Der Buddhismus in Europa wird seine eigene Identität finden

Ein Interview mit Ron Eichhorn geführt von Susanne Billig veröffentlicht in der Ausgabe 2020/3 Transformation unter der Rubrik Politik. (Leseprobe)

Ron Eichhorn – buddhistischer Name: Mio Sop – ist Filmregisseur und lebt in Wien und Berlin. Seit 30 Jahren praktiziert er Buddhismus und seit 2018 ist er Präsident der Europäischen Buddhistischen Union. Ein Gespräch.

Susanne Billig: Wie hast du persönlich zum Buddhismus gefunden? 

Ron Eichhorn: Während des Studiums, mit 21 Jahren, hat mir ein Kommilitone ein Buch von Daisetz Suzuki empfohlen und ich war sofort fasziniert von seiner Leichtigkeit und seinem Humor. Außerdem gefiel mir, dass Buddhismus etwas ist, was man macht, und nicht unbedingt etwas, was man glauben muss – ganz anders als der Katholizismus, mit dem ich aufgewachsen war. Ich habe dann Zen-Buddhismus praktiziert und gemerkt, wie viel Ruhe, Gelassenheit und Konzentration mir die Meditation schenkt. Besonders faszinierend fand ich das Prinzip der Erleuchtung. Also wollte ich jemanden kennenlernen, der erleuchtet ist. In meiner Vorstellung sollte es unbedingt ein alter asiatischer Mann sein (lacht). Nach einer Zeit der Suche habe ich aber dann zu meiner Meisterin gefunden, Ji Kwang Dae Poep Sa Nim, bei der ich nun seit 26 Jahren praktiziere. 

Warum sie? Was hat dich gerade bei ihr andocken lassen? 

Es gab ein Seminar in Wien, dort konnte ich Dae Poep Sa Nim eine Frage stellen, die mich damals spirituell lange beschäftigt hatte. Dae Poep Sa Nim hat sie mir ganz klar und einfach beantwortet. Das fand ich erstaunlich. Zu dieser Zeit bekam man von Dae Poep Sa Nim für die Meditation persönliche Visualisierungen in einem Vieraugengespräch und letztlich war das entscheidend. Ich hatte schon einige Jahre meditiert und fand die Meditation gut und nützlich – wie Zähneputzen. Doch mit dieser Visualisierung machte sie mir plötzlich Spaß. Ich freute mich richtig auf das Meditieren und meinte auch zu spüren, wie ich spirituell einen Sprung machen konnte. So bin ich dabei geblieben. 

Dae Poep Sa Nim steht für einen sozialen Buddhismus. Kannst du einmal beschreiben, was das bedeutet? 

Der soziale Buddhismus geht auf die ursprünglichen Lehren Shakyamuni Buddhas zurück. Er versucht, in alle Lebensbereiche helfend oder positiv einzugreifen, wo und wie es sinnvoll ist. Erleuchtung findet nicht jenseits des Lebens statt, sondern man sucht und findet das, worum es im Buddhismus geht, mitten im Alltag. Jeder Moment, egal was das für ein Moment ist, beinhaltet alles an Raum und Zeit und Wissen. Deshalb sollte jeder Moment klar sein – ein guter Moment, in dem man die Beziehungen mit anderen sowie sich selbst und das eigene Können richtig einschätzt und keinen Projektionen aufsitzt. 

Die von Dae Poep Sa Nim gegründete Yun-Hwa-Gemeinschaft unterhält in Europa 40 Zentren, davon 23 in Deutschland. Philosophisch kommt unsere Tradition aus dem koreanischen Chontae-Buddhismus, der wiederum auf die bedeutende chinesische Schule Tiantai zong zurückgeht, die „Schule des Lotos-Sutra“. Darin wird in besonderer Weise betont, dass es keine Hierarchie von Momenten gibt. Stattdessen geht es darum, Menschen dabei zu unterstützen, achtsam zu sein gegenüber all den komplexen Vorgängen, die in ihrem Alltagsleben eine Rolle spielen. Unsere Yun-Hwa-Meditationspraxis ist recht vielfältig: Niederwerfungen, Bewegungs- und Körpermeditation, stille Sitzmeditation, Mantrarezitation. Außerdem gibt es starke Zen-Elemente wie die Koan-Praxis; auch die Disziplin wird betont. 

Teilnehmer der EBU Konferenz „Spreading Wisdom and Compassion in European Societies“ in Malaga, 2018

Wie kamst du zu deinem Engagement in der Europäischen Buddhistischen Union, der EBU? 

