Muss künstliche Intelligenz ethisch handeln?

Ein Beitrag von Ron Eichhorn veröffentlicht in der Ausgabe 2019/4 Mut unter der Rubrik Aktuell.

Was haben die Personen auf diesen Bildern gemeinsam? Es sind keine echten Menschen, sondern ihre Portrait wurden von einer Maschine „erdacht“.* Nichts daran ist echt – weder die Gesichter noch das Lächeln oder der Hintergrund. Computer mit lernender Software können heute Fotos von Menschen, Katzen, Schlafzimmern so generieren, dass man keinen Unterschied mehr zu einem echten Foto erkennen kann. Der Schritt zum bewegten Bild, also zu völlig realistisch wirkenden, aber von einer künstlichen Intelligenz (KI) erdachten Filmen, ist nicht mehr weit.

Was auf den ersten Blick wie eine lustige Spielerei wirkt, hat durchaus ernste Implikationen. Wie stellen wir beispielsweise in Zukunft sicher, dass wir es tatsächlich mit einem realen Menschen zu tun haben, den wir auf einem Bildschirm oder unserem Smartphone sehen? Nach dem derzeitigen Stand der Technik kann bereits Sprache künstlich generiert werden und neue Technologien sind in der Lage, Artikulation und Modulation von existierenden Menschen nahezu perfekt zu imitieren. Theoretisch kann also der Computer mit meiner Stimme und meiner Sprechweise telefonisch eine Pizza bestellen oder meine Mutter anrufen und ihr zum Geburtstag gratulieren.

Natürlich kann diese Technologie missbraucht werden oder schädliche Muster erlernen. Bald werden wir den Unterschied zwischen sogenannten „Deepfakes“ und echten Videos nicht mehr erkennen können und damit auch nicht, ob etwa ein Politiker tatsächlich etwas Schlimmes getan oder gesagt hat oder ob jemand sein Bild oder seine Stimme imitiert und uns in die Irre geführt hat. Ich bin Filmregisseur vor Beruf und daher fasziniert mich, was in der digitalen Fotografie und im digitalen Film heute geschieht. Aber genauso spannend und prägend für unsere Zukunft wird der Einsatz dieser Technologie im militärischen, organisatorischen und logistischen Bereich sein.

Bild Franki Chamaki auf unsplash

Warum hören und lesen wir so wenig über KI? Möglicherweise weil wir es hier mit einer ungeheuer komplexen und schwierigen Thematik zu tun haben. Zunächst einmal braucht KI eine lange Zeit, bis sie eine bestimmte Aufgabe so gut erledigen kann wie ein durchschnittlich begabter Mensch – in dieser Zeit findet sie oft wenig öffentliche Beachtung. Hat die KI jedoch erst einmal den break even point, also die Nutzenschwelle, erreicht, ist sie schnell sehr viel besser als der Mensch. Ein Beispiel dafür ist AlphaGo, ein System von DeepMind, heute ein Google-Unternehmen. AlphaGo spielte gegen als unschlagbar geltende Großmeister das asiatische Brettspiel Go. Mathematisch gibt es im Go mehr mögliche Spielverläufe als Atome im Universum, darum galt es als ausgeschlossen, dass Computer Menschen in einem so komplexen Spiel schlagen könnten – und lange war das auch so. Bis die Maschine sich das Spiel selbst beibrachte.

Niemandem schaden, nicht die Unwahrheit sagen

KI oder die sogenannte „vierte industrielle Revolution“ wird in alle Bereiche unseres Lebens vordringen. Sie wird beeinflussen, wie wir arbeiten und ob wir es überhaupt tun, wie Menschen zusammenleben, wie sie mit intelligenten Maschinen und Technologien koexistieren – alles das in einer Weise, die wir noch gar nicht abschätzen können. Die EU-Kommission hat diese Herausforderung erkannt und KI zu einem ihrer wichtigsten Arbeitsthemen der nächsten Jahre erhoben. Einige Mitglieder der Kommission sind sogar der Ansicht, KI sei das wichtigste Thema in der Geschichte der Menschheit überhaupt. Nach allem, was ich über das Thema gelernt habe, teile ich diese Einschätzung.

Nach einem offenen Auswahlverfahren hat die EU- Kommission die High Level Expert Group on Artificial Intelligence (AI HLEG) eingesetzt. In diesem Gremium kommen 52 ausgewiesene Expertinnen und Experten aus den Bereichen Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Industrie regelmäßig zum Thema künstliche Intelligenz zusammen. Nach Artikel 17 des Lissabonner Vertrages hat sich die EU dazu verpflichtet, auch die Religionsgemeinschaften bei wesentlichen die Gesellschaft betreffenden Fragen einzubeziehen, darum darf ich als Präsident der Europäischen Buddhistischen Union den Buddhismus in diesem Expertengremium vertreten.

