Die Schlange Gurrangatch und der Jäger Mirragan

Ein Beitrag von Bhante Sujato veröffentlicht in der Ausgabe 2019/4 Mut unter der Rubrik Buddhismus in der Welt.

Diesen Aufsatz hat Bhante Sujato bei einer Plenarsitzung auf der Sakyadhita-Konferenz 2019 in Leura, NSW, vorgetragen. Die Erderwärmung stellt eine nie dagewesene Bedrohung für das Überleben unserer Zivilisation und Kultur dar, sogar ganz direkt für unser Leben. Der Mythos der Aborigines von Gurrangatch und Mirragan erzählt von einer Zeit, in der das Land der Blue Mountains in einem Überlebenskampf geformt wurde, einem Kampf, der sowohl von Leidenschaft als auch von Zügelung geprägt war. Die Zukunft war nie unsicherer. Dennoch zeigen uns unsere Weisheitstraditionen Wege auf, wie wir über Veränderung reden und auf sie reagieren können; wir, mit Bewusstsein begabte Individuen, die in der Lage sind, nachzudenken und unsere Antworten selbst zu wählen. [ Übersetzung von Anagarika Sabbamitta, Deutsche Übersetzung zuerst veröffentlicht auf samita.be. Mit freundlichem Dank! ]

Quelle: https://amazing-bangkok.com/en/sightseeing/wat-saman-2/

Ich möchte euch allen heute etwas aus meinem eigenen Land vorstellen. Wir haben die Weisheit unserer indigenen Völker herabgesetzt oder vernachlässigt, und der Preis für diese Vernachlässigung wird immer deutlicher, je mehr sich unser Klima verändert und die Natur zurückgeht. Die Aborigines haben sich 50.000 Jahre lang um dieses Land gekümmert, und wir haben es geschafft, es in wenigen Jahrhunderten kleinzukriegen.

Um das Jahr 1900 hat sich ein Ethnologe und Landvermesser namens R.H. Mathews mit dem Volk der Gundungurra aus dem Burragorang-Tal getroffen und die Schöpfungsgeschichte über die Schlange Gurrangatch und den Jäger Mirragan aufgezeichnet; darüber, wie ihr Kampf Flüsse, Berge und Täler formte, die wir heute als die Blue Mountains kennen.

Ich gehöre nicht zum Volk der Gundungurra, und das ist nicht meine Geschichte. Dennoch ist es mein Land; nicht im Sinn von Besitztum, sondern im Sinn von Zugehörigkeit und Beziehung. Ich werde niemals völlig erfassen können, was es heißt, mit dem Land zusammen eine Geschichte zu sein; dass mein Lied das Lied des Landes ist. Ich erlebe die Geschichte von Gurrangatch und Mirragan nicht, indem ich über die Pfade wandere, die sie in der Erzählung geformt haben, unter den Bergen Schutz finde, die sie aufgetürmt haben, und aus den Bächen trinke, durch die sie geschwommen sind, sondern über das Zusammenwirken von Übersetzern und Technologien, entfernt und abstrahiert. Ich kann euch nicht sagen, was diese Geschichte für das Volk bedeutete, das an diesem Ort lebte. Ich kann nur sagen, was sie für mich bedeutet, und kann euch heute ihre Geschichte erzählen, in einem Geist tiefsten Respekts vor dem Volk der Gundungurra und ihrer Kultur. Es ist eine Geschichte über das Morgengrauen; wir wollen sehen, was sie uns, die wir im Abendlicht leben, zu sagen hat.

Lass die Schlangen die Geschichte erzählen, indem du ihnen von Süden nach Norden folgst, und hör zu, wie Tante Val Mulcahy, eine indigene Geschichtenerzählerin, sie in ihre eigenen Worte fasst.

Karte des Arreals von Gurrangatch und Mirragang. Beim Klick auf die Schlangensymbole wird die Geschichte zu dem Punkt erzählt. Die Deutsche Übersetzung der Punkte finden Sie im Text.

