Winter Youth Retreat: Wenn die Herzen über die Körper hinauswachsen

Ein Interview mit Susanne Backner geführt von Nadja Gebhardt veröffentlicht in der Ausgabe 2019/3 jung & alt unter der Rubrik jung & alt. (Leseprobe)

Seit zwölf Jahren reisen jährlich über Silvester an die hundert junge Menschen aus ganz Europa ins schwäbische Bad Rappenau, um am „Winter Youth Retreat“ auf Schloss Heinsheim teilzunehmen. Unsere Autorin Nadja Gebhardt war 2015 und 2016 selbst dabei und ließ sich vom Zauber der Veranstaltung und des Ortes in den Bann ziehen. Für BUDDHISMUS aktuell sprach sie mit der Initiatorin und langjährigen Organisatorin des Treffens, Susanne Becker, und mit jungen Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Retreats.

Auf dem Winter Youth Retreat können junge Menschen gemeinsam mit vielen anderen klassische Meditation lernen, an Workshops zu Yoga, Kalligrafie oder Poesie teilnehmen, ein Ritual zum Jahreswechsel erleben und Abends im Ahnensaal des Schlosses miteinander sprechen.

Auf dem Winter Youth Retreat können junge Menschen gemeinsam mit vielen anderen klassische Meditation lernen, an Workshops zu Yoga, Kalligrafie oder Poesie teilnehmen, ein Ritual zum Jahreswechsel erleben und abends im Ahnensaal des Schlosses am Kaminfeuer miteinander sprechen. Silvester feiern sie ausgelassen mit selbst gemachter Musik, Tanz und Festmahl. Wer das neue Jahr in Stille beginnen möchte, kann im Meditationsraum gemeinsam sitzen. Längst hat das beliebte Retreat Geschwister bekommen: ein ruhiges Meditationsseminar im Frühling, auf dem es vor allem um die gemeinsame Praxis und um buddhistische Vorträge geht, und ein Sommer Youth Retreat, auf dem Kreativität, Stille in der Natur und Workshops zur Berufsfindung im Mittelpunkt stehen.

Nadja Gebhardt: Wann und wie wurden die Youth Retreats ins Leben gerufen?

Susanne Becker: Vor vielen Jahren haben Christopher Tamdjidi und Karl- Ludwig Leiter ein Seminarprogramm für Erwachsene ins Leben gerufen, das später den Namen „SITA“1 erhielt. Ich hatte schon lange den Traum gehabt, einen Ort zu schaffen, an dem junge Menschen meditieren können. Aus dieser Verbindung sind dann die „Young SITA Seminare“ entstanden. 2007 konnten wir erstmals auf Schloss Heinsheim ein „Buddhist Youth Festival“ organisieren; Sophie McLaren stieß noch zum Gründungsteam dazu. Unterstützt wurde unser Vorhaben vor allem in der Anfangsphase von Shambhala Europa und der Deutschen Buddhistischen Union. Schon bald wollten wir unsere neuen Seminare offener gestalten und aus dem religiösen Kontext lösen, weshalb Teilnehmerinnen und Teilnehmer heute gar nichts mit dem Buddhismus zu tun haben und sehr unterschiedlicher kultureller Herkunft sind. Junge Menschen wollen frei sein und sich nicht in veraltete Strukturen zwängen. Für mich spiegelt sich darin der ursprüngliche Gedanke der Lehren von Shambhala wider, die der tibetische Dharmalehrer Chögyam Trungpa in den Westen brachte: interkulturell, offen und säkular sein. Diese Lehren tragen wir immer noch in unserem Herzen und sie inspirieren uns bis heute.

Ein Seminar für hundert Menschen auf die Beine zu stellen ist viel Arbeit. Wie organisiert ihr das?

