Wenn Geburt und Tod zusammenfallen

Ein Beitrag von Dr. Clarissa Schwarz veröffentlicht in der Ausgabe 2016/3 Vom Leben und Sterben unter der Rubrik Vom Leben und Sterben. (Leseprobe)

Kinder, die vor, während oder kurz nach ihrer Geburt sterben, verwaiste Eltern: Als Hebamme und Bestatterin hat Clarissa Schwarz mit beiden zu tun. In ihrem Beitrag berichtet sie aus ihrem Arbeitsalltag, von ihren Erfahrungen und dem, was ihr dabei Kraft und Unterstützung gibt.

© mathias the dread, photocase.de

Meine Arbeit als Hebamme und als Bestatterin erinnert mich im Alltag daran, dass alles, was lebt, auch wieder sterben wird. Eine Mutter, die ihrem Kind das Leben schenkt, schenkt ihm damit auch die Gewissheit zu sterben. Manche Kinder sterben noch im Mutterleib und werden tot geboren, manche leben nur wenige Minuten, Stunden oder Tage. Zum Glück kommt dies hier und heute nur noch sehr selten vor. Aber es kommt vor und betrifft etwa fünf von 1 000 Geburten. Hinzu kommen noch Fehlgeburten, die gar nicht so selten sind. Es wird angenommen, dass die Hälfte der befruchteten Eizellen in den folgenden zehn Wochen wieder abgehen. Wenn Menschen ein Kind erwarten, bereiten sie sich auf ein Leben mit diesem Kind vor. Sie machen Anschaffungen, schaffen Platz in der Wohnung und vor allem auch Platz in ihrem Leben, besonders in der Zukunft. Wenn ein Kind nun nicht in diese Familie kommt, um zu bleiben, sondern sich gleich wieder verabschiedet, bleibt der ganze Raum, der geschaffen wurde, leer. Das Kind fehlt.

Wenn Eltern ihr Baby verlieren

Es ist verständlich, dass Frauen, wenn sie erfahren, dass ihr Kind nicht mehr lebt, geschockt sind und am liebsten sofort eine Vollnarkose und einen Kaiserschnitt wünschen. Viele erleben eine normale Geburt zunächst als Zumutung, denn sie möchten möglichst schnell alles hinter sich haben. Der Verstand hat die Information, dass das Baby nicht mehr lebt oder bald sterben wird, zwar zur Kenntnis genommen, aber das gesamte menschliche System braucht Zeit. Der Schockzustand wirkt wie ein weiches Kissen, das die Heftigkeit der Realität abmildert und Zeit gibt, sich langsam an den Gedanken zu gewöhnen. Viele fühlen sich wie in einem schlechten Film oder einem Alptraum. Sie können in diesem Zustand nur wenige Informationen aufnehmen und sind kaum in der Lage, Entscheidungen zu treffen, da es sie überfordert, in die Zukunft zu denken. Die meisten haben aber ein gutes Gespür dafür, was ihnen jetzt im Moment guttut. Es ist heute üblich, dass auch ein totes Kind normal geboren und begrüßt wird und die Eltern ihr totes Kind so lange bei sich behalten, wie sie es für richtig halten. Die Eltern bekommen das Namensbändchen sowie eine Karte, auf der der Name des Kindes und seine Geburtsdaten eingetragen sind, zumeist mit Fußabdrücken des Babys, die sie als Andenken mitnehmen.

© Clarissa Schwarz

Im Nachhinein waren alle Frauen, die ich betreut habe, dankbar dafür, die Geburt bewusst erlebt zu haben, sowie für die Zeit, die sie mit ihrem toten Baby verbringen konnten. Die einzige Zeit, die die Eltern mit ihrem Kind haben, ist eine sehr wertvolle Zeit. Wenn die Hebamme selbstverständlich mit dem Kind umgeht, tun dies die Eltern auch. Das Kind mit allen Sinnen wahrnehmen zu können hilft, die Situation nach und nach zu begreifen. Nach der Geburt das tote Kind nicht nur zu betrachten, sondern es auch zu berühren, es im Arm zu halten, es vielleicht zu baden und einzuölen, es in ein Tuch einzuschlagen oder es anzuziehen. Es später dann in ein Körbchen oder Bettchen zu legen. Manche wollen bald aus der Klinik nach Hause gehen und lassen das tote Baby in dem Wissen dort, dass sie es noch einmal besuchen kommen können. Manche möchten ihr totes Kind auch mit nach Hause nehmen. Dies ist möglich, üblicherweise in einem Zeitraum von 24 oder 36 Stunden, wobei das tote Kind zumeist in einem Bestattungsfahrzeug transportiert werden muss (abhängig vom Bestattungsgesetz des Bundeslandes).

© schulzfoto, fotolia.com

Wenn sich der Schockzustand löst, beginnen auch die Tränen zu fließen. Der Schmerz wird dann zwar spürbarer, aber wenn die Trauer fließen kann, ist dies für viele eine große Erleichterung. Jede Situation ist einzigartig, jeder Mensch geht seinen individuellen Weg der Trauer. Schritt für Schritt findet jedes Paar, seine und jede Familie ihre ganz eigene Art und Weise damit umzugehen. Dies ist auch abhängig von der Familiensituation und den Rahmenbedingungen der Geburt. Allen tut es gut, für ihr Kind noch etwas tun zu können. Manche schreiben ihm einen Brief, gestalten eine Kerze, machen Fotos und entwickeln Ideen, was sie ihm mitgeben und wie sie es verabschieden möchten. Viele nennen es liebevoll ihr „Sternenkind“.

ENDE DER LESEPROBE

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Dr. Clarissa Schwarz

Clarissa Schwarz, Dr., ist Hebamme und Gesund-heitswissenschaftlerin. Sie ist Schülerin von Tenga Rinpoche und Teilnehmerin am Tara-Rokpa-Prozess von Akong Rinpoche. Nach 13 Jahren an Hochschulen ist sie seit 2013 wieder in Berlin tätig als Hebamme, Bestatterin und Achtsamkeitslehrerin.

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