Deutsche Übersetzung der Geschichte, die die Schlangen auf der Karte erzählen

  1. Gurrangatchs Heimat, Murrawall. Gurrangatch war ein Burringilling, ein mächtiger Geist der Traumzeit, halb Fisch, halb Reptil. Er lebte dort in den tiefen Wassern, bis der Beutelmarder Mirragan, ein fanatischer Jäger, der geringere Beute verschmähte, einen flüchtigen Blick auf Gurrangatchs blitzendes Auge erhaschte. Als es ihm nicht gelang, die leuchtende Schlange mit dem Speer zu erjagen, vergiftete Mirragan das Wasser mit Hickoryrinde, aber er erreichte lediglich, Gurrangatch zur Flucht zu zwingen. Mirragan war keiner, der eine so prächtige Beute entkommen ließ, und nahm die Verfolgung auf.
  2. Gurrangatch ändert seine Meinung. Während er verzweifelt floh, schuf Gurrangatch Flüsse, Schluchten und unterirdische Durchgänge. Er floh entlang des Flusses Guineacor, aber dort traf er auf Fels, der selbst für ihn zu hart war. So machte er kehrt und folgte weiter dem Fluss Wollondilly aufwärts.
  3. Gurrangatch wandert stromaufwärts. Mit seinen bemerkenswerten Kräften arbeitete sich Gurrangatch stromaufwärts vor. Als er die Quelle des Bächleins erreichte, stürzte er sich direkt durch die Erde hindurch zu den Höhlen.
  4. Gurrangatch taucht bei den Wombeyan-Höhlen auf. Hier holte Mirragan die Schlange ein und machte ein tiefes Loch, um sie zum Herauskommen zu zwingen. Aber Gurrangatch kannte ihn und floh zurück, Jock’s Creek hinab.
  5. Mirragans Frau versucht es mit Vernunft. Beim Herankommen des Furcht erregenden Gurrangatch, der das Wasser so anschwellen ließ, dass es selbst die Felsen aufwühlte, floh Mirragans Familie voller Entsetzen hinauf in die Berge. Mirragans Frau flehte ihren Mann an, seine fanatische Jagd aufzugeben, erfolglos. Mirragan und Gurrangatch kämpften lange Zeit, wobei sie die Felsen glätteten.
  6. Gurrangatch wendet sich nach links. Mirragan schlug mit seiner Keule zu, aber Gurrangatch wehrte ihn mit seinem Schwanz ab und wandte sich zum Fluss Cox.
  7. Gurrangatch gestaltet die Landschaft. Mirragan ließ nicht von seiner Verfolgung ab, und Gurrangatch drehte und wendete sich durch das Land und formte Berge, Täler und Flüsse in Black Hollow, Katoomba, Reedy Creek, Karangatta, Kanangra, Harry’s Creek, und auch die prächtigen Wentworth-Fälle und die Schlucht am Jamison Creek.
  8. Gurrangatch wird müde und erfährt Hilfe von seinen Verwandten. Schließlich ermüdete selbst der mächtige Gurrangatch. Zum Glück traf er bei den Jenolan-Höhlen ein paar Verwandte, die ihn bei Joolundoo versteckten.
  9. Mirragan wirbt Verbündete an. Doch auch Mirragan hatte Freunde, großartige Taucher, die draußen im Westen lebten. Er warb Billagoola den Kormoran an, Goolagwangwan den Tauchvogel, Gundharen die schwarze Ente und Gooharring die Waldente.
  10. Mirragan fängt Gurrangatch. Mit seinen neuen Verbündeten folgte Mirragan Gurrangatch zu seinem Versteck im Fischfluss oder Duckmaloi, genannt Joolundoo. Der Kormoran, die schwarze Ente und die Waldente scheiterten; sie fanden nur kleine Fische oder gar keine. Aber der Tauchvogel Goolagwangwan fand die große Schlange. Da er sie nicht von ihrem Platz tief in dem Wasserloch fortbringen konnte, riss er ein großes Stück von ihrem Fleisch heraus. Mirragan und seine Freunde waren damit zufrieden, hielten ein Festmahl und gingen nach Hause.

Echos aus mythischer Zeit

Wie es bei tiefgründigen Mythen stets der Fall ist, kann man in dieser Geschichte viele Motivstränge erkennen. Es ist ein Kampf kosmischer Kräfte, ein Echo feuriger Urgewalten, die das Land in geologischen Zeiträumen geprägt haben. Gurrangatch ist eine Verkörperung der sogenannten „Regenbogenschlange“, die in zahllosen Schöpfungsmythen der Aborigines vorkommt. Die Drachen- oder Nāgamythologie, die in buddhistischer Erzählung und Ikonografie eine so wesentliche Rolle spielt, schöpft aus dem gleichen Satz mythischer Konnotationen: dem Motiv der formlosen mächtigen Schlange, die sich in den Tiefen der Erde verbirgt. Die Suttas sprechen von einer Schlange, die mit feurigem Atem daher gleitet und dabei einen Regenbogen aus Farben erscheinen lässt (SN 3.1). Im Wat Saman Rattanaram in Chachoengsao wurde sie auf herrlich kitschige Art zum Leben erweckt.

