Sara Maitland

Das Buch der Stille

Über die Freuden und die Macht von Stille

Heft: 03 | 2017 Wer bin ich?
Verlag:edition steinrich
Ort:Berlin
Jahr:2017
ISBN:978-3-942085-57-1
Preis:24,90 €
Seiten:400
Hardcover

Rezension

Sara Maitland, britische Autorin, nimmt uns mit auf die Reise zu einer selten gewordenen, wenn nicht gar vom Aussterben bedrohten „Spezies“: die Stille. Und so finden wir Maitland zu Beginn ihres Buches auf der Schwelle ihres Hauses sitzend mit der außergewöhnlichen Aussicht auf – Nichts. Meilenweit fällt ihr Blick in die Weite einer stillen Landschaft, die ihr Zuhause geworden ist. Genau dieses „immense Nichts“ zieht sie in seinen Bann. Sie lauscht seinen „stillen Melodien und Rhythmen“, während sie immer weiter damit experimentiert, wie sie ihren Alltag so gestalten kann, dass ihr Leben möglichst viel Stille enthält: um der Stille zu lauschen, den Wolken nachzuschauen, um zu beten, zu meditieren. Stille zu leben. Dieses Haus, das sie sich im Laufe ihrer Suche erträumt und schließlich tatsächlich gefunden hat, ist zum Refugium für ihr Leben in Stille geworden. Hier kann ihre Suche, die eigentlich immer erst anfängt, weitergehen.

Mutig wagt sich Sara Maitland in die extreme Abgeschiedenheit kaum besiedelter Inseln, der Wüste und letzter Urwälder vor, um die Stille dort auszuloten. Dabei wird deutlich, dass sie sich auf ein Abenteuer einlässt, das seine ganz eigenen „Freuden und Schrecken“ birgt. Erfahrungen wie die Intensivierung von Körperempfindungen und Emotionen, akustische Halluzinationen, die Aufhebung bestimmter Hemmungen wie der Grenzen zwischen Innen und Außen, Unaussprechlichkeit und tiefe Glückseligkeit haben ihre eigenen Gefahren. Erfahrungen, wie Menschen in sämtlichen Kulturen und Jahrhunderten sie gemacht haben, wenn sie die Stille suchten oder diese ihnen aufgezwungen wurde: Wüstenmönche und Polarforscherinnen, gestrandete Seefahrer und Weltumseglerinnen, Mystikerinnen und Kirchenväter, Strafgefangene, Romantiker und Hippies. Menschliche Erfahrungen mit Stille sind offensichtlich zwischen zwei extremen Polen angesiedelt: Wahn und Erleuchtung, ein Zusammenbrechen der psychischen Strukturen, die ein gesundes Ich tragen, oder dessen Reifung zu Weisheit und tiefem inneren Frieden in Verbundenheit mit der Welt.

Dieses Buch lebt also nicht nur von den Erfahrungen der Autorin, sondern ist durch die kunstvolle Verflechtung mit den Erlebnissen vieler anderer Menschen, die wie sie die Stille suchten, und den Beschreibungen von Stille in Märchen, Mythologien und religiösen Schriften zugleich eine Kulturgeschichte der Stille mit einem großen Reichtum an schillernden Bezügen und spannenden Zeugnissen.

Im letzten Kapitel finden wir Sara wie am Anfang ihres Buches mit Aussicht auf das „immense Nichts“ auf der Schwelle ihres Hauses sitzend. Inzwischen ist Stille „zum Instrument wie zum Inhalt“ ihres Lebens geworden. Die Autorin weiß jetzt, dass bei dieser Suche „Schrecken und Risiko Hand in Hand mit Schönheit gehen“. Für sie persönlich gehört dazu die bange Frage, welche Folgen die Stille für ihre kreative Arbeit als Autorin hat. Wird ihre Wortkunst, die bislang Saras Lebensinhalt wie Identität ausmachte, durch den Sog der Stille versiegen – oder durch diese bereichert werden?

Und sie will genau das, was die Stille in ihr Leben bringt. Will nach jungen Füchsen Ausschau halten und nach den ersten Schwalben, möchte nachts draußen sitzen und die Sterne zählen. Will die Stille an sich arbeiten lassen und sich immer neuen Fragen stellen, die sich nur in Stille beantworten lassen. „Der Rest“, so hofft sie am Ende ihres Buches, „ist Stille“.

Ich aber als ihre begeisterte Leserin wünsche mir, dass Sara Maitland nicht verstummt, sondern für Das Buch der Stille eine Fortsetzung schreibt über ihre endlose Reise zum Geheimnis der Stille, das sich uns niemals ganz erschließen wird.

Karin Petersen

Alle Bücher