera aus Altersgründen, leitender Herausgeber der BPS zu werden. Seitdem brauchte Nyanaponika immer häufiger auch Hilfe im Alltag und Bhante Bodhi pflegte ihn bis zu seinem Tod im Jahr 1994. In den letzten Jahren las er ihm abends aus Büchern vor und nahm das auf Kassetten auf, weil dieser nicht mehr selbst lesen konnte. In seinen letzten Monaten hörte sich Nyanaponika Thera sehr häufig die Aufnahmen aus „Das tibetische Buch vom Leben und Sterben“ von Sogyal Rinpoche an, weil er sich dafür interessierte, was in seinem Todesprozess geschehen würde. Vorübergehend ging Nyanaponika auch in ein Pflegeheim, wollte aber wieder nach Hause in seine geliebte Hermitage zurückkehren, wo Bhante Bodhi ihn mit der Unterstützung eines singhalesischen Pflegers versorgte.

Reger Austausch mit Buddhologen

Bhikkhu Bodhi in New York City

Während seiner Zeit als Herausgeber bei der BPS edierte Bhante Bodhi viele Bücher und schrieb selbst auch weitere, beispielsweise „The Discourse on the Fruits of Recluseship – The Samannaphala Sutta and Its Commentaries “(Lehrrede über die Frucht des Einsiedlerlebens: Das Samannaphala Sutta mit seinen Kommentaren) und die Überarbeitung des Majjhima Nikaya, der Mittleren Sammlung, die Nyanamoli als handschriftliche Übersetzung hinterlassen hatte. Nyanamoli (1905–1960) war ein britischer Schüler von Nyanaponika gewesen. Er hatte sehr schnell Pali gelernt, wichtige Werke übersetzt und war leider nach elf Jahren im Sangha früh verstorben. Der Herausgeber des US-amerikanischen Verlags Wisdom Publications hatte ursprünglich Nyanaponika Thera gebeten, sie für einen Druck vorzubereiten, doch der hatte wegen seines fortgeschrittenen Alters auf Bhante Bodhi verwiesen. Die daraus entstandene Übersetzung des Majjhima Nikaya wurde sehr gut aufgenommen, was Bhante Bodhi bald als Übersetzer und Autor bekannt machte. 

1988 wurde er zusätzlich noch Präsident der BPS und fing nebenbei eine neue Übersetzung des Samyutta Nikaya an, der Gruppierten Sammlung. Diese Arbeit musste er aber wegen anderer Tätigkeiten oft unterbrechen. Neben vielen eigenen Essays in den Wheel Publications und einer weiteren Serie von Dharmabeiträgen, den Bodhi Leaf Publications, ist die Herausgabe von „Great Disciples of the Buddha“ (deutsch: „Die Jünger Buddhas“, O.W. Barth Verlag) und das große Werk „A Comprehensive Manual of Abhidhamma – The Philosophical Psychology of Buddhism“ (Umfassendes Handbuch zum Abhidhamma – Die philosophische Psychologie des Buddhismus)nennenswert, Letzteres einer erweiterten und überarbeiteten Fassung des renommierten Gelehrtenmönchs Narada Mahathera aus Sri Lanka mit vielen zusätzlichen Tabellen und komplett neu übersetzt. Auch mit Buddhologen wie Professor Kenneth Roy Norman, einem bekannten Philologieprofessor an der Cambridge-Universität und führenden Paligelehrten, stand Bhante Bodhi damals in regem brieflichen Austausch. Nun begann er, auch auf dem Computer zu arbeiten, der ihm dank der Nutzung kleiner Solarpaneele auch in der Hermitage zu Verfügung stand. Für E-Mails musste er jedoch zur BPS nach Kandy gehen, da die ersten Internetverbindungen damals nur über ein Telefonmodem möglich waren.  

Redner vor den Vereinten Nationen

Bhikkhu Bodhi mit Raimund und Shaila

Als die Vereinigten Nationen sich im Jahr 2000 entschlossen, Vesakh zu einem offiziellen Feiertag zu erklären, wurde Bhante Bodhi von der UNO zu diesem Anlass als erster Vesakh-Keynote-Redner eingeladen. Er nutzte die Reise in den Westen, um einmal wieder seinen Vater zu besuchen, der ihm riet, in den USA zu bleiben, um dort vielleicht eine bessere medizinische Behandlung der starken Kopfschmerzen zu erhalten, unter denen er seit vielen Jahren litt und die ihn oft zwangen, seine Arbeit zu unterbrechen. Frühere Behandlungen auf Sri Lanka und Indonesien hatten nicht geholfen und auch die Behandlungen in den USA schlugen leider nicht an – bis heute leidet Bhikkhu Bodhi immer wieder unter starken Kopfschmerzattacken. 

