Ryosuke Ohashi

Phänomenologie der Compassion

Pathos des Mitseins mit den Anderen

Heft: 02 | 2019 Freundschaft
Verlag:Verlag Karl Alber
Ort:Freiburg
Jahr:2018
ISBN:978-3-495-48947-5
Preis:44,00 €
Seiten:408
Hardcover

Rezension

Wenn Ryosuke Ohashi (geboren 1944), einer der wichtigen Philosophen der japanischen Kyoto-Schule, die dem Zen-Buddhismus eng verbunden ist, ein Buch über Compassion, Mitgefühl, schreibt, darf man gespannt sein. Compassion ist, so Ohashi, eine Form der Beziehung zum Anderen in dessen unterschiedlichsten Erscheinungsformen: nicht nur zu Menschen, sondern auch zu Dingen, zum Tod, zum Göttlichen, zur Umwelt, zum Staat, mit anderen Worten: überraschenden Perspektiven auf „Anderes“. Ohashi findet das „Pathos des Miteinanders“ im christlichen Begriff „compassio“ und im buddhistischen Begriff „karuna“ ausgedrückt. Einer Spur, der er dann als Philosoph folgt: Es ereignet sich am „Welt-Ort“ und ist eine Form sinnlicher Erfahrung. Hören, Sehen, Riechen, Schmecken und Fühlen werden – hier zitiert Ohashi Aristoteles – durch den „Gemeinsinn“ zusammengehalten. Dieser ist sowohl individuell als auch sozial. Ohashi zeigt dies am Beispiel des No-Theaters, in dem sich „die Aufführung des Schauspielers im gleichen Herzen mit den Zuschauern“ ereignet, ohne dass sie deswegen ihre Unterschiedlichkeit verlieren. Als Philosoph reflektiert Ohashi ohne von vornherein feststehende Prämissen, doch bezieht er sich auf die buddhistische Tradition genauso wie auf die christliche und jüdische Überlieferung. Das ergibt Ungewohntes: So sieht er die Geschichten vom auferstandenen Jesus im Neuen Testament aus der Perspektive der Compassion als ein Berühren des Nicht-Berührbaren oder interpretiert die Leerheit (sunyata) mit Bezug auf die jüdische Tradition. Ohashis Denkanstöße sind eine anspruchsvolle Lektüre. Man sollte sich jedoch durch die vielfachen Verweise auf die Philosophiegeschichte nicht entmutigen lassen. Er möchte nachzeichnen, wie „die Teilhabe an der Trauer der in der Welt der Misere leidenden Lebewesen“ gleichzeitig „auch die große Heiterkeit der Entleerung dieser Trauer“ sein kann. Es ist ein sehr lehrreicher Versuch, eine Brücke „in der Leere des Herzens“ zu schlagen.

Dr. Ursula Baatz

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