In dem eigenartigen Vammika-Sutta (MN 23) muss der Protagonist graben, graben, graben und all die merkwürdigen Dinge wegwerfen, die dabei zum Vorschein kommen. Zuallerunterst liegt ein Nāga, doch der darf nicht weggeworfen werden: Es ist der Erwachte, ihn muss man ehren und achten. Der metaphorische Weg zur Erleuchtung ist hier nicht der Aufstieg in höhere geistige Sphären, sondern das Freilegen der Schichten des Unbewussten. Der Nāga symbolisiert die allerunterste Schicht, das, was man behalten und nicht verwerfen soll.

Mirragan kommt in der Geschichte einem menschlichen Protagonisten am nächsten. Er ist eine „Tigerkatze“ oder ein „Beutelmarder“, eins der zahlreichen Geschöpfe, die in diesen Wäldern leben und die weder Kängurus noch Koalas sind. Heutzutage sind Beutelmarder recht selten. Seit der weiße Mann kam, ist eine Art ausgestorben, und alle übrigen gehen zurück und sind bedroht.

Der Beutelmarder ist ein Säugetier, flink und findig. Mirragans Methoden und Listen — Gift, Speer, Keule — sind Gurrangatchs urtümlicher Kraft überlegen. Er ist leidenschaftlich, stolz und fähig, aber bringt mit seiner Besessenheit sich und seine Familie in Gefahr. Nur seine Frau spricht Worte der Mäßigung und Weisheit. Helden wie Mirragan bleiben in Erinnerung, weil sie so ausgesprochen selten sind. Viel häufiger sind diejenigen anzutreffen, die sich unterwegs vom Ziel abbringen lassen; oder die, die auf die Bitten der Frau hören und die heldenhafte Suche zugunsten eines geringeren, häuslichen Glücks aufgeben. In dieser Geschichte spielt die Frau die gleiche Rolle wie Yasodhara; sie steht für das normale Leben, das zufriedene Leben derer von uns, die keine Helden sind. Auf jeden großen Mythos, der davon erzählt, sie zurückzulassen, kommen tausend Geschichten über den, der die Suche aufgab; denn wer könnte es ihm verübeln?

Aber Mirragans wahre Stärke liegt nicht in seiner Ausdauer und seiner Schläue, sondern darin, dass er Bündnisse schmiedet. Er vermittelt die unmissverständliche Botschaft, wie wichtig es ist, Freundschaften zu schließen und Beziehungen zu unterhalten: Erst nachdem er die Vögel dazu holt, kann er gewinnen. Ihr Angriff auf Gurrangatch, die Vögel des Himmels, die das unterirdische Monster in den Tiefen ausfindig machen, erinnert an den universellen mythischen Kampf zwischen dem Phönix oder Garuda und der Schlange oder dem Nāga.

Bewusste Inkorporation

In all diesen und vielen weiteren Motiven findet man interessante Punkte, Lektionen, die man lernen, Weisheit, die man sammeln kann. Aber es ist ein kleines Detail, das es mir am meisten angetan hat.

Ebenso wie das Vammika-Sutta uns anrät, „den Drachen in Ruhe zu lassen“, gelingt es dem Tauchvogel nicht, das Monster von seinem Platz fortzubringen. Er begnügt sich damit, ein Stück vom Fleisch der Schlange abzureißen. Dieses verzehren sie und nehmen so den Körper der Schlange in ihren eigenen auf, sie werden eins im Fleisch. Mirragan, bei all seiner zerstörerischen Besessenheit, die Bestie zu erlegen, ist eben damit zufrieden.
In der griechischen Mythologie war Athene eine Kriegerin, die mit der Eule als Symbol der Weisheit und der Olive als Symbol für Ackerbau und Zivilisation verbunden war. Ihre heilige Olive hat im Mittelmeerraum bis heute Früchte getragen, aber selbst die Göttin kann den Klimawandel nicht aufhalten: Italien erlebt in diesem Jahr einen Rückgang der Olivenernte um 57% [1]. Athene war eine durch und durch moderne Göttin, die zu einem kosmopolitischen und gebildeten Volk passte. Zu ihren zahlreichen Tugenden gehörte es auch, dass sie Helden half, den Drachen zu bezwingen. Hier sieht man sie, wie sie, mit der Eule in der Hand, gebieterisch bei der Schlange steht, der Wächterin des Goldenen Vlieses, als diese Jason freilässt.

