Jacob Schmidt

Viel Lärm um Achtsamkeit

Oder warum es so schwer ist, in unserer Gesellschaft ein gutes Leben zu führen

Heft: 01 | 2025 feiern
Verlag:Kösel
Ort:München
Jahr:2024
ISBN:978-3-466-37315-4
Preis:20 Euro
Seiten:224
Gebunden
 
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Rezension

Einst hat Jacob Schmidt fleißig meditiert.  Jetzt rechnet der promovierte Referent fürstrategische Kommunikation mit allem ab, was mit Achtsamkeit verbunden ist. Sein wissenschaftlicher Blick ist scharf. Noch schärfer ist seine Polemik. Wer sich darauf einlässt, wohnt der Hinrichtung eines Megatrends bei. Dafür unterscheidet Schmidt drei Achtsamkeitsschulen. Da gibt es die Schule der sezierenddistanzierten Achtsamkeit, in der man lernt, die Welt sei unbeständig und voller Leiden. In ihrer Mitte ist ein Selbst platziert, das sich zwar für überaus wichtig hält, doch nicht mehr als eine leidverursachende Illusion ist. Daneben platziert Schmidt die interessiertsorgende Achtsamkeit. Sie verspricht den Meditierenden, einen Blick einzuüben, mit dem man die Fülle jedes einzelnen Momentes entdeckt, in dem sich das gelingende Leben entfalten lässt. Und dann zeigt Schmidt noch auf die Schule der funktionalistischen Achtsamkeit. Hier wird Meditation allen empfohlen, die sich abhärten wollen. Das gute Leben, notiert Schmidt, besteht nicht in der Überwindung oder in der Entfaltung des wahren Selbst, nein, es besteht in dessen Selbstoptimierung.
Keine der Schulen lässt Schmidt gelten. Überall erkennt er spätromantische Versuche, die Krisenerfahrungen der modernen Kultur fortzuzaubern. Aber Schmidt warnt: Das sind
gefährliche Tricks. Den Weg nach innen zu gehen und sich so lange mit dem eigenen Selbst zu beschäftigen, bis es wunschlos glücklich ist, weil es sich nichts mehr wünschen will, lässt Menschen das Bewusstsein für gesellschaftliche Probleme verlieren. Man wird unfähig, sich politisch zu artikulieren und zu organisieren. Die Achtsamen mögen sich innerlich freier fühlen. Doch Schmidt sieht ihnen zu, wie sie auf ihren Meditationskissen eben jenen leidverursachenden Gesetzen des Neoliberalismus folgen, denen sie doch eigentlich entkommen wollen.
Allerdings hat Schmidt im letzten Teil seines Buches eine Pointe parat. Denn ganz will er von der Achtsamkeit nicht lassen. Was er selbst an Gutem und Heilendem durch die eigene Meditationszeit erfahren hat, will er für ein neues Achtsamkeitskonzept retten.
Achtsamkeit, sagt Schmidt, kann man so einüben, dass man sich immer wieder neu auf sich selbst und die Welt einstellt. Man kann eine Offenheit der unmittelbaren Gegenwart erfahren, die es möglich macht, ins Handeln zu kommen. Aber um dann wirklich zu handeln,muss man die Sphären wechseln: Gegen den Lärm der Welt müssen wir kollektiv Zeiten erstreiten, in denen die Welt zur Ruhe kommt.Das ist zum Teil klug argumentiert. Zum Teil ist es viel zu rabiat pointiert. Immer wieder
möchte man das Buch ärgerlich zur Seite legen. Aber allen, die Lust haben, die eigenen Meditationserfahrungen als etwas zu verteidigen, das keineswegs nur eine private Angelegenheit ist, sondern seine eigene gesellschaftliche und politische Verantwortung immer schon mitpraktiziert, denen sei Viel Lärm um Achtsamkeit unbedingt als intellektueller Sparringspartner empfohlen. Wer es durchsteht, mitdenkt und gegenhält, weiß hinter mit Sicherheit viel besser über sich und die eigene Achtsamkeit Bescheid.

Stephan Porombka

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