Transformation? Na klar! Aber wohin?

Ein Beitrag von Manfred Folkers veröffentlicht in der Ausgabe 2022/3 Heimat unter der Rubriken Transformation, Aktuell.

Es gibt eine gute Nachricht, und es gibt eine schlechte Nachricht. Die schlechte Nachricht: Die Zivilisation, wie wir sie kennen, wird bald enden. Die gute Nachricht: Die Zivilisation, wie wir sie kennen, wird bald enden. (Swami Beyondananda in David R. Loy: Erleuchtung, Evolution, Ethik)

Globaler Klimastreik in München, 2021, Foto: Werner Steiner

Betrachten

Vor dreißig Jahren hat die Systemwissenschaftlerin und Buddhistin Joanna Macy die Lage der Menschheit in ihrem Buch „Die Wiederentdeckung der sinnlichen Erde“ beschrieben. Wir Menschen haben die Sicherheit verloren, eine Zukunft zu besitzen, so zeigt sie auf – der Verlust dieser Gewissheit sei die zentrale psychologische Realität unserer Zeit. Wörtlich fährt sie fort:  

Eine ganze Gesellschaft hängt hilflos fest zwischen dem Gefühl von drohender Katastrophe und der Unfähigkeit, sich dieses Gefühl einzugestehen. Heilung kann erst einsetzen, wenn wir gegenüber unserer Welt vollkommen präsent bleiben und unser Blick ihr nicht mehr ausweicht.

Joanna Macys Befund gilt weiterhin. Wer sich den gegenwärtigen Zustand unserer Zivilisation genau anschaut und in die Zukunft weiterrechnet, wird sich vieler Gefahren bewusst. Besonders einfühlsam hat die schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg diese Situation am 23. September 2019 auf dem UN-Klimagipfel in New York zusammengefasst:  

Menschen leiden. Menschen sterben. Ganze Ökosysteme kollabieren. Wir stehen am Anfang eines Massensterbens, und alles, worüber ihr reden könnt, sind Geld und Märchen über ewiges Wirtschaftswachstum.“

Zur gleichen Zeit demonstrierten weltweit viele Millionen junge Menschen für einen Wandel des Systems. Sie riefen:

„System Change – not Climate Change!“ 

Verstehen 

Mit den Begriffen „Wirtschaft“ und „Wachstum“ hat Greta Thunberg zwei Aspekte hervorgehoben, die präzise verstehen lassen, weswegen die Menschheit in ein Dilemma geraten ist: den Zwang zur ständigen Mehrung und den Drang zur Anhäufung materieller Dinge. Diese Analyse entspricht dem Verständnis des Buddha, der sich bei der Suche nach dem Ursprung von Leid auf die Motive menschlichen Handelns konzentrierte: Gier, Hass und Verblendung. Man könnte auch sprechen von: Verlangen, Aggression und Selbstüberhöhung.

Die derzeitige Art des Wirtschaftens beruht auf einer systematischen Nutzung dieser Antriebskräfte. Verlangen hat sich als materielles Steigerungsprinzip manifestiert. Aggression hat sich als Konkurrenzkampf und als ungehemmte Ausbeutung natürlicher Ressourcen verankert. Selbstüberhöhung hat zur ständigen Bagatellisierung der schädlichen Wirkungen dieses Verhaltens auf die Umwelt und das menschliche Zusammenleben geführt. Mittlerweile sind es weniger persönliche Sehnsüchte – es ist sind die Wachstumsregeln des ökonomischen Systems, die unsere Art der Lebensgestaltung verhängnisvoll ausrichten.

Auf diesen Zusammenhang weist der Nachhaltigkeitsforscher Tim Jackson in seinem aktuellen Buch „Wie wollen wir leben?“ hin, wenn er schreibt: „Im Prinzip ist der Ausgangspunkt des Buddhismus genau die gleiche Weltsicht, die auch den Kern des Kapitalismus bildet: Das Leben ist ein harter Kampf ums Dasein: Leiden ist unvermeidlich.“ Von dieser gemeinsamen Position ausgehend, so analysiert er treffend, entwickelten sich allerdings beide in komplett gegensätzliche Richtungen und kämen zu radikal unterschiedlichen Schlussfolgerungen. Er schreibt: „Der Buddhismus lehnt dieses (kapitalistische) Weltbild nicht nur als unmoralisch, sondern auch als unklug ab.“ 

Transformieren

Kluge Analysen wie diese machen deutlich, dass sich ein Großteil der Menschheit und der von ihnen geformten Ökonomie in einem Gleichschritt befinden und sich darin auf unheilvolle Weise gegenseitig verstärken. Gleichzeitig wird immer mehr Menschen klar, dass es so nicht weitergehen kann. Sie sind der Meinung, dass eine Wende, ein Umschwung, ein großer Wandel notwendig sind.

