Thomas Metzinger

Der Elefant und die Blinden

Auf dem Weg zu einer Kultur der Bewusstheit. Mit mehr als 500 Erfahrungsberichten über das reine Bewusstsein

Heft: 02 | 2024 Krieg und Frieden
Verlag:Berlin Verlag
Ort:Berlin
Jahr:2023
ISBN:978-3-8270-1487-0
Preis:48 Euro
Seiten:960
Gebunden

Rezension

Wer seine Erfahrungen mit der eigenen Meditationspraxis für eine wissenschaftliche Studie spenden möchte, kann die Netzadresse mpe-project.info anklicken, gelangt in zwei Schritten zu einem Online-Formular, in dem sich 92 Fragen beantworten lassen.

Die Online-Studie definiert den Goldstandard für Meditationsforschende. Betreut wird sie von Thomas Metzinger. Als Bewusstseinsphilosoph hat er vor vier Jahren ein Forschungsnetzwerk gegründet, das sich vornehmlich dafür interessiert, „reines Bewusstsein“ wissenschaftlich zu fassen. Weil das aber unfassbar schwer ist, suchen Metzinger und seine Kolleginnen und Kollegen nach Erfahrungen, in denen etwas von dieser Reinheit spürbar wird. Und sie suchen nach Menschen, die von der Erfahrung dieser Reinheit berichten können.

Mit „Der Elefant und die Blinden“ hat Thomas Metzinger jetzt ein fulminantes Buch geschrieben, in dem er die ersten Ergebnisse der Online-Studie zusammenfasst. Ausgewertet hat er dafür knapp 1 200 Berichte von Teilnehmerinnen und Teilneh- mern aus 57 Ländern. Aus einem halben Tausend hat er Fragmente herausgelöst und nach 33 Stichworten geordnet. Das Ergebnis ist eine beeindruckende Enzyklopädie der Meditationserfahrung. Es geht los mit „Entspannung“, „Frieden“, „Stille“, „Wachheit“. Mittendrin geht es weiter mit „Verbundenheit“, „Nach Hause kommen“, „Leerheit und Fülle“. Und es endet mit Abschnitten über „Reines Gewahrsein“ und „Zeitlose Kontinuität“.

Jedem Meditierenden hört der Autor aufmerksam zu. Und immer dann, wenn es in den sehr unterschiedlichen Berichten sehr verschiedener Menschen zu auffälligen Überschneidungen kommt, arbeitet er sich analytisch in die Tiefe vor. Abschnitt für Abschnitt wird da von Thomas Metzinger ein wahres Feuerwerk an Ideen, Verknüpfungen und neuen Interpretationen gezündet. Man darf staunen und sich, mit Blick auf die eigene Praxis, gespiegelt, belehrt und inspiriert fühlen.

„Wie immer geht es mir dabei nicht um Metaphysik“, schwört der Philosoph. Deshalb gibt es hier keine religiösen Spekulationen. Es gibt keine Hinweise auf Transzendenz oder übernatürliche Erfahrungen. Schon gar nicht will Metzinger selbst ins Raunen und Schwurbeln geraten. Er fordert „intellektuelle Redlichkeit“. Und wer lernen will, wie sich die realisieren lässt, wenn es um eine Praxis geht, die selten mit Intellektualität in Verbindung gebracht wird, bekommt es hier vorgeführt.

Dass man sich als Meditierende und Meditierender selbst auf diese Redlichkeit verpflichten kann, ist eine der zahllosen Pointen, die in diesem Buch mitgeliefert werden. Wer es liest, kann sich in der eigenen Praxis als jemand ausprobieren, der auf dem Kissen sitzend ein viel größeres Forschungsprojekt realisiert. Es ist ein Experiment in Selbstlosigkeit, das einen Beitrag für eine zukünftige „Bewusstseinskultur“ leistet, die es möglich macht, angesichts der drohenden Megakrisen mit klarem Bewusstsein handlungsfähig zu bleiben.

Stephan Porombka

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