Dennoch blieb er in den USA und trat 2002 von seinem Amt bei der BPS zurück. Erst ging er ins Bodhi Monastery in Lafayette in New Jersey und wechselte 2006 ins Chuang Yen Monastery in Camel, New York, wo er bis heute lebt und wirkt. Seit 2013 ist er Präsident der Buddhist Association of the United States und hat seine Lehrtätigkeit in den USA noch einmal ausgebaut. So hielt er wöchentlich Vorträge über den Majjhima Nikaya und etliche Kurse, darunter auch einen Palikurs. Neben seiner Übersetzungstätigkeit und dem Verfassen von Büchern öffnete er sich zunehmend auch sozialen Themen und schrieb Essays, die Ungerechtigkeiten in den USA und weltweit thematisieren, zum Beispiel bei Common Dreams und Truthout, digitalen News- und Presseplattformen in den USA. Ein Artikel von Bhante Bodhi inspirierte Schülerinnen und Schüler von ihm zur Gründung der buddhistischen Hilfsorganisation Buddhist Global Relief, deren Präsident er wurde. Die Organisation finanziert nun seit fast 15 Jahren Projekte gegen den Hunger und hat inzwischen auch eine Schwesterorganisation in Deutschland: den Verein Mitgefühl in Aktion. 

Warum hat Bhikkhu Bodhi im Laufe seines Lebens so viel Einfluss erlangt? Der Grund liegt darin, dass er einerseits tief im Vertrauen zur Theravada-Überlieferung der buddhistischen Lehre lebt und andererseits weit über den Tellerrand hinausblickt; so hat er beispielsweise noch in den USA Chinesisch gelernt. Bhante Bodhi hat immer großen Anteil am Leid der Menschen genommen und ist, obwohl er doch sehr viel bewegt und bewirkt hat, offen und bescheiden geblieben. 

Möge uns Bhante Bodhi noch lange erhalten bleiben. 

Happy Birthday, dear Bhante!

Raimund Hopf

Weitere Informationen

Weitere Details zum Leben von Bhante Bodhi finden sich in einer dreiteiligen englischsprachigen Interviewserie, die anlässlich dieses Artikels auf dem Kanal Buddha-Talk als Video erschienen ist:
https://youtu.be/IoDMtkXZaG0.

Weitere Details zum Leben von Bhikkhu Bodhi: 

buddhistglobalrelief.org
www.mia.eu.com
buddhistglobalrelief.wordpress.com

Dreiteilige englischsprachige Interviewserie:

Anlässlich dieses Artikels auf dem Kanal Buddha-Talk als Video erschienen: 
www.youtube.com/watch?v=IoDMtkXZaG0

Liste deutschsprachige Übersetzungen von Bhikkhu Bodhi: 

https://portal.dnb.de/opac.htm?method=simpleSearch&query=103733906

Publikationen von Bhikkhu Bodhi in Deutsch (übersetzt):

„Der edle achtgliedrige Heilsweg“, Beyerlein & Steinschulte 2002
„In den Worten des Buddha – Eine Anthologie von Lehrreden aus dem Pali-Kanon“, Beyerlein & Steinschulte 2008
„Die Lehren des Buddha zu einer sozialen und harmonischen Gesellschaft“, Beyerlein & Steinschulte 2018

Deutsche Übersetzungen von Essays von Bhikkhu Bodhi:

www.zugangzureinsicht.org/html/lib/authors/bodhi/index.html

Englischsprachige Dharma Vorträge und Audios von Bhikkhu Bodhi:

www.baus.org/en/?cat=9 (includes schedule of classes)
bodhimonastery.org/a-systematic-study-of-the-majjhima-nikaya.html
bodhimonastery.org/an-extended-study-of-the-majjhima-nikaya.html
www.noblepath.org/audio.html
www.youtube.com/playlist?list=PL23DE0292227250FA