Editorial der Ausgabe 2025/2

Ein Beitrag von Susanne Billig veröffentlicht in der 2-2025 Resonanz unter der Rubrik Editorial.

Liebe Leserinnen und Leser,

damit sich Resonanz entfalten kann, müssen einige Voraussetzungen zusammenkommen. In der Physik braucht es zunächst ein schwingungsfähiges System – eine Schaukel, ein Musikinstrument, einen elektrischen Schwingkreis. Solche Systeme haben eine Eigenfrequenz, eine bestimmte Art und Weise des Schwingens. Wirkt nun, in derselben Frequenz, eine Kraft von außen auf das System ein, so antwortet es mit Resonanz: die Schaukel schwingt immer höher, die Schallwellen verstärken sich zur Musik, Strom und Stromspannung schwingen zwischen Spule und Kondensator verstärkt hin und her. In alten Radios konnte man auf diese Weise aus dem Spektrum der vielen Möglichkeiten eine bestimmte Frequenz auswählen und gezielt verstärken – es erklang der gewünschte Radiosender.

Resonanz ist ursprünglich kein buddhistischer Begriff, doch lassen sich Wort und Idee in einer buddhistischen Zeitschrift wunderbar zum Klingen bringen. Ist nicht das Mitgefühl eine Form der emotionalen und auch handelnden Resonanz? Das gemeinschaftliche buddhistische Rezitieren und Singen – ist es nicht ein Erzeugen und Erleben von Resonanz? Und was wäre die Meditation anderes, als mit Körper und Geist auf eine bestimmte Weise in Resonanz zu treten?

In allen diesen Fällen sind wir Menschen sowohl das schwingungsfähige System wie auch ein Teil der Kraft von außen, da wir es ja sind, die eine Auswahl treffen und ihre Aufmerksamkeit gezielt lenken. Die vielen möglichen Geisteszustände in uns schwingen in vielen Eigenfrequenzen. Indem wir auswählen, welche geistigen Einflüsse wir auf uns wirken lassen, können wir die Landschaft unserer inneren Schwingungen bewusst gestalten. Mit welchem Mantra verbinde ich mich, um welche Schwingungen in mir hervorzuheben – oder auch zu dämpfen? Zu welchen Umständen, Situationen, Mitlebewesen hin öffne ich mich, mit welcher Haltung und Motivation, um eben diese Haltung und Motivation noch deutlicher zum Schwingen zu bringen?

Ganz direkt geht es die Chan-buddhistische Nonne Shifu Simplicity in ihrem Beitrag für diese Ausgabe an: „Dharmapraxis ist die Übung, mit dem Geist eines Buddha in Einklang zu kommen“, schreibt sie darin. Anschließend führt sie aus, wie die buddhistischen Schriften die Prinzipien erläutern, die es dabei zu beachten gilt. Denn, so Shifu Simplicity weiter: „Wichtig ist, dass wir uns selbst nichts vormachen. Nur vom reinen Geistzu reden, ohne dass wir ihn leben, bringt nichts.“

Kristina Bischoff hat auf eine andere, nicht minder direkte Weise mit dem Thema zu tun. Sie ist nicht nur seit vielen Jahrzehnten Buddhistin in tibetischer Tradition, sondern leitet auch Chöre, teils weltliche, teils Dharma-Chöre. In einem sehr lebendigen Interview erzählt sie von den klanglichen, emotionalen und sozialen Resonanzen beim gemeinsamen Singen.

Ein weiteres Gespräch führen wir mit der EarthHolder Sangha. Diese Gemeinschaft steht in der Tradition des vietnamesischen Zen-Lehrers Thich Nhat Hanh und richtet sich in ihrer Praxis auf die Natur aus, deren Schönheit und deren Schmerz. Welche Reflexionen, Empfindungen und Verantwortungen bringt das hervor?

Auch ein Bezug zu dem bekannten Buch „Resonanz – Eine Soziologie der Weltbeziehung“ darf nicht fehlen. Geschrieben hat es 2016 der Soziologe Hartmut Rosa. Für diesen Schwerpunkt setzt sich Helmut Hallier mitdem Buch auseinander. Er schreibt: „Achtsamkeitspraxis ist nicht gleich Resonanz, wie Hartmut Rosa sie beschreibt, aber sie eröffnet doch die Möglichkeit, zur Welt in Beziehung zu treten, und das in einer Qualität, die ich auch in Rosas Ausführungen wiederfinde – im fühlenden Kontakt zu mir selbst, zu anderen Menschen, Lebewesen, Landschaften, zu meiner Arbeit. Wenn wir Achtsamkeit üben und in unseren Alltag zu integrierenverstehen, beginnt die ganze Welt zu uns zu sprechen.“

Wir wünschen euch und Ihnen vielfältige Resonanzerlebnisse bei der Lektüre dieser und der vielen weiteren Beiträge, Buchvorstellungen und Nachrichten aus der buddhistischen Welt.

Herzlich grüßen das Redaktionsteam und

Susanne Billig,
Chefredakteurin

Susanne Billig

Susanne Billig ist Biologin, Buchautorin, Rundfunkjournalistin (Wissenschaft, Gesellschaft) und Sachbuchkritikerin. Sie ist seit 1988 in Praxis und Theorie mit Buddhismus und interreligiösem Dialog befasst, Kuratoriumsmitglied der Buddhistischen Akademie Berlin-Brandenburg und Chefredakteurin von BUDDHISMUS aktuell.

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