Devotion
Hingabe. 150 Farbfotografien zeigen die vielen Gesichter eines universellen Gefühls
Heft: | 03 | 2024 Geist |
Verlag: | Prestel |
Ort: | München |
Jahr: | 2023 |
ISBN: | 978-3-7913-8013-1 |
Preis: | 49 Euro |
Seiten: | 208 |
Aus dem Englischen von Cornelius Hartz | |
Gebunden |
Rezension
Wer sich hingibt, verschenkt sich. Das tut man aber nicht mit großer Geste und lautem Getöse. Hingegeben ist man erst, wenn man leise die Fesseln vom eigenen Selbst löst und für den Moment das Gegenüber, als etwas spüren mag, in dem man sich auflösen kann. Für diese Art des Schenkens gibt es keinen Regelkatalog. Auch ist nicht festgelegt, was dabei verschenkt wird. Jeder Akt der Hingabe erprobt und beweist sich deshalb von Fall zu Fall selbst.
Steve McCurry weiß das. Der international gefeierte Fotograf hat einen opulenten Band mit Fotografien zusammengestellt, die er in den letzten vierzig Jahren auf seinen Reisen um die Welt gemacht hat. Abgedruckt sind 150 prächtig leuchtende Aufnahmen, die jede für sich einen Moment der Hingabe festhalten.
Blätternd bewegt man sich dabei von Fall zu Fall. Jeder davon ist so sachlich betitelt, dass er bloß festhält, was auf dem jeweiligen Bild zu sehen ist: „Eine Mutter trägt bei der Ernte ihr Kind“, „Wissenschaftler nehmen Boden- und Luftproben auf den brennenden Ölfeldern von Al Ahmadi“, „Ein Klosterhund schließt sich Frauen in der stillen Meditation an“.
Als vor knapp zehn Jahren diskutiert wurde, ob Steve McCurry seine Bilder nachbearbeiten darf, um ihre Intensität zu verstärken, hat der Fotograf deutlich gemacht, welchem Programm er bei seiner Arbeit folgt. „Ich bin kein Fotojournalist“, teilte er mit. „Ich bin ein visueller Geschichtenerzähler.“ Die Kunst dieses Fotografen besteht darin, nur ein einziges Bild zu zeigen, um die Geschichten, in die sie hineingehören, wie von selbst aufscheinen zu lassen. Immer wieder ergibt sich der gleiche magische Effekt. Jedes Bild speist sich aus den Energien vorangegangener Bewegungen. Und jedes verweist auf das, was im nächsten Augenblick sichtbar wird. Warum jeder dieser Momente ins Weltarchiv der Hingabe gehört, will McCurry aber nicht erklären. Wer seine Bilder betrachtet, soll von Fall zu Fall rätseln und immer auch bei sich nachspüren, auf welche Weise da etwas verschenkt wird. Was sie aber deutlich zeigen, ist die Bewegung, mit der sich Steve McCurry seinem Gegenüber schenkt. Seine Bilder zeigen die Porträtierten nicht als verfügbare Objekte. Auch werden den einzelnen Momenten keine Themen, Thesen oder Begriffe übergestülpt. Es ist, als hätte sich McCurry ihnen anverwandelt und könnte sie nur sichtbar machen, weil er in diesen anderen Menschen aufgeht und in ihren Bewegungen für einen Augenblick verschwindet. Wir sehen dabei zu, wie Steve McCurry sich hingibt. Und wir können uns deshalb mit seinen Bildern auf so besondere Weise darin üben, die Welt um uns herum mit Hingabe zu sehen.
Stephan Porombka