Sind wir bereit für die Zukunft?

Ein Beitrag von Anna Karolina Brychcy, Nils Clausen veröffentlicht in der Ausgabe 2020/1 Frauen unter der Rubrik Aktuell.

Buddhistinnen und Buddhisten wissen: Alles ist ständig im Wandel – auch das Selbstverständnis und die Zielsetzungen von Menschen und Organisationen. In der Deutschen Buddhistischen Union (DBU), dem traditionsübergreifenden Dachverband buddhistischer Gemeinschaften in Deutschland, gab es Zeiten langsamer Veränderungen – und solche, in denen sich die aufgestauten Potenziale disruptiv entladen haben. Nils Clausen, der sich im Vorstand der DBU engagiert, und Anna Karolina Brychcy, Vertreterin der Einzelmitglieder der DBU, über aktuelle Herausforderungen auf dem Weg in die Zukunft.

Welchen Herausforderungen möchten wir als DBU begegnen? Wie können wir gemeinsam die Zukunft des Buddhismus in Deutschland mitgestalten? Die von intensiven Diskussionen begleitete DBU-Mitgliederversammlung im vergangenen Jahr hat viele neue Energien freigesetzt und wichtige Handlungsfelder haben sich herauskristallisiert.

Grundsätze der buddhistischen Ethik klären

Fragen der Ethik werden derzeit in buddhistischen Kreisen besonders intensiv diskutiert. Hier geht es zum Beispiel darum zu klären, wie zeitgemäße und mit westlichen Maßstäben vereinbare Formen des Lehrer-Schüler-Verhältnisses aussehen, Machtstrukturen und Missbrauch zu beleuchten und einen heilsamen Umgang damit zu definieren. Zusätzlich zu diesen anlassbezogenen Fällen, stehen wir auch vor der Aufgabe, uns gemeinsam darauf zu verständigen, worin genau die Grundsätze der buddhistischen Ethik bestehen. Dass eine Mehrheit der Delegierten auf der letzten Mitgliederversammlung bekundet hat, dass dies zu den Aufgaben der DBU gehört, gibt uns hierfür den nötigen Rückenwind.

Gleichzeitig ist dieser Themenkomplex umfangreich und mit Anpassungsprozessen verbunden, die viel Zeit und Energie benötigen. Die ersten Schritte in diese Richtung sind wir bereits gegangen. So gab es eine lange Zeit der Auseinandersetzungen um Aussagen eines bekannten buddhistischen Lehrers, die viele als ausländerfeindlich empfunden haben. Infolgedessen ist die betreffende Gemeinschaft nun aus der DBU ausgetreten – der jahrzehntelange Konflikt wurde so zu einer klaren Entscheidung geführt.

Seit knapp zwei Jahr arbeitet die neue Ethik-AG, kommt mit der Erarbeitung einer DBU-Ethik-Charta gut voran und die beiden Ansprechpartnerinnen für Missbrauchsopfer haben ihre Arbeit aufgenommen. Auf der nächsten Mitgliederversammlung sollten wir darüber nachdenken, welche zusätzlichen Strukturen wir noch schaffen können, um den Dachverband an diese vielen internen Gespräche, Themen und Aufgaben bestmöglich anzupassen – die Struktur-AG erarbeitet dazu derzeit Vorschläge. Ein Ethik-Rat, der aus allgemein anerkannten und im Dharma besonders kundigen Personen besteht, wäre sicherlich eine vielversprechende Möglichkeit.

Offenheit praktizieren

Offenheit nach innen bedeutet, dass wir mehr als bisher in einen Dialog zwischen allen im Buddhismus vertretenen Strömungen kommen. Dazu gehören nicht nur die traditionellen Schulen, sondern auch neue Formen des Buddhismus – seien sie säkular, divers oder feministisch. Wir sollten Dialogangebote machen und Möglichkeiten des Mitwirkens anbieten, beispielsweise in Formen von DBU-AGs oder eigener Unterseiten auf der DBU-Website. Auch mit den kaum vorhandenen Beziehungen zu asiatischen Gemeinschaften sollten wir uns nicht abfinden und nach neuen Wegen der Verständigung suchen.

