Editorial der Ausgabe 2021/2

Ein Beitrag von Susanne Billig veröffentlicht in der Ausgabe 2021/2 Freude unter der Rubrik Editorial.

Freude ist der Schwerpunkt der neuen Ausgabe von BUDDHISMUS aktuell, und diese scheint zunächst weit entfernt von der ersten buddhistischen Wahrheit des Leidens zu sein. Letztendlich gehört aber die Wahrheit des Leidens genauso zur vollständigen Erfassung der Wirklichkeit wie die Freiheit vom Leiden, schreibt Susanne Billig in ihrem Editorial und fordert uns Leserinnen und Leser der Zeitschrift auf: „Freuen Sie sich, so oft es geht. Reichen Sie denen die Hand, denen die Freude gerade schwerfällt – und lassen Sie uns den Weg des Alles-Sehens und Alles-Erfassens gemeinsam weitergehen.“

Liebe Leserinnen und Leser,

„Die Wahrheit liegt direkt unter unseren Füßen: die Wahrheit des Leidens und der Freiheit vom Leiden. Es geht darum, alles zu erfassen.“

Das schrieb die Zen-Lehrerin Roshi Joan Halifax sinngemäß in der vergangenen Ausgabe. Bei der Arbeit am vorliegenden Heft musste ich oft daran denken, denn unsere Themen könnten kaum weiter auseinanderfallen.

Auf der einen Seite verlangen der Schmerz und das Leiden ihren Teil an Aufmerksamkeit. Ein großes Leiden, das wir wegen unserer langen Vorlaufzeiten erst im kommenden Heft mit einem eigenen Beitrag werden aufgreifen können, sind die traurigen Ereignisse in Myanmar. Am 1. Februar 2021 putschte sich das Militär erneut an die alleinige Macht und stellte Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi und andere Vertreterinnen und Vertreter der gewählten Regierung unter Arrest. Seitdem finden jeden Tag friedliche Proteste statt, an denen sich unter anderem buddhistische Mönche und sehr, sehr viele junge Menschen beteiligen. Weil die Armee immer brutaler zurückschl.gt, zahlen inzwischen täglich Demonstrantinnen und Demonstranten mit ihrem Leben. Nun herrschen an vielen Orten und in vielen Ländern auf der Erde Krieg und Gewalt, kein Leiden ist weniger wichtig als ein anderes; im Jemen beispielsweise ereignet sich die wohl gravierendste humanitäre Katastrophe unserer Zeit. Dennoch berührt der Putsch in Myanmar ganz besonders, denn viele Menschen im Westen haben aus diesem Land wertvolle buddhistische Belehrungen erhalten; die Verbundenheit ist groß. Der Rat der Deutschen Buddhistischen Union (DBU) schreibt in seiner Stellungnahme, und dem kann man sich nur anschließen: „Die Menschen in Myanmar sehnen sich nach Demokratie. Diesem tiefen und legitimen Wunsch schließen wir uns an und geben unserer Hoffnung Ausdruck, dass alle Menschen in Myanmar, gleich welcher Religion oder ethnischen Gemeinschaft sie angehören, eine Zukunft des friedlichen und demokratischen Zusammenlebens haben mögen, frei von Militärherrschaft, Gewalt und Diskriminierung.“

Ein weiteres schwieriges Thema erhält viel Platz in dieser Ausgabe. Die Gesellschaft zur Erhaltung der Mahayana-Tradition (FPMT) ist eine der großen internationalen Organisationen des tibetischen Buddhismus – und erlebt eine Erschütterung um sexualisierte Gewalt und deren mangelhafte Aufarbeitung; Tenzin Peljor berichtet. Außerdem drucken wir die Freiwillige Ethische Selbstverpflichtung im Wortlaut, die die DBU auf den Weg gebracht hat – ein Dokument, das Klartext spricht und mögliche Missstände deutlich beim Namen nennt. Und schließlich führen wir ein langes Gespräch mit vier Kölner Mitgliedern der Shambhala-Gemeinschaft, die um die Aufarbeitung sexualisierter Gewalt und die Erneuerung von Gemeinschaftsstrukturen ringen. „Wie kann das bei uns passieren, wo es so viel Respekt und Güte gibt?“, fragen sie.

„Die Wahrheit liegt direkt unter unseren Füßen: die Wahrheit des Leidens und der Freiheit vom Leiden. Es geht darum, alles zu erfassen.“

„Freude“ lautet das Schwerpunktthema dieser Ausgabe – mit vielen wunderbaren Beiträgen. Wir hören von Jack Kornfield über das Mandala des erwachten Herzens, erfahren von Peter Doobinin von der Meditation in der Helligkeit der Welt, blicken mit Shifu Simplicity in die Freude des reinen Geistes, lernen Noah Rasheta kennen, der nicht nur freudig als Paraglider über den Himmel von Utah schwebt, sondern auch etwas über die acht Säulen der Freude weiß, begegnen dank Karl-Heinz Pohl lachenden Buddhas und Zen-Meistern, berühren mit Annabelle Zinser die Wunder des Lebens und finden bei James Baraz Wissen darüber, wie sich auch in schweren Zeiten Freude spüren lässt. Und da schließt sich der Kreis.

„Die Wahrheit liegt direkt unter unseren Füßen: die Wahrheit des Leidens und der Freiheit vom Leiden. Es geht darum, alles zu erfassen.“ 

Freuen Sie sich, so oft es geht. Reichen Sie denen die Hand, denen die Freude gerade schwerfällt – und lassen Sie uns den Weg des Alles-Sehens und Alles-Erfassens gemeinsam weitergehen. Eine hilfreiche Lektüre wünschen Ihnen das Team von BUDDHISMUS aktuell und Ihre

Susanne Billig,
Chefredakteurin

Susanne Billig

Susanne Billig ist Biologin, Buchautorin, Rundfunkjournalistin (Wissenschaft, Gesellschaft) und Sachbuchkritikerin. Sie ist seit 1988 in Praxis und Theorie mit Buddhismus und interreligiösem Dialog befasst, Kuratoriumsmitglied der Buddhistischen Akademie Berlin-Brandenburg und Chefredakteurin von BUDDHISMUS aktuell.

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