Doch was trägt sie auf der Brust? Kein Symbol der Schönheit und Tugend, mit denen sie assoziiert wird, sondern etwas weit Groteskeres: den abgeschlagenen Kopf der Schlangengöttin Medusa, die mit ihrem Blick Männer in Stein verwandelte. Wie sie zu diesem grausigen Relikt kam, ist eine andere Geschichte; aber der entscheidende Punkt ist: Das Neue kann das Alte nicht vollständig hinter sich lassen.
Was bedeutet es, mit dem Monster eins im Fleisch zu werden? Es ist die Anerkenntnis der Tatsache, dass wir, wenn wir reformieren, zwar in gewisser Weise Fortschritte machen, aber auch unbewusst ein Echo der dunklen Seite dessen, was wir reformiert haben, in uns aufnehmen. Wir denken, wir seien besser, wir hätten die dunkle Seite überwunden und seien rein: Das ist unsere Versuchung, unsere Hybris, unser Schatz.
Wie oft haben wir Reformer gesehen, die in kürzester Zeit schlimmer wurden als das, was sie ersetzt haben? In der Politik passiert das ständig. In reformatorischen spirituellen Gemeinschaften können wir häufig sehen, wie Hierarchien wieder auferstehen, wie wertende Regeln und strenge Maßstäbe eingeführt werden, wie sittliche Reinheit unterstellt, Güter, Ruhm und Ansehen missbraucht sowie Lehren manipuliert werden, um den Interessen der Machthaber zu dienen. Wir müssen lernen, wie dysfunktionale Verhaltensweisen in spirituellen Gemeinschaften laufen, damit wir sie aufgeben können. Und das können wir nur, wenn wir uns gleichermaßen des Werts der Vergangenheit bewusst sind, dessen, was in unseren Traditionen wahrhaft ehrwürdig ist, damit wir es bewahren und ihm neues Leben verleihen können.
Wenn wir nur das Fleisch des Alten in das Neue aufnehmen und die alten Muster weiterspielen, ist die Versuchung groß, zu denken, die Verfolgung lohne sich nicht; vielleicht hätten wir doch besser auf Mirragans Frau hören sollen. Psychologisch gesehen ist jedoch das Eingliedern eines Teils des Alten in das Neue an sich ein heilsamer Vorgang, ein wesentlicher Bestandteil inneren Wachstums. Sicherlich kann das schiefgehen, wie jeder Entwicklungsprozess. Aber Neues wird nicht aus dem Nichts heraus erfunden. Es muss auf dem aufbauen, was vor ihm kam. Das Alte in sich aufnehmen ist ein Akt des Mitgefühls: Es zeigt eine Verbindung zwischen dem einen und dem anderen auf. Es zeigt, dass das Alte, mit all seinen Schwächen, nichts anderes war als ein System, das Menschen errichtet haben, um zu leben. Ja, sie machten Fehler, und ja, wir müssen es besser machen. Aber auch wir sind Menschen und werden auch wieder Fehler machen.
Eine Schlüssellektion über das Wesen der Tradition habe ich von Ken Colbung gelernt, einem Stammesältesten der Aborigines vom Volk der Nyoonga. Ich war erst neunzehn Jahre alt und half, ein Seminar über Vegetarismus zu organisieren. Als ich hörte, dass Ken Vegetarier war, rief ich ihn an und fragte, ob er mit mir zusammen vortragen würde, und er stimmte freundlicherweise zu. Er erklärte, dass Tiere nach seinem überlieferten Glauben als Brüder und Schwestern betrachtet würden, und dass sie daher nur getötet würden, wenn es unbedingt notwendig war. Ein Jäger pflegte sich bei dem Tier zu entschuldigen und ihm zu erklären, dass er das Fleisch brauchte, um seine Familie zu ernähren, und er bat um Vergebung dafür. Heutzutage, sagte er, sei es nicht nötig, zu töten; er könne doch eben mal zum Markt fahren und Tofu kaufen!
Das heißt es, eine lebendige Tradition zu haben. Sie ist kein versteinertes Fossil, sondern etwas Organisches, das sich fortentwickelt; wir denken darüber nach, wägen ab, diskutieren darüber und verbessern es. Wir sind uns der Art und Weise bewusst, in der wir von der Vergangenheit geprägt sind, zum Guten oder zum Schlechten, und wir versuchen, es besser zu machen. Aber dieses Bewusst-sein — sich die Dinge wirklich anschauen — erfordert Courage.