Es war tatsächlich so, dass Dae Poep Sa Nim mir persönlich zu einem Engagement geraten hat und dafür bin ich im Nachhinein äußerst dankbar. Anfangs dachte ich aber: „Warum gerade ich? Wofür soll so ein Dachverband schon gut sein?“ Doch ich bin dem Rat gefolgt und trotz meiner anfänglichen Zweifel als Delegierter zu meinem ersten EBU-Treffen gefahren. Dort fiel mir auf, wie sehr mich der Austausch auf einer persönlichen Ebene mit anderen Buddhistinnen und Buddhisten bereicherte. Vieles im Dharma, von dem ich dachte, ich hätte es verstanden, zeigte sich plötzlich aus einem anderen Blickwinkel und wurde für mich dadurch plastischer und klarer. Außerdem verabschiedete die EBU auf diesem Treffen ein „Mission and Vision Statement“ und gab sich damit eine klare Richtung: Es sollte von nun an darum gehen, den Austausch zwischen den buddhistischen Gruppen in Europa zu fördern und als Dachverband traditionsübergreifend den Dharma mit den Mitteln zu verbreiten, die der EBU zur Verfügung stehen. Damit konnte ich sehr viel anfangen. 

Was sind das für Mittel? 

Viele Menschen sind heute nicht mehr an eine Konfession gebunden, aber prinzipiell doch sehr interessiert an Spiritualität und an Religion. Dafür ist ein Dachverband ein perfekter erster Ansprechpartner, denn darin gibt es keine dominierende Anschauung und er ist auch keine Gruppe, die missionarisch wirken könnte. Die EBU hat sich zur Aufgabe gemacht, wichtige buddhistische Prinzipien in die Gesellschaft zu tragen und dort bekannt zu machen. Es geht um buddhistische Grundhaltungen wie Mitgefühl und Güte. Daran herrscht in unserer Gesellschaft ein Mangel, weil es leider viel Härte und Unnachgiebigkeit gibt. Wir möchten auch für die Erkenntnis werben, dass wir in dieser Welt grundsätzlich alle miteinander verbunden und nicht getrennt voneinander sind. Viele Menschen sind für diese Einsicht sehr offen; sie müssen aber eben auch damit in Kontakt kommen. Dafür möchte die EBU da sein. 

Dann arbeiten wir auch noch direkt mit der EU-Kommission zusammen. Gegründet wurde die Europäische Union zwar aus  ökonomischen Gründen, aber zusammenhalten wird sie nur, wenn die Menschen darin gleiche Werte teilen. Die EU-Kommission hat sich in den Verträgen von Lissabon dazu verpflichtet, die Religionsgemeinschaften in Europa bei wichtigen Fragen einzubeziehen. An solchen Prozessen beteiligen wir uns, indem wir Einladungen an die Religionsgemeinschaften annehmen und unsere Reflexionen, zum Beispiel zur künstlichen Intelligenz oder anderen komplexen Themen, in verschiedene Gremien einbringen. 

World Peace Kwan Se Um Bo Sal (Bodhisattva Avalokitesvara) im Lotus Buddhist Monastery, Hawaii

Die EBU hat auch ein Online-Angebot. Was kannst du darüber erzählen? 

Ein wichtiges aktuelles Projekt ist unsere Online-Plattform, wo wir direkt mit Buddhistinnen und Buddhisten und Menschen, die sich für Buddhismus interessieren, in Kontakt treten können und sie mit uns. Denn im Moment ist die EBU organisatorisch noch eine Pyramide mit Vorstand, Delegierten und dann allen Mitgliedern der Mitgliedsgemeinschaften. Die vielen einzelnen Mitglieder der Mitgliedsgemeinschaften erreichen wir aber nicht, weil unsere Nachrichten oft bei den überlasteten Delegierten hängenbleiben. Deshalb möchten wir direkt in Verbindung treten können. Auf der Online-Plattform kann sich auch jede Mitgliedsgemeinschaft selbst vorstellen inklusive Meditationskursen, Dharma-Talks und Podcasts. So können Interessierte mit Mitgliedsgemeinschaften in Kontakt treten, die sie sonst vielleicht nicht finden würden. 