Offenheit nach außen bedeutet nicht nur, Beziehungen zu buddhistischen Nichtmitgliedsgemeinschaften zu vertiefen, sondern ebenfalls den Dialog mit anderen Akteurinnen und Akteuren der Zivilgesellschaft zu suchen – also etwa mit Parteien, Initiativen, Nichtregierungsorganisationen oder Forschungseinrichtungen. Hier sollten wir uns daran orientieren, wie es nicht nur die Kirchen, sondern auch die anderen Religionsgemeinschaften halten, wenn sie sich zu gesellschaftlichen Fragen äußern, zu denen sie eine relevante Position haben. Die Gesellschaft sucht Orientierung und ist an dem interessiert, was Buddhistinnen und Buddhisten zu Themen wie Klimawandel, Gentechnik, Gerechtigkeit, Kriegsgefahr oder Gewalt denken. Wir können zum gesellschaftlichen Diskurs interessante Impulse beisteuern – und dabei natürlich auch von unseren Dialogpartnerinnen und -partnern lernen.

Praktizierte Offenheit besteht auch darin, dass wir bestrebt sind, möglichst viele und unterschiedliche Sichtweisen zu integrieren. Das sollte sich auch an den Personen zeigen, die in der DBU Verantwortung übernehmen. Das gilt insbesondere für den elfköpfigen Rat, der bisher ganz überwiegend aus Männern besteht, vor allem aus den tibetischen Traditionen. Dass es kein Ratsmitglied aus dem Theravada gibt, keines aus einer asiatischen Gruppe und nur eine Frau, ist heute nicht mehr hinnehmbar und beschränkt uns darin, unterschiedliche Perspektiven und Talente in die Ratsarbeit einfließen zu lassen. (Wer für die kommenden Ratswahlen kandidieren möchte, sollte sich bis Ende Februar dazu entscheiden. Siehe mehr dazu im hinteren Magazinteil dieser Ausgabe, die Red.)

Besonders die verstärkte Mitwirkung von Frauen wollen wir unbedingt erreichen. Nicht allein aus Gründen der Partizipation, sondern insbesondere der Qualität. Ein fast nur aus Männern bestehendes Gremium ist auf einem Auge blind und kaum in der Lage, die weibliche Perspektive (oder auch andere) einzunehmen. Und wenn es im Rat Strukturen geben sollte, die Frauen davon abhalten zu kandidieren, müssen wir diese erkennen und beseitigen. Hinweise dazu sind sehr erwünscht!

Engagement fördern

Viele Bereiche unserer Verbandsarbeit liegen im Grunde brach und es gibt etliche Felder, die wir nicht systematisch bearbeiten: Public Relations, Finanzplanung, Geschäftsführung, Medienarbeit, aber auch inhaltliche Themenbereiche wie Seelsorge, innerbuddhistischer Dialog, Traditionspflege und vieles mehr. Hier sollten wir zu einem intensiven Austausch zusammenfinden und Prioritäten setzen, Ziele definieren und vor allem aussichtsreiche Verfahren konzipieren, wie sich diese Ziele erreichen lassen.

All das wird nicht funktionieren, wenn es uns nicht gelingt, das ungenutzte Potenzial zu mobilisieren, das in vielen Einzelmitgliedern, aber auch in den Mitgliedern unserer Mitgliedsgemeinschaften schlummert. Hierfür wird es nötig sein, neue Kommunikationswege zu öffnen, Personen miteinander zu vernetzen und möglicherweise auch Budgets für definierte Projekte zur Verfügung zu stellen.

Über all dies können wir am „Zukunftstag“ reden, der am Freitag, den 24. April 2020, also zum Auftakt der kommenden Mitgliederversammlung am 25./26. April 2020 in Berlin stattfinden soll. Alle, die Ideen und Vorschläge haben, auch was ein eigenes Engagement angeht, sind aufgerufen, diese mitzubringen und mit uns allen zu teilen – dann machen wir uns gemeinsam bereit für die Zukunft!

Anna Karolina Brychcy

ist Diplom-Psychologin, Coach, Kommunikations- und Achtsamkeitstrainerin. Sie praktiziert seit 2004 Zen und Vipassana-Meditation in den Traditionen von Thich Nhat Hanh, Christopher Titmuss und Ursula Lyon, und ist seit 2018 in der DBU engagiert, derzeit als Mitglied von Rat und Vorstand.

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Nils Clausen

ist Fotograf und Inhaber einer Werbeagentur. Sein buddhistischer Weg begann bereits in seiner Jugend in einem Zen-Dojo bei Paris. Später besuchte er verschiedene Schulen der Karma-Kagyü-Linie, hat seine buddhistische Heimat jetzt bei Thich Nhat Hanh gefunden und ist derzeit Mitglied im Rat und Vorstand der DBU.

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