Jason wird von der Schlange ausgewürgt, die das Goldene Vlies verwahrt (Mitte, im Baum hängend); Athene steht zur Rechten. Rotfigurige Vase von Duris. Attische rotfigurige Keramik, ca. 480–470 v.Chr., aus Cerveteri (Etrurien).

Tiefgreifende Anpassung

Zu Gewahrsein und innerer Auseinandersetzung gehört es, Entscheidungen zu treffen. Wir müssen uns nicht von den Programmen der Vergangenheit bestimmen lassen, denn der Kampf von damals ist nicht unser Kampf. Wir stehen vor neuen Aufgaben, und unsere größte Herausforderung ist die globale Erwärmung. Wenn unsere Moral die Moral der Vergangenheit ist und unser Bewusstsein das Bewusstsein der Vergangenheit, dann entscheiden wir uns dafür, für die Zukunft nicht gerüstet zu sein. Den Buddhismus zu reformieren ist großartig; bewusste spirituelle Gemeinschaften zu gründen ist großartig; die Geschlechtergerechtigkeit zu verbessern ist großartig: Aber nichts davon spielt noch eine Rolle, wenn unser gesamtes Ökosystem am Zusammenbrechen ist. Angesichts der bevorstehenden existenziellen Gefahr der Klimakatastrophe müssen all unsere moralischen Maßstäbe und Vorstellungen dringend überdacht werden.

Globale Erwärmung umgibt und durchdringt uns überall. Wir nehmen das Fleisch der Veränderung in uns auf mit der Luft, die wir atmen, mit dem Wasser, das wir trinken; es geht uns in Fleisch und Blut über. Schau dich um, sieh die mächtigen endlosen Wälder, die seit den Tagen von Mirragan und Gurrangatch bestehen. Australien holzt — noch — seine Wälder mit am schnellsten von allen Ländern der Erde ab. Dieser Bundesstaat, New South Wales, ist eins der größten Kohleabbaugebiete weltweit; und es ist kein Zufall, dass der Anteil erneuerbarer Energien an unserer Stromproduktion bei armseligen 13% festhängt. Es ist unglaublich: Unsere Politiker sagen uns, dass „jetzt“ der richtige Zeitpunkt sei, den Bau neuer Kohlekraftwerke voranzutreiben[2], während Millionen Fische sterben und wir nicht einmal eine Vorgabe für erneuerbare Energien haben[3]. Wenn wir das Licht einschalten, töten wir diese Bäume. Sie sterben wegen unseres Lebensstils. Die Baumkronen dünnen aus, es gibt weniger Samen, Feuer nehmen zu und die Regenerationsfähigkeit der Bäume bricht zusammen; so sehr, dass selbst nüchterne Wissenschaftler sagen, „das Ganze löst sich auf“[4]. Arten sterben aus, bevor wir auch nur von ihrer Existenz wissen. Australien verliert seine Frösche; sie sind für Änderungen des Wasserzulaufs und der Temperatur besonders empfindlich[5]. Australien durchleidet ein weiteres Jahr mit Rekordtemperaturen, und Dürre, Feuer, Hitze und alle Arten weniger offensichtlicher Veränderungen schaffen eine verborgene, unsichtbare Krise für zahllose kleine Geschöpfe des Waldes[6], wie etwa die Possums, die durch den Hitzestress einfach tot von den Bäumen fallen[7]. Es ist nicht nur an Land; tatsächlich sammelt sich der bei weitem größte Teil der zusätzlichen Wärme auf der Erde in den Ozeanen; diese leiden jetzt unter „Hitzewellen“, die Seetangwälder und Korallenstädte vernichten[8]. Und während ich schreibe, sehen sich die Einheimischen auf den Solomon-Inseln einer schwarzen Flut toter Fische gegenüber. Sie können nicht mehr schwimmen und haben nichts mehr zu essen, da ihr Wasser durch einen Ölteppich vergiftet wurde[9]. Der Bergbaukonzern Glencore wurde inzwischen gezwungen, die Finanzierung verdeckter Operationen aufzugeben, mit denen Lügen über die Kohle verbreitet wurden[10]; und hier, eben nur diese Straße entlang im Hunter Valley, wurde ein Deal für zwei gewaltige neue Kohlekraftwerke abgeschlossen[11]. Wie wird das alles gerechtfertigt? Hören wir uns das Argument von Kepco an, der südkoreanischen Firma, die eine neue Kohlemine im Bylong Valley erschließen will, nicht weit nördlich von Joolundoo, wo Mirragan Gurrangatch fing. Als die Gerichte den Ausbau wegen Auswirkungen auf das Klima stoppten, war Kepcos Antwort: Unser Projekt wird einen vernachlässigbaren Beitrag zur Erderwärmung leisten. Was bedeuten bei dem Stand der Dinge schon 200 Millionen Tonnen zusätzliches CO2[12]?

