Ayya Khema

Ein Beitrag von Claudia Wildgruber veröffentlicht in der Ausgabe 2023/3 Umgang mit Sexualität unter der Rubrik Frauen im Buddhismus.

Eine große Mystikerin 

Nach einem turbulenten Leben auf mehreren Kontinenten kehrte Ilse Kussel als buddhistische Nonne Ayya Khema nach Deutschland zurück und wies Menschen den Weg zu innerem Frieden. Zum 100. Geburtstag der buddhistischen Pionierin eine Würdigung von Claudia Wildgruber.

Ayya Khema in der Meditationshalle

Am 25. August 1923 wurde Ilse Kussel als Kind wohlhabender jüdischer Eltern geboren. 1939 musste sie als 15-Jährige von Berlin auf einem der letzten Kindertransporte nach Schottland fliehen. Zwei Jahre später folgtesie ihren Eltern nach Schanghai, wo die Familie nach dem Einfall der mit Deutschland verbündeten Japaner in ein Ghetto ziehen musste. Ihr Vater starb dort kurz vor Kriegsende, die Mutter fiel in eine Depression. Die Tochter kümmerte sich darum, dass das Leben weiterging.

Ilse Kussel mit Eltern in Shanghai

Mit 22 Jahren heiratete sie und wurde Mutter. Als Maos Soldaten vor Schanghai standen, musste sie erneut fliehen, dieses Mal mit Mann und Tochter in die USA. Wieder stand sie vor dem Nichts, wieder musste sie von vorn anfangen. Sie besorgte sich einen Job als Sekretärin bei einer Bank, zog mit ihrer Familie in ein kleinesHaus, bekam ein zweites Kind. Das erste Mal in ihrem Leben hatte sie das Gefühl, wieder eine Heimat gefundenzu haben, und doch spürte sie schon damals, dass ihr trotz allem etwas fehlte.

Sie begann, spirituelle und philosophische Bücher zu lesen, und sehnte sich zunehmend danach, aus dem bürgerlichen Leben auszubrechen. Ihr Mann brachte dafür kein Verständnis auf. Es folgten Scheidung, Wegzug mit ihrem zweiten Kind auf eine Gesundheitsfarm in Mexiko, die Heirat ihres zweiten Mannes Gerd Ledermann. Mit ihm bereiste sie Mittel- und Südamerika, Asien, Australien, Europa und lebte einige Zeit in Pakistan, immer auf der Suche, eine innere Leere zu füllen. In einem Ashram in Indien folgte sie zum ersten Mal Meditationsanweisungen, die ihr eine neue Dimension des Erlebens eröffneten. „Von da an konnte ich nach innen gehen“, schreibt sie in ihrer Autobiografie.

Ilse Ledermann in den USA

Von den Lehren Buddhas hörte sie jedoch erst ein Jahr später in Australien, wo sie und ihr Mann eine kleine Farm betrieben. Eines Tages besuchte sie ein buddhistischer Mönch. Er erzählte ihr von der Lehre Buddhas, von der unbefriedigenden Wirklichkeit und dem Weg aus dem Leid. „Ich verstand vollkommen. Ich wusste, dass es stimmt. Ich begriff, was ich anzustreben hatte“, hat sie später dazu geschrieben. Nun hielt sie nichts mehr auf.

Ordination auf Sri Lanka

Während sie Meditationskurse in den USA und in Burma besuchte, verließ sie ihr zweiter Ehemann. Sie verkaufte ihr Hab und Gut und beschloss nach einem dreimonatigen Studien- und Meditationsaufenthalt in einem thailändischen Kloster, Nonne zu werden. „Ich hatte alles gehabt, alles ausprobiert. Ich war verheiratet, hatte Kinder, Enkelkinder, war reich, war arm. Was hatte die Welt mir noch zu bieten? Sie bringt einem nicht den inneren Frieden, das innere Glück, weil alles, was in der Welt geschieht, vergänglich ist“, stellte sie fest. Aus der 55-jährigen Ilse Ledermann, geborene Kussel, wurde die Theravada-Nonne Ayya Khema.