In den USA und in Australien wird schon sehr viel online angeboten, Buddhistinnen und Buddhisten sind dort sehr viel weiter, was Podcasts, Onlinekurse, Workshops oder Seminare im Netz angeht. Vielleicht wird die Corona-Krise auch hier dauerhaft für eine aktivere buddhistische Onlinekultur sorgen. Besonders jüngere Menschen suchen heute alles im Netz. Andere sind oft unterwegs, haben viel zu tun und sind froh, wenn sie buddhistische Audio- oder Video-Angebote mitnehmen können. Natürlich schätzen sie weiterhin auch Orte, die sie persönlich erleben und besuchen können. 

Wie arbeitet es sich in einem europäischen Netzwerk? 

Unsere Arbeit ist natürlich sehr komplex durch die vielen verschiedenen Sprachen, Kulturen und Mentalitäten. Buddhistinnen und Buddhisten in Skandinavien denken anders über Dinge nach als solche aus Süd- oder Osteuropa. Darum müssen wir gut achtgeben, dass keine Missverständnisse entstehen. Unsere Arbeitssprache ist Englisch und wir arbeiten in einem sehr guten Geist und ausgesprochen freundschaftlich zusammen. 

Dazu gehört auch, dass wir uns gegenseitig nicht mehr erklären, was „buddhistisch“ ist und was nicht. Davon haben wir uns in der EBU ganz verabschiedet – glücklicherweise. Sowohl im interreligiösen wie auch im innerbuddhistischen Dialog darf man das Eigene zwar als wertvoll betrachten, aber man kann es anderen nicht aufdrücken und man weiß es auch nicht besser. Du kannst nicht sagen: „Was du denkst und tust, ist nicht buddhistisch“ – das unterbindet jede Diskussion. Es wäre ein Kindergartenlevel –und dann streitet man auch wie im Kindergarten! Anderen Raum zu geben und sie zu respektieren ist sehr wichtig. 

Darum versuchen wir auch, alle Entscheidungen im Konsens zu treffen. Das ist nicht leicht, man muss manchmal viel geben und Entscheidungen mittragen, die man ganz allein so nicht getroffen hätte. Weil wir eben in einem guten Geist zusammenarbeiten, diskutieren wir Themen aber nicht tagelang tot, sondern erreichen oft viele konstruktive Beschlüsse in kurzer Zeit. 

Ron Eichhorn bei einem Vortrag

Wie geht ihr mit schwierigen Fragen um – Stichwort sexualisierte Gewalt oder antimuslimische Ressentiments im Buddhismus?  

Wir könnten Gruppen, in denen es solche Vorfälle gab, aus der EBU ausschließen oder ihre Mitgliedschaft zeitweise suspendieren. Das haben wir aber bis jetzt nicht getan. Weil wir sagen, man löst Konflikte nicht, in dem man aufhört miteinander zu sprechen. Als EBU müssen wir versuchen, Gemeinschaften Hilfe zu geben, damit sie sich positiv weiterentwickeln können. 

Das gelingt uns derzeit gemeinsam tatsächlich ganz gut. An dem Dialogprozess sind Gruppen beteiligt, bei denen es ähnliche Vorfälle gab, die nun aber in einer fortgeschrittenen Phase der Bewältigung sind, und Gruppen, die noch ganz am Anfang stehen. Als EBU-Verantwortliche benennen wir schwierige Themen, aber ohne mit dem Finger auf andere zu zeigen. Wir sagen klar: „Wir tolerieren keinen Missbrauch und keinen Rassismus, denn sie lösen sehr, sehr viel Leid aus.“ Ein Rauswurf aber würde nicht nur einen zwiespältigen Lama oder Zentrumsleiter treffen, sondern eine ganze Gemeinschaft. Nach meiner Erfahrung gibt es aber in jeder Sangha immer auch viele ernsthafte Praktizierende, die mit organisatorischen Themen oder mit unakzeptablen Vorfällen nichts zu tun haben. Die stößt man dann auch weg. Das kann man in der Politik machen, aber als Buddhist, als Buddhistin muss man immer sagen: Letztlich sind wir alle gemeinsam da, nicht nur als Buddhisten, sondern insgesamt als Menschen auf dieser Erde. Wenn es Probleme gibt, stellt sich die Frage: Wie lösen wir die? 

ENDE DER LESEPROBE

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Ron Eichhorn

Ron Eichhorn (buddhistischer Name: Mio Sop) praktiziert seit 30 Jahren Buddhismus, ist Filmregisseur und lebt in Wien. Seit 2018 ist er Präsident der Europäischen Buddhistischen Union.

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