Atmosphärisches CO2 in den letzten 800.000 Jahren.

Eins der angenehmen Dinge beim Schreiben über die Erderwärmung ist, dass man sehr leicht an Informationen kommt. Die im vorigen Abschnitt genannten Artikel wurden aufgrund eines einfachen Kriteriums ausgewählt: Sie erschienen in den drei oder vier Tagen, die ich zum Schreiben dieses Textes brauchte, in den Nachrichten. Richtig: All diese Geschichten wurden zwischen dem 4. und 7. März dieses Jahres publiziert. Seitdem wird es Hunderte weiterer solcher Meldungen gegeben haben. Das ist das Tempo der Veränderungen, mit denen wir zu tun haben, und so tief reicht das Problem.

Die letzte Form der Leugnung ist die Leugnung des Aktivisten: die Vorstellung, diesmal werde es anders kommen, wenn wir so weitermachen, wie wir es seit einer Generation tun. Wir unterzeichnen Petitionen, essen biologisch angebautes Gemüse und nutzen erneuerbare Energien. Unterdessen steigt das CO2 in der Atmosphäre weiter an, und die Temperaturen gehen nach oben.

Das hier kann man als eine Grafik ansehen, die den CO2-Anstieg in der Atmosphäre seit der beschleunigten Industrialisierung nach dem Krieg zeigt. Alternativ könnte es auch eine Grafik sein, die den CO2-Anstieg in der Atmosphäre seit dem Beginn der modernen Umweltbewegung zeigt. Wie kann das sein? Es ist so, weil die Dinge, die wir tun, um dem Klimawandel vorzubeugen, bereits eingerechnet sind. Sie sind das Normale. Und das Nettoergebnis all dieser Bemühungen ist die Welt, in der wir jetzt leben. Wenn wir weiterhin dasselbe tun, werden wir weiterhin scheitern.
Professor Jem Bendell, der ein überzeugendes und detailliertes Bild von der Klimakatastrophe zeichnet, die sich für die nächsten Jahrzehnte abzeichnet, spricht dagegen eher von „tiefgreifender Anpassung“[13]. Es ist ein In-Frage-stellen der grundlegenden Werte und der Orientierung für unser Leben. Die emotionale Belastung und geistige Not, die das Leben in einer zu Ende gehenden Welt mit sich bringt, betrachtet er dabei offen, und er fragt, wie das Leben wohl nach dem Zusammenbruch aussehen könnte.
Bendell erörtert recht ausführlich die psychischen Auswirkungen, die es hat, wenn man sich der Klimakatastrophe stellt. Wir sind verängstigt, verwirrt, enttäuscht und laufen sogar Gefahr, in Verzweiflung oder eine Depression zu stürzen. Aber er weist auch darauf hin, dass Verzweiflung nicht überall als etwas Schlechtes betrachtet wird. Die großen spirituellen Traditionen einschließlich des Buddhismus würdigen Verzweiflung als etwas, das uns zu einer tiefgreifenden Selbstprüfung und Veränderung anspornen kann. Denken wir an die Krise, die Siddhattha durchlebte, als er sich die universelle Wahrheit des Todes und Leidens klarmachte. Es gibt einen Ausweg, aber den findet man nicht durch Leugnen oder Verhätscheln.

