Gemeinschaftlicher Wandel oder apokalyptische Krise?

Ein Interview mit Anna Karolina Brychcy, Manfred Folkers, Nils Clausen geführt von Susanne Billig veröffentlicht in der Ausgabe 2021/2 Freude unter der Rubrik Aktuell.

Die Menschheit taumelt von einer Krise in die nächste – das geht auch Buddhistinnen und Buddhisten und ihren Dachverband, die Deutsche Buddhistische Union (DBU), etwas an. Ein Interview mit Nils Clausen, Anna Karolina Brychcy und Manfred Folkers aus dem Rat der DBU.

BUDDHISMUS aktuell: Pandemien, ökologischer Raubbau, Verelendung breiter Bevölkerungsschichten weltweit, während einige wenige einen absurden Reichtum anhäufen – sollten wir diese Krisen als ursächlich zusammenhängend begreifen?

Anna Brychcy: Unbedingt, wir können diese Krisen nicht unabhängig voneinander betrachten, weder von ihrer Entstehung noch von ihrer Lösung her. 

Manfred Folkers: Eine buddhistische Betrachtung des Daseins erkennt die Verbundenheit aller Wesen und ihre Abhängigkeit von der Biosphäre der Erde. Wir alle sind Teil eines Bootes mit dem Namen „Zivilisation“, das in Richtung eines Orkans steuert, aber von sich aus nicht wenden kann. Ein solches Manöver gelingt nur, wenn es die Rudernden selbst vollziehen. Auf ihre Motive und Ziele kommt es an.

Eure Anregung ist, dass die DBU sich die Auseinandersetzung mit der globalen Multi-Krise, vor allem aber mit dem notwendigen Wandel – wohin sollte es gehen und wie kann das gelingen? – in den Jahren 2021/2022 als Schwerpunktthema setzt. Welchen Beitrag könnten Buddhistinnen und Buddhisten konkret leisten?

Manfred Folkers: Die Essenz des Dharma besteht darin, die existenzielle Verbundenheit mit der Welt als Basis zu verwenden, um für sich selbst und alle anderen – auch die zukünftigen Wesen – Verantwortung zu übernehmen. Achtsamkeit und buddhistisch begründetes Mitgefühl sind vorzügliche Kraftquellen sowohl für den Umgang mit Krisen als auch für die Bewältigung einer großen Transformation. 

Anna Brychcy: Die Ansatzpunkte können sehr unterschiedlich aussehen. Für manche Menschen ist das Handlungsfeld die Ökologie, für andere die Ökonomie, für andere die persönliche Entwicklung. Es geht ja gerade darum, in dieser hochkomplexen Krise und in einer zersplitternden Gesellschaft eine gemeinsame Vision auszumachen. Die buddhistische Lehre und Praxis kann dabei einen originären Beitrag leisten. 

Nils Clausen: Genau. Die jetzt notwendige Transformation kann nur gelingen, wenn sie auf allen Ebenen in Gang kommt. Dabei geht es nicht darum, einzelne Verhaltensweisen anzupassen, sondern insgesamt eine andere Haltung einzunehmen, aus der sich dann auf allen Ebenen neue Verhaltensweisen ergeben.

Kritische Nachfrage: Was hilft es der Transformationen, wenn Buddhistinnen und Buddhisten sich in ihren vertrauten Kreisen zusammensetzen und einander vergewissern, dass eine langjährige Meditations- und Lebenspraxis wirksam ist? Hat der Wandel Zeit, auf unsere – langsamen, persönlichen – Wandlungsprozesse zu warten?

Anna Brychcy: Sich in der eigenen Komfortzone der persönlichen und gemeinsamen Ressourcen zu versichern, ist erst einmal nichts Schlechtes und kann gerade in dieser hochkomplexen Krise zu einer Stärkung der eigenen Handlungsfähigkeit führen. Um aber nicht in einem betäubenden oder abgenabelten Zustand zu verweilen, hilft immer wieder die Konfrontation mit anders denkenden, anders lebenden, anders fühlenden Menschen.  

Manfred Folkers: Die große Herausforderung besteht darin, einen grundsätzlichen Wandel erst einmal zu wollen. Wer auf dem Kissen sitzen bleibt, hat Buddhas Dharma nicht verstanden. Wer Verstehen und liebende Güte entwickelt, ist zum Handeln aufgerufen und findet „Freude am Bewirken“ (samtusta).

Nils Clausen: Ich bin überzeugt, dass es in dieser Situation dringend notwendig ist, gemeinsam darüber nachzudenken, was buddhistische Praxis jetzt bedeutet. Traditionell gehören Meditation und Dharmavorträge dazu. Doch wir sollten weitere Formen kultivieren – den interreligiösen Dialog, Seelsorge, wohltätiges Wirken und eben auch das aktive Engagement für Ziele, die sich aus den Werten unseres Dharma eindeutig ergeben. 