Viele Menschen können sich jedoch keine Alternative vorstellen. Sie erkennen zwar die angsteinflößenden Endpunkte der Sackgasse „Gier-Wirtschaft“, halten aber am Status quo und ihren Gewohnheitsenergien fest. Ihnen fehlen kraftvolle – und zu einem umfassenden Aufbruch motivierende – Antworten auf Fragen wie: Wohin soll die Reise gehen? Welche Ziele geben genügend Kraft für einen Richtungswechsel?

Doch an attraktiven Anregungen mangelt es eigentlich nicht! Aus der Buddhalehre ergeben sich Einsichten und Praktiken wie Meditation, Verbundenheit, mittlerer Weg, Ehrlichkeit, Zufriedenheit und Achtsamkeit. Aus Reflexionen in der gesamten Gesellschaft kommen immer mehr Forderungen nach Entschleunigung, Gemeinschaft, menschlichem Maß, Integrität, Gerechtigkeit und Enkeltauglichkeit.

Diese Orientierungen lassen umfangreiche Schnittmengen erkennen – insbesondere zwischen dem „mittleren Weg“ als einem zentralen Merkmal der buddhistischen Ethik und dem „menschlichen Maß“, das schon 1973 das grundlegende Leitbild in dem Hauptwerk „Small is beautiful“ des Ökonomen Ernst Schumacher darstellte. Die Schnittmengen bestehen aus Haltungen wie Aufrichtigkeit, Ausgewogenheit, Behutsamkeit, Common Sense, Mitgefühl und Vernunft sowie dem Wunsch nach einer nachhaltigen Zukunftsfähigkeit.  

Überzeugende Perspektiven

Kombiniert man die allgemeinen Bemühungen und die buddhistischen Anwendungen, so ergeben sich konkrete und überzeugende Perspektiven. So hat Luisa Neubauer als Sprecherin der Bewegung Fridays for Future kürzlich sechs Bejahungen vorgeschlagen:

„Ja zum Erhalt der Lebensgrundlagen. Ja zu sauberer Luft. Ja zur Artenvielfalt. Ja zu gesicherten Arbeitsplätzen. Ja zur Freiheit auf einem sicheren Planeten. Ja zur gerechten Transformation.“ 

Diese Bestrebungen erfordern individuelles und politisches Engagement und lassen sich durch sechs weitere Bejahungen beflügeln:  

Ja zu der Einsicht, dass Verbundenheit die Grundlage des Lebens ist. Ja zum ständigen Üben, ein mitfühlendes und soziales Wesen zu sein. Ja zur Bevorzugung von Gemeinwohl gegenüber einem Hyperindividualismus. Ja zur intellektuell redlichen Entwicklung des eigenen Geistes. Ja zur gelebten Zufriedenheit in einer Kultur des Genug. Ja zur Verantwortung für die gesamte Biosphäre.

Diese Ziele lassen sich zwar nicht sofort und widerspruchsfrei umsetzen, aber sie bieten zahlreiche Anreize für den Alltag an. Erich Kästner hat sie mit seinem berühmten Satz „Es gibt nichts Gutes – außer man tut es“ zusammengefasst, der einer Definition der Lehre des Buddha entspricht: „Das Heilsame tun – das Unheilsame lassen.“ Thich Nhat Hanh hat das veranschaulicht als „Verabredung mit dem Leben, die immer im gegenwärtigen Augenblick stattfindet“.

Für uns als menschliche Wesen bedeutet das, unsere Anwesenheit auf diesem Planeten unvoreingenommen und bewusst wahrzunehmen und liebevoll zu pflegen. Das wird sich für die bevorstehende große Transformation unserer Lebensweise als überaus hilfreich und nährend erweisen.

Manfred Folkers

wurde 2004 von Thich Nhat Hanh zum Dharma-Lehrer ernannt. Er ist seit über 20 Jahren Vorsitzender des Vereins „Achtsamkeit in Oldenburg“. Er leitet die Umwelt-AG der DBU und ist seit 2009 Ratsmitglied der DBU.

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