Atmosphärisches CO2 in den letzten 50 Jahren.

Was hätten wir denn in dieser Zeit einer nie dagewesenen Krise der Welt anzubieten, wenn wir das Beste aus unseren buddhistischen Traditionen heranziehen? Wir müssen damit anfangen, die Wahrheit zu sagen; und das allein ist bereits viel. Zu viele von uns hegen ihre Sorgen und Ängste insgeheim und sind nicht in der Lage, darüber zu sprechen, denn, nun, wann ist der richtige Zeitpunkt, um über das Ende der Welt zu reden? Es geht nicht darum, andere in Verzweiflung zu stürzen; viele sind im Stillen bereits verzweifelt. Selbst kleine Kinder sehen die Welt eher durch die Brille der Apokalypse denn der Utopie. Unser Lehrer hat uns gelehrt, dass alle Dinge vergänglich sind, dass wir Veränderung nicht scheuen sollten, sondern jeden Tag bewusst und mit Mitgefühl leben.

Möglicherweise ist das Wirksamste, das wir anzubieten haben, der Verzicht. Die Freude an Einfachheit und Zufriedenheit. Das Wissen aus eigener Erfahrung, dass ein einfaches Leben mit Klarheit und Leichtigkeit einhergeht. Genug ist genug, wie Mirragan schließlich verstand. Zu oft wird Verzicht als rein klösterliche Tugend angesehen, aber gemäß der Rechten Gedanken des edlen achtfachen Pfades gilt er für jedermann. Nicht mehr lange, und Verzicht wird nicht länger eine Entscheidung sein. Unsere Kinder werden weniger haben als wir, und ihre Kinder noch weniger. Weniger zu haben, weniger zu konsumieren ist die wirksamste Art, wie wir den Schaden, den wir verursachen, begrenzen und uns gleichzeitig darauf vorbereiten können, mit den Veränderungen, die wir nicht abwenden können, zurechtzukommen.

Zum Schluss möchte ich noch einmal auf den Schlüssel zu Mirragans Erfolg hinweisen: Er arbeitete mit seinen Freunden zusammen. Der Buddha bezeichnete gute Freundschaft als das Ganze des spirituellen Pfades, und die Schaffung sinnvoller und bewusst konzipierter Gemeinschaften (Sangha) war stets ein Kernpunkt seines Lehrsystems; und durch den Sangha hat der Dhamma 2.500 Jahre lang überlebt. In künftigen Tagen werden die Überlebenden nicht die Prepper oder Überlebenskünstler in ihren Bunkern sein oder die Milliardäre mit ihren von Mauern umgebenen Grundstücken und Privatarmeen. Es werden die Dorfbewohner und Stammesvölker sein. Die wissen nämlich, wie man zusammenarbeitet, wie man kleine örtliche Arbeits- und Tauschsysteme schafft; sie verstehen und respektieren das Land und den Himmel und das Wasser, die Tiere und die Pflanzen. Diese Fähigkeiten findet man noch in buddhistischen Dörfern in Asien — vielleicht sollten wir anfangen, von ihnen zu lernen.

Mirragan verfolgte sein Ziel, grimmig und unerbittlich. Aber er war es zufrieden, nur ein Stück Fleisch zu essen und den großen Schlangengeist am Leben zu lassen, sicher in den Tiefen. So kam es, dass beide überlebten und bis heute in dieser Landschaft lebendig sind. Solche Zurückhaltung, solche Weisheit haben wir nicht an den Tag gelegt. Wir töten die Schlange, vergiften ihre Wasser und löschen ihre Wälder aus.

Ich komme nicht hierher, um Hoffnung zu bringen. Dafür ist es zu spät. Wir brauchen keine Hoffnung; was wir brauchen, ist Mut. Bleibt nahe beisammen, helft euch gegenseitig, lebt ein einfaches Leben in der Welt, wie sie ist, und lauscht der Wahrheit, die die Bäume euch zuwispern. Scheut euch nie, vorzutreten und die Führung zu übernehmen, um eure Weisheit und euer Mitgefühl einzubringen. Als Übende eines spirituellen Pfades steht es uns an, aufrichtig und realistisch zu sein, ein Beispiel zu geben, wie man angesichts radikaler Veränderung leben kann. Vergänglichkeit steht im Mittelpunkt unserer Philosophie: Bist du bereit, das zu leben? Diese Welt, so schön und so zerbrechlich, braucht dich mehr als du denkst.