Gibt es schon einige konkrete Ideen, was in der Zeit passieren könnte, in der sich die DBU ein so umfassendes und gewichtiges Schwerpunktthema setzt?

Manfred Folkers: Die DBU besteht ja aus vielen Kreisen wie dem Rat der DBU, den Mitgliedsgemeinschaften, den Einzelmitgliedern, mehreren Arbeitsgruppen. Sie alle können die Themen „Krisen und Wandel“ diskutieren. Ich denke auch an Online-Seminare, Vortragsreihen, Artikel in BUDDHSMUS aktuell. 

Anna Brychcy: Natürlich können wir als Rat Impulse setzen, sollten die Menschen in der DBU aber auch aktiv fragen: Wie geht ihr mit der Herausforderung um? Wie versteht ihr Transformation? Was tut ihr bereits aktiv? 

Nils Clausen: Meines Erachtens geht es auch darum, öffentlich Position zu beziehen und sichtbar zu handeln. Fridays for Future und Xtinction Rebellion haben gezeigt, wie viel Aufmerksamkeit und Wirkung erzielt werden kann, wenn man fantasievolle und manchmal auch provozierende Arten der Kommunikation einsetzt. Auch wir sollten uns über neue Aktionsformen Gedanken machen.

Stichwort andere aktive Gruppen: Mit wem könnten, sollten sich Buddhistinnen und Buddhisten und die DBU vernetzen, wer sind natürliche Bündnispartner:innen?

Nils Clausen: Es gibt glücklicherweise viele andere zivilgesellschaftliche Institutionen und Personen, die die Situation und die notwendigen Veränderungen ganz ähnlich sehen wie wir. Mit ihnen können wir starke Allianzen eingehen, uns intensiv vernetzen und gemeinsam handeln. Dabei bleibt es natürlich essenziell, den spezifisch buddhistischen Beitrag zu formulieren und zum Teil einer Lösung zu machen.

Manfred Folkers: Vor allem regional und lokal sollte mit Gruppen zusammengearbeitet werden, die sich für soziale, ökologische und kulturelle Alternativen zur gegenwärtig vorherrschenden Lebensweise einsetzen. Auf diese Weise kann die DBU nach außen zeigen, dass sie Stellung bezieht. Konkret denke ich an Bündnispartner:innen wie das Abrahamische Forum, die schon genannten Fridays for Future und Xtinction Rebellion, die Klima-Allianz. Auch eigene Aktionen sind denkbar wie Geh-Meditationen in Einkaufsvierteln, vor einem Schlachthof, einer Raffinerie oder einer Zementfabrik. Daran würden sich sicher auch Nichtbuddhisten und -buddhistinnen gern beteiligen. Die DBU und mit ihr alle Buddhistinnen und Buddhisten sollten sich nicht davor scheuen in großen Visionen zu denken und das Ganze im Blick behalten – die ganze Erde, den ganzen Menschen und das ganze Leben. 

Das Interview führte Susanne Billig.

Nils Clausen und Anna Karolina Brychcy sind im Rat und im Vorstand der Deutschen Buddhistischen Union. Manfred Folkers ist ebenfalls Ratsmitglied und leitet die Umwelt-AG. 

Anna Karolina Brychcy

ist Diplom-Psychologin, Coach, Kommunikations- und Achtsamkeitstrainerin. Sie praktiziert seit 2004 Zen und Vipassana-Meditation in den Traditionen von Thich Nhat Hanh, Christopher Titmuss und Ursula Lyon, und ist seit 2018 in der DBU engagiert, derzeit als Mitglied von Rat und Vorstand.

Alle Beiträge Anna Karolina Brychcy

Manfred Folkers

wurde 2004 von Thich Nhat Hanh zum Dharma-Lehrer ernannt. Er ist seit über 20 Jahren Vorsitzender des Vereins „Achtsamkeit in Oldenburg“. Er leitet die Umwelt-AG der DBU und ist seit 2009 Ratsmitglied der DBU.

Alle Beiträge Manfred Folkers

Nils Clausen

ist Fotograf und Inhaber einer Werbeagentur. Sein buddhistischer Weg begann bereits in seiner Jugend in einem Zen-Dojo bei Paris. Später besuchte er verschiedene Schulen der Karma-Kagyü-Linie, hat seine buddhistische Heimat jetzt bei Thich Nhat Hanh gefunden und ist derzeit Mitglied im Rat und Vorstand der DBU.

Alle Beiträge Nils Clausen