Karl-Ludwig Leiter ist von Beginn an als erfahrener Mediationslehrer mit seinen tiefgründigen und humorvollen Vorträgen dabei. Dazu kommt ein wunderbares Kernteam von zehn bis fünfzehn Leuten, das inzwischen zu einer richtigen Familie zusammengewachsen ist und die organisatorische Seite der Seminare meistert, wobei auch die Teilnehmerinnen und Teilnehmer tägliche Aufgaben erhalten. Der sorgsame Umgang mit den Gebäuden von Schloss Heinsheim ist uns sehr wichtig, denn die Inhaber geben uns diesen Ort ohne jedes Personal – das macht die Kalkulation für uns günstig und ist ein großer Vertrauensbeweis. Ich habe ja selbst Erfahrungen in Führungspositionen, und es ist mein Wunsch, dass alle, die mithelfen, hilfreiche Führungsqualitäten für ihren Alltag entwickeln können. Unser „Staff-Training“ hat sich inzwischen so gut entwickelt, dass wir gar nicht mehr explizit um Hilfe bitten müssen, sondern Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Seminare kommen einfach auf mich zu und bieten ihre Hilfe an, was ich unglaublich schön finde.  

Susanne Becker mit Retreat-Teilnehmerinnen und -Teilnehmern

Habt ihr eine zentrale Botschaft, die ihr jungen Menschen mitgeben möchtet?

Wir geben ihnen einfach mit, was uns gutgetan hat – das spüren sie. Außerdem versuchen wir, die buddhistischen Lehren so weiterzugeben, dass sie in das Leben junger Menschen und in die jetzige Zeit passen. Auch junge Menschen tragen in sich selbst alles, was sie brauchen, um schwierige Situationen meistern zu können und glücklich zu sein. Es geht darum, sich selbst zu erkennen und zu lernen, die eigene Weisheit zu nutzen. Vielleicht ist das so etwas wie unsere Botschaft.

Und die kommt gut an …

Ich glaube, die Teilnehmerinnen und Teilnehmer merken, wie schön es ist, Menschen um sich zu haben, bei denen man so sein kann, wie man ist. Es passiert auf diesen Seminaren oft, dass etwas im Herzen der Menschen berührt wird, was sie so in ihrem Alltag selten oder gar nicht erleben. Jede und jeder fühlt sich sofort zugehörig – und das ist unglaublich schön. Es ist einfach eine tolle Community und gleichzeitig gibt es keine Verpflichtungen. Das ist die Freiheit, die junge Menschen brauchen und schätzen. Karl und ich sind sozusagen die „liebevoll fürsorglichen Großeltern“. Wir halten den Spirit der Retreats seit zwölf Jahren aufrecht und geben gleichzeitig viel offenen Raum, in dem junge Menschen in dem, wie sie sind, gesehen und wertgeschätzt werden. Sie können auch gehen und wiederkommen, wie sie möchten. Das lässt so viel Weisheit und Mitgefühl hervortreten, so viel Hilfsbereitschaft und grundlegende Gutheit in jeder und jedem Einzelnen. Darum erzählen sie anderen auch von den Seminaren und helfen mit, dass diese Kernbotschaft des Buddhismus – und aller Religionen – in die Welt kommt.

Ihr ladet auch Gäste ein, die Vorträge über ihre Arbeit halten.

Ja, solche Vorträge bieten die Möglichkeit für einen Austausch mit Menschen, denen Meditation im Leben und in ihrer Arbeit hilfreich ist. Das ist für viele sehr inspirierend. Wir hatten beispielsweise Richard Reoch hier, der sich seit Jahren weltweit, unter anderem bei Amnesty International, für Menschenrechte, Umwelt und Frieden einsetzt und auch viele Jahre Präsident von Shambhala International war. Zum zweiten Mal, dieses Jahr aber nur als Teilnehmer, war Ali Can dabei, bekannt durch seine Aktionen als „Migrant des Vertrauens“ bei der Hotline für besorgte Bürger2. Bei diesen Vorträgen und dem anschließenden Austausch konnte man den wunderbaren Pioniergeist der jungen Menschen sehen, wie berührt sie von den angeschnittenen Problematiken sind und wie groß ihr Wunsch ist, etwas in der Welt zu bewegen.

Karl-Ludwig Leitner hält einen Vortrag

ENDE DER LESEPROBE

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