Astrid (6) zeigt ihre Vision der Zukunft: ein Ort, an dem Flüsse, Winde und Menschen von einem gigantischen „CO2-Handabdruck“ bedroht werden.

Quellen für die Geschichte von Gurrangatch und Mirragan

Fußnoten

  1. “Italy sees 57% drop in olive harvest as result of climate change, scientist says.” Arthur Neslen, The Guardian, 5 March 2019.
    www.theguardian.com/world/2019/mar/05/italy-may-depend-on-olive-imports-from-april-scientist-says
  2. “‘Now’ is the time for new coal plants, resources minister says.” Katharine Murphy, The Guardian, 7 March 2019.
    www.theguardian.com/australia-news/2019/mar/07/now-is-the-time-for-new-coal-plants-resources-minister-says
  3. “NSW election: Nationals’ hold on environment policy drags down Coalition.” Anne Davies, the Guardian, 7 March 2019.
    www.theguardian.com/australia-news/2019/mar/07/koalas-and-climate-to-the-fore-as-environment-looms-large-in-nsw-election
  4. “‘Whole thing is unraveling’: climate change reshaping Australia’s forests.” Graham Readfearn, The Guardian, 7 March 2019.
    www.theguardian.com/environment/2019/mar/07/whole-thing-is-unraveling-climate-change-reshaping-australias-forests
  5. “Climate change puts additional pressure on vulnerable frogs.” Graham Readfearn, The Guardian, 6 March 2019.
    www.theguardian.com/environment/2019/mar/06/climate-change-puts-additional-pressure-on-vulnerable-frogs
  6. “Out of sight, out of luck: the hidden victims of Australia’s deadly heatwaves.” Graham Readfearn, The Guardian, 4 March 2019.
    www.theguardian.com/environment/2019/mar/04/out-of-sight-out-of-luck-the-hidden-victims-of-australias-deadly-heatwaves
  7. “‘Falling out of trees’: dozens of dead possums blamed on extreme heat stress.” Lisa Cox, The Guardian, 7 March 2019.
    www.theguardian.com/environment/2019/mar/07/falling-out-of-trees-dozens-of-dead-possums-blamed-on-extreme-heat-stress
  8. “Australia’s marine heatwaves provide a glimpse of the new ecological order.” Joanna Khan, The Guardian, 5 March 2019.
    www.theguardian.com/environment/2019/mar/05/australias-marine-heatwaves-provide-a-glimpse-of-the-new-ecological-order
  9. “‘We cannot swim, we cannot eat’: Solomon Islands struggle with nation’s worst oil spill.” Eddie Osifelo and Lisa Martin, The Guardian, 6 March 2019.
    www.theguardian.com/environment/2019/mar/06/solomon-islanders-suffer-worst-oil-spill-nations-history-bulk-carrier-bauxite
  10. “Revealed: Glencore bankrolled covert campaign to prop up coal.” Christopher Knaus, The Guardian, 7 March 2019.
    www.theguardian.com/business/2019/mar/07/revealed-glencore-bankrolled-covert-campaign-to-prop-up-coal
  11. “Deal signed for huge coal-fired power plants in Hunter Valley, Hong Kong firm says.” Ben Smee, The Guardian, 6 March 2019.
    www.theguardian.com/australia-news/2019/mar/06/deal-huge-coal-fired-power-plant-hunter-hong-kong
  12. “Korean company planning Bylong Valley mine dismisses climate threat.” Lisa Cox, The Guardian, 6 March 2019.
    www.theguardian.com/environment/2019/mar/06/korean-company-planning-bylong-valley-mine-dismisses-climate-threat
  13. “Deep Adaptation: A Map for Navigating Climate Tragedy.” Jem Bendell, 26 July 2019.
    jembendell.wordpress.com/2018/07/26/the-study-on-collapse-they-thought-you-should-not-read-yet/

Bhante Sujato

Bhante Sujato ist buddhistischer Mönch der thailändischen Waldtradition und setzt sich seit vielen Jahren für die Wiederbelebung des Bhikkhuniordens ein. Er ist Mitbegründer der Webseite SuttaCentral und Übersetzer der vier Nikayas ins Englische. Ein weiteres Interessensgebiet ist die bisher noch wenig erforschte buddhistische Mythologie.

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