Nun bereiste sie die Welt als Lehrende, gründete in Australien das Waldkloster Wat Buddha Dhamma und auf einer Insel in Sri Lanka das Nonnenkloster Parappaduwa. Sie engagierte sich als eine der ersten dafür, dass auch Frauen wieder die Möglichkeit zur vollen Ordination erhalten konnten, und gründete gemeinsam mit anderen Frauen Sakyadhita, eine internationale Vereinigung zur Stärkung der Rechte von Nonnen und Frauen im Buddhismus.

Ein Buddha-Haus im Allgäu

Als Ende der 1980er-Jahre auf Sri Lanka politische Unruhen ausbrachen, schlugen deutsche Schüler ihr vor, in die Heimat zurückzukommen, um sich dort ganz auf die Lehrtätigkeit zu konzentrieren. Bei Oy-Mittelberg, im Herzen des Allgäus, schuf Ayya Khema gemeinsam mit Anhängerinnen und Anhängern aus einer in die Tage gekommenen Pension einen Ort der Zuflucht. Sie gab ihm den schnörkellosen Namen Buddha-Haus. Im Frühling 1989 setzte Ayya Khema ihren ersten Schritt in das frisch renovierte Seminarhaus und wenige Tage später leitete sie dort bereits ihren ersten Meditationskurs.

Viele weitere Kurse sollten folgen, die Zahl der Schülerinnen und Schüler wuchs, immer mehr Kurse wurden in größere Zentren ausgelagert, wie die Klöster St. Ottilien und Niederaltaich. Fernsehsender luden Ayya Khema ein, Artikel in Zeitschriften und Magazinen erschienen.

In einfachen Worten

Ayya Khema bei der Ankunft im Buddha-Haus

Ayya Khemas Besonderheit war, aus der Tiefe ihrer Erfahrung heraus der Lehre des Buddha in klaren und einfachen Worten Ausdruck zu verleihen und die Herzen der Menschen direkt zu berühren. Sie war im Westen eine der ersten, die neben der Samatha- und Vipassanapraxis auch die meditativen Vertiefungen (jhanas) in den Mittelpunkt ihres Lehrens stellte. Auch der interreligiöse Dialog lag ihr sehr am Herzen. So wurde Ayya Khema eine der großen Integrationsfiguren des Buddhismus im Westen und eine Meditationsmeisterin mit internationalem Ruf.

Dass sie seit Jahren Brustkrebs hatte, wusste niemand außer ihr – bis 1993 ein Knoten aufbrach und operiert werden musste. Doch nichts konnte sie stoppen, auch nicht der Krebs. Als sie wieder nach Hause durfte, ging es im Eiltempo weiter, denn sie wusste um ihre Endlichkeit: Sie leitete weiter Kurse, schrieb Bücher, eröffnete das Stadt-Zentrum München und gründete ein buddhistisches Waldkloster. Über diese letzten Jahre schreibt sie: „Die Begegnung mit dem Tod hat dazu beigetragen, dass ich die Lehre in einer Art verbreite, die nichts mit meiner Person zu tun hat. Ich bin nicht nur unwichtig, ich fühle mich gar nicht mehr anwesend, sondern nur als ein Sprachrohr für Dinge, die den Menschen helfen.“

Ayya Khema starb am 2. November 1997 im Buddha-Haus Allgäu. Das umfangreiche Buddha-Haus-Projekt mit seinen verschiedenen Bereichen – neben dem Seminarhaus im Allgäu gehören die beiden Meditationszentren in München und Stuttgart, die Metta Vihara und der Jhana Verlag dazu –, aber vor allem ihre vielen Vorträge und Bücher zum Verständnis der Lehre Buddhas sind das große Vermächtnis der Mystikerin Ayya Khema.

 


In den Beitrag sind mit freundlicher Genehmigung Auszüge aus dem Artikel „Ayya Khema – Wissenschaftlerin des Geistes“ von Akiko Lachenmann eingeflossen (Stuttgarter Zeitung, 2.11.2022). 

Gedenkfeier zum 100. Geburtstag
Am 26. August 2023 findet im Buddha-Haus Allgäu eine Gedenkfeier zu Ayya Khemas 100. Geburtstag statt. Mehr Information über das Buddha-Haus-Projekt und die geplante Gedenkfeier unter www.buddha-haus.de.