Mich berühren Menschen, die ihren Glauben authentisch leben

Ein Interview mit André Konarske geführt von Susanne Billig veröffentlicht in der Ausgabe 2016/4 gut leben unter der Rubrik Im Gespräch.

Interview mit André Konarske über die Realisierung seines Dokumentarfilms „Ein Land singt: Om mani padme hum“

Lachender Khen Rinpoche, Protagonist des Films (© André Konarske)

Der Dokumentarfilm „Ein Land singt: Om mani padme hum“ des Regisseurs André Konarske porträtiert den Lebensweg des buddhistischen Lehrers Khen Rinpoche Geshe Pema Samten, der in Tibet und Deutschland lebt und lehrt. Die filmische Biografie zeigt die Hingabe und den tiefen buddhistischen Glauben der Menschen in Tibet, nimmt Zuschauerinnen und Zuschauer mit auf die Reise ins indische Exil und ist gleichzeitig auch die Geschichte einer Brücke zwischen Tibet und Deutschland. Susanne Billig wirft mit dem Regisseur einen Blick hinter die Kulissen des Films, denn: Bis aus einer Idee ein fertiger Kinofilm wird, ist ein langer ein steiniger Weg zurückzulegen.

Susanne Billig: Wie hast du Khen Rinpoche Geshe Pema Samten kennengelernt – und wie entstand daraus der Impuls, diesen Dokumentarfilm zu realisieren?

André Konarske: Auf diese Frage kann ich nur persönlich antworten. Ich habe Khen Rinpoche Geshe Pema Samten im Januar 2003 in Semkye Ling in der Lüneburger Heide getroffen, als ich eine längere Klausur machte und mein damaliger Lehrer Geshe Thubten Ngawang plötzlich verstorben war. Es waren sehr bewegende, einschneidende Momente. Mit meiner ersten Reise 2004 nach Tibet konnte ich mir dann ein genaueres Bild von Khen Rinpoche machen und seine Authentizität und sein Verhalten beeindruckten mich. Christoph Hellmann, Frank Dick und ich realisierten dann unseren ersten Film, der sich auf Projekte des Tashi Dargye Vereins* bezog. (* Einem Förderverein für die Region Dargye im Osten Tibets, die zu den schönsten und ärmsten Gebieten des Landes gehört)
Über die Jahre bin ich immer wieder vor Ort gewesen und es stellte sich für mich ein zweites „Heimatgefühl“ ein, das eng verbunden war mit der Persönlichkeit Khen Rinpoche Geshe Pema Samtens. Es entstand in mir der Wunsch ein Film über ihn zu machen, aber dafür brauchte es ein vertrauensvolles Team. Pia Busse, eine Freundin und langjährige Kollegin mit der ich schon viele Produktionen im Ausland auch unter schwierigen Bedingungen realisiert hatte, fragte ich dann Ende 2013 ob sie sich so ein Projekt vorstellen könne. Sie fand die Idee super und das Team drumherum bildete sich und die Arbeit konnte beginnen.

Ihr habt dann natürlich den Film finanzieren müssen, denn solche Dreharbeiten sind aufwendig und teuer – wie ging das vor sich, wie habt ihr das Geld zusammenbekommen?

Für die Finanzierung haben wir die Plattform Startnext gewählt, die bei erfolgreichem Eingang der Summe prozentual am meisten auszahlt. 25000 Euro waren anvisiertes Ziel. Wir haben alle Kontakte angeschrieben und der Reiz zur Spende wurde mit Geschenken wie einer DVD, Essen mit Khen Rinpoche, Teilnahme an der Premiere und so weiter erhöht. Das war ziemlich spannend. Erst drei Tage vor Ablauf der Frist hatten wir die Summe erreicht. Trotz dieser scheinbar großen Summe haben alle Mitwirkenden viel ehrenamtlich oder zumindest zu einem sehr günstigen Kurs gearbeitet, sonst wäre eine Realisation in dieser professionellen Form nicht möglich gewesen. (Man kann sich den gesamten Verlauf der Finanzierung hier immer noch anschauen)

Reiterfest in Tibet (© André Konarske)

Der Film beginnt mit dem Thema Armut und harte Arbeit der tibetischen Landbevölkerung. Ihr begleitet die Veränderungen in der Region schon seit dem Jahr 2004 regelmäßig mit der Kamera. Wie erlebt ihr die wirtschaftliche und soziale Lage vor Ort?

Das Thema Armut und harte Arbeit ist aus den Erzählungen der Tibeter nach 1960 wirklich sehr, sehr wichtig gewesen. Es war damals eine harte Zeit. Die Umstände haben sich meiner Meinung nach heute verbessert. Wirtschaftlich geht es den Tibetern sicher noch nicht gut, aber dadurch, dass die Chinesen neue Straßen gebaut und alte Straßen ausgebessert haben, entstehen neue Möglichkeiten. 2004 war es wirklich ein Abenteuer mit dem Auto von Chengdu in diese Region zu gelangen. Heute ist es nur noch die Fahrweise der Fahrer, die ein gewisses Risiko birgt.
Seit meiner ersten Reise habe ich hauptsächlich tiefe Dankbarkeit der Menschen in Tibet erlebt. Hoffnung, die sich unter den Tibetern bildete, weil es auf einmal Menschen gab, die sich für sie interessierten und ihnen halfen und vor allem auch jetzt noch helfen. Pragmatische Hilfe für die Menschen in der Region ist meiner Ansicht sehr wichtig, weil sie vielschichtig wirkt. Bildung, die Förderung Studierender und der Aufbau buddhistischer Klöster haben für Zuversicht in der Bevölkerung gesorgt. Die Menschen dort sind sehr dankbar für die Arbeit des Tashi Dargye Vereins, der 2003 von Khen Rinpoche und Freunden gegründet wurde. Er versteht seine Aufgabe besonders darin, zur Selbsthilfe anzuregen, damit die Menschen in Dargye ihre Zukunft in die eigene Hand nehmen können. Ziel ist es, Lebensbedingungen zu verbessern und die kulturellen und religiösen Werte dieser Region zu bewahren.

