Peter Matthiessen

Der Schneeleopard

Reihe Naturkunden Band 72

Heft: 04 | 2021 Verbundenheit
Verlag:Matthes & Seitz Verlag
Ort:Berlin
Jahr:2021
ISBN:978-395757-950-8
Preis:38,00 €
Seiten:352
Aus dem Englischen übersetzt von Maria Csollány und Stephan Schuhmacher. Bearbeitet und mit einem Nachwort von Bernd Malkmus.
Hardcover
 


Rezension

„Die Sonne dröhnt, jeder Schneekristall birst vor Licht. Und wieder fühle ich mich im Innersten bewegt, ohne den Grund dafür zu erfassen, wieder erstarren auf meinem Gesicht warme Tränen zu Eis. All diese Felsen und Berge, die Materie um mich, der Schnee, die Luft – die ganze Erde beginnt zu klingen. Alles ist in Bewegung, ist voller Kraft, voller Licht.“ Peter Matthiessens „Schneeleopard“ ist in seiner Einzigartigkeit seit vielen Jahren ein Klassiker der Reiseliteratur und des Nature Writing und lässt sich nach über 40 Jahren in Deutschland in einer wunderschönen Ausgabe neu entdecken.

1973 ist Peter Matthiessen mit seinem Freund, dem Zoologen George Schaller, im Himalaja unterwegs: Um Schneeleoparden und Bharals aufzuspüren – letztere, damit Schaller bestimmen kann, ob sie Schafe oder Ziegen sind. Es geht westwärts unterhalb der Annapurna, um die Gipfel des Dhaulagiri, in die höchsten ganzjährig bewohnten Bergtäler der Erde: ins nepalesische Dolpo, einer der letzten Enklaven ursprünglicher tibetischer Kultur.

Detailliert und atmosphärisch dicht beschreibt er die strapaziöse Reise im Spätherbst und Winter zu Fuß durch die verschneiten Berge, denn nur zu dieser Zeit zeigen die Bharals in der Brunft durch ihr Verhalten, zu welcher Gattung sie gehören. Auf der Suche nach den seltenen Tieren wandern und klettern die Männer im Hochgebirge mit schwerem Gepäck 35 Tage bis zum buddhistischen Kloster Shey an der tibetischen Grenze, begleitet nur von einigen Trägern. Und obwohl die Pässe über fünftausend Meter hoch liegen und das Thermometer nachts auf minus 20 Grad fällt, wird die Reise für ihn zu einer einschneidenden Erfahrung: „Nicht ein Wölkchen zeigt sich am Himmel, alles ist klar, klar, klar. Felsen und Schneegipfel, große Vögel am blauen Himmel und schwarze Flüsse: Mit welchen Worten lässt sich diese tönende Herrlichkeit fassen?“ Tief nimmt Peter Matthiessen die Natur in sich auf: „Die Stille kommt zum Klingen. Ich atme tief auf, und mit mir atmet wieder der Berg und die ganze Welt.“

Das Buch des US-amerikanischen Autors und Umweltschützers ist eine beeindruckende und einzigartige Collage aus Naturerforschung, ökologischen Betrachtungen und politischen Reflexionen über die Besetzung Tibets durch die Chinesen. Dazu kommen die Trauerarbeit um seine kurz zuvor gestorbene Frau und ein Ringen um das Einssein, das er auch in seinem Zen-Studium erreichen will: „Mir sind die alltäglichen Wunder ans Herz gewachsen: das Gemurmel meiner Freunde am Abend, das Knistern der verdreckten Wacholderreiser im Feuer des Lehmherds, die eintönige Nahrung, die Härte und Einfachheit dieser Tage – und die Zufriedenheit, die einem daraus erwächst, dass man immer nur eines nach dem anderen tut. Wenn ich meinen blauen Trinkbecher in die Hand nehme, tue ich nichts als das.“ Einen Schneeleoparden hat Peter Matthiessen auf seiner Reise nie gesehen. Es reichte ihm, die Anwesenheit des geheimnisvollen und in vielen Kulturen verehrten Tieres immer wieder zu spüren und sich von ihm beobachtet zu fühlen.

Georg Patzer

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