Achtsamkeit verstehen und leben
Über den Ursprung und die Praxis
Heft: | 02 | 2023 Buddhismus im Westen |
Verlag: | Vandenhoeck & Ruprecht Verlag |
Ort: | Göttingen |
Jahr: | 2022 |
ISBN: | 978-3-525-40543-7 |
Preis: | 25 € |
Seiten: | 254 |
kartoniert | |
Rezension
An Literatur zum Thema Achtsamkeit mangelt es wahrhaftig nicht. Viele Titel versprechen maximale Fortschritte bei minimalem Aufwand oder propagieren eine funktionalistische Perspektive auf Achtsamkeit als Mittel für ein erfolgreiches, stressfreies, gesundes Leben. Das Buch des Göttinger Psychotherapeuten und Zen-Lehrers Shosan Gerald Weischede Roshi unterscheidet sich davon wohltuend: Er führt seine Leserinnen und Leser zu den buddhistischen Wurzeln der Achtsamkeit, die er kenntnisreich und mit großer Tiefenschärfe beschreibt. Achtsamkeit ist für ihn ein lebenslanger persönlicher Praxisweg und Transformationsprozess des gesamten Menschen, ausgerichtet auf das Erwachen in den gegenwärtigen Augenblick.
Zunächst beschreibt Gerald Weischede aus verschiedenen buddhistischen Perspektiven, was der Gegenwartsmoment eigentlich ist, zum Beispiel ein höchst komplexes Arrangement verschiedener Sinneseindrücke und geistiger Aktivitäten. Die Leserinnen und Leser werden ermuntert, genau hinzuschauen, wie sie an der Herstellung „ihres“ Moments beteiligt sind: Mit welchen Empfindungen, Impulsen oder Gedanken ist er assoziiert? Wann beginnt der erste Kontakt mit einem Wahrnehmungsobjekt und wann ist er beendet? Ein schwieriger, sehr ins Detail gehender Prozess, der höchste Konzentration voraussetzt.
Daran schließen sich Kapitel über die Achtsamkeitspraxis in Bezug zum Körper, zu den Gefühlen, den Geistesinhalten und zum Geist an. Dabei fordert Gerald Weischede immer wieder dazu auf, eigene Selbst- und Weltkonzepte zu hinterfragen und Vorannahmen durch eine Praxis des „reinen Beobachtens“ zu ersetzen: Dies ermöglicht eine Form von Erkenntnis, bei der „die Welt auf den Beobachter zutreten und sich offenbaren kann“, und ist Grundlage für situationsadäquates Handeln.
Der im Titel zum Ausdruck kommende Spagat zwischen „Verständnis“ und „Lebenspraxis“ ist dem Buch sehr gut gelungen: Auf der Theorieebene erklärt der Autor die wesentlichen buddhistischen Konzepte der Achtsamkeit, auf der Praxisebene gibt er viele Impulse für Achtsamkeitsübungen und schärft den Blick für eigene Muster. Insgesamt dürfte das Buch sowohl Anfängerinnen und Anfänger als auch Leserinnen und Leser ansprechen, die bereits über grundlegende Praxiserfahrungen verfügen.
Michael Mutz