Khen Rinpoche Geshe Pema Samten spricht in dem Film über die „Reize des modernen Lebens“, die das Leben in Tibet stark verändert hätten. Konntet ihr das auch beobachten?
 
Ich konnte beobachten, dass Handys und materieller Wohlstand auf jeden Fall bei der heutigen Jugend sehr beliebt sind, aber das ist hier ja nichts anderes. In das Kloster zu gehen, Mönch oder Nonne zu werden, dafür entscheiden sich heutzutage nur sehr wenige Menschen, aber diejenigen die diesen Weg einschlagen, haben heute definitiv mehr Chancen, buddhistisch tiefgehender geschult zu werden als noch vor 20 Jahren, als es keine Lehrer in dieser Region gab.
Traditionell haben Tibeter einen starken familiären Zusammenhalt, der auch heute noch gelebt wird, aber ob es innerhalb der Familie Generationskonflikte gibt,m bei denen es um diese Themen geht, bleibt uns westlichen Beobachterinnen und Beobachtern verborgen.

Der Film hat einen sehr ruhigen Rhythmus, er ist zu weiten Teilen eine Einfühlung in die Hingabe und den tiefen buddhistischen Glauben der Menschen in Tibet. Kannst du einmal erzählen, was dich in dieser Hinsicht am meisten beeindruckt hat?

Mich berühren Menschen, die ihren Glauben authentisch leben. Sie inspirieren mich und geben mir ein Gefühl dafür, wohin die buddhistische Reise gehen kann. Im Film erlebt man Menschen und Situationen, die ein Gefühl dieser Authentizität vermitteln. Die Tibeter praktizieren aus einem tiefen Glauben heraus und mit sehr viel Vertrauen – davon versucht unser Film einen Geschmack zu vermitteln. Khen Rinpoche Geshe Pema Samten ist jemand, der Weisheit und Mitgefühl in tiefe Erfahrung gebracht hat. In Tibet wirkt er sehr geschickt und im Westen hat er sehr viel Geduld mit uns allen. Er sagt immer zu uns: „Wichtig ist es, das theoretische Wissen ins Herz zu bringen.“ 

Könntest du ein bisschen was zur Produktionsseite dieses Films erzählen? Wie lange haben eure Dreharbeiten gedauert, mir welcher Technik seid ihr unterwegs gewesen, wie lief die Postproduktion?

Als Pia, Tom, Chongalhamo, Myriam und ich* (* mehr zum Team siehe unten) im Juni 2014 unsere fünfwöchige Reise nach Tibet angetreten haben, hatten wir das Ziel vor Augen, diesen Film zu machen, aber wir waren noch ohne eine reale Finanzierung. Wir haben über 20 Interviews gemacht, viele situative Aufnahmen eingefangen und haben bestimmte Themen realisiert, die wir uns vorher überlegt hatten. Gedreht haben wir mit einer EOS 5D Mark 2, einem Fotoapparat, mit dem man Filme in einem sehr hochwertigen Look erstellen kann und dabei auch gleichzeitig unauffällig unterwegs ist.
Tom, der Komponist, hat parallel Gesänge von Mönchen, Nonnen und Menschen aufgenommen, die für uns traditionelle Lieder gesungen haben. Pia hat dann auf der Drehreise erfahren, dass sie schwanger ist…

Eine freudige Nachricht, die aber bestimmt eines an euren Plänen verändert hat, oder?

Auf jeden Fall! Als wir zurück waren, hat sich Pia sofort das Crowdfundig-Projekt vorgenommen und wir hatten dann am 30.11.2015 dank vieler Spender 26440 Euro zusammen, die dann von Pia in einen Finanzierungsplan eingepflegt wurden. Finanziert wurde damit die Arbeit von Pia, Hermann, Tom, dem Englisch-Übersetzer und der Chinesisch-Übersetzerin. Für Chongalhamos und mich wurden die Flüge nach Indien und Taiwan finanziert. Diese beiden Reisen standen dann als nächstes auf der Agenda, so dass wir uns über Weihnachten 2014 fünf Tage in Taiwan und zwei Wochen in Indien wiederfanden. Das Team war geschrumpft. Pia konnte nicht mehr fliegen, so dass Chongalhamo, Myriam und ich die Reise antraten.

Was habt ihr in Taiwan gedreht?


Dort haben wir drei Tage mit Khen Rinpoches Lehrer, Khensur Geshe Losang Palden Interviews geführt und in Indien waren wir im großen Sera Kloster und im Gyume Tantra Kolleg, um Khen Rinpoche Geshe Pema Samtens Lebensweg zu dokumentieren.  Dafür haben wir viele Interviews geführt und Reenactment Szenen gedreht…

… Reenactment heißt?


Wir haben Situationen nachgespielt, um wichtige Stationen seines Lebens zu veranschaulichen. Zurück in Deutschland wollten wir dann eigentlich mit der Postproduktion anfangen. Pia sollte Redaktion, Christoph