Der Buddha hat uns viel über Ethik und korrektes Verhalten gelehrt, weshalb der Buddhismus in diesem Bereich eine hohe Kompetenz hat – eine Kompetenz, die sich auch auf lernende Maschinen anwenden lässt. Wie ein Kind, das von seinen Eltern zu moralischem Denken und harmonischem Verhalten erzogen werden muss, müssen auch Softwareentwickler dieser Technologie Nachhaltigkeit, Rücksicht und ethisches Verhalten beibringen. Andernfalls trifft der Algorithmus möglicherweise Entscheidungen, die nur auf Parametern wie Effizienz, Ökonomie oder Dominanz basieren. Die fünf Silas, die grundsätzlichen buddhistischen Gelöbnisse, bieten einen exzellenten Leitfaden für vertrauenswürdige KI: Niemandem zu schaden, nicht die Unwahrheit zu sagen, nicht zu stehlen und Sexualität nicht zu missbrauchen, sind sehr gute Grundlagen nicht nur für menschliches, sondern auch für maschinelles Denken.

Die im Titel gestellte Frage kann ich darum nur mit einem klaren „Ja“ beantworten – und ich bin sehr froh, dass die EU-Kommission diese Ansicht teilt und den Ansatz der „vertrauenswürdigen KI“, unterstützt.

Ron Eichhorn, EBU-Präsident, und Stefano Bettera, EBU Vizepräsident, beim AI Alliance Event in Brüssel am 26. Juni 2019.

In der Entwicklung von KI-Systemen liegt Europa deutlich hinter China und den USA zurück. Dennoch ist unser gemeinsamer Markt groß und bedeutend genug, um eigene Regeln aufstellen und durchsetzen zu können. Marktwirtschaft oder Machtstreben dürfen nicht die zukünftigen Herren intelligenter Maschinen sein. Wir müssen sicherstellen, dass wir der Technologie vertrauen können und dass sie uns unterstützt.

Die EU-Expertengruppe AI HLEG hat inzwischen sieben Grundsätze vorgeschlagen, die von allen in der EU entwickelten und aktiven KI Systemen eingehalten werden sollen. Sie lauten: menschliche Aufsicht, technische Sicherheit, Datenschutz, Transparenz, Nichtdiskriminierung und Fairness, gesellschaftliches und ökologisches Wohlbefinden und Verantwortlichkeit. Nach diesen Grundsätzen müsste sich beispielsweise die KI als solche zu erkennen geben, wenn sie sich mit uns unterhält, und künstlich generierte Bilder müssten kenntlich gemacht werden.

Im Moment handelt es sich um Leitlinien und Empfehlungen, die unter der Leitung der EU-Kommission entwickelt wurden und von ihr unterstützt werden. Zwar sind sie nicht verbindlich, entfalten aber trotzdem auch in dieser Form durchaus Wirkung. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung OECD beispielsweise, die aus viel mehr Staaten als die EU besteht, sowie die UNESCO (Organisation der Vereinten Nationen für Bildung, Wissenschaft und Kultur) haben die Leitlinien bereits übernommen und empfehlen sie ihren Mitgliedsstaaten. Bis aus diesem Dokument verbindliche Gesetze werden können, wird sicher einige Zeit vergehen, allein weil der Entwicklungsprozess bei KI sehr dynamisch ist. Manche Algorithmen werden über tausendmal pro Jahr angepasst, entsprechend schwierig ist es, ein Gesetz zu entwerfen, das bei seiner Einführung nicht schon wieder veraltet ist. Allerdings sind laut Auskunft der Rechtsexperten die wesentlichen Punkte bereits im GDPR, dem digitalen Urheberrechtsgesetz der EU, festgehalten. Die Mitglieder des KI-Expertengremium European AI Alliance, zu denen ich gehöre, führen auf einer eigens eingerichteten Internetplattform einen fortlaufenden Dialog. Mit großem persönlichen Interesse für den europäischen Buddhismus und unsere gemeinsame Zukunft bleibe ich involviert.

Ron Eichhorn

Ron Eichhorn (buddhistischer Name: Mio Sop) praktiziert seit 30 Jahren Buddhismus, ist Filmregisseur und lebt in Wien. Seit 2018 ist er Präsident der Europäischen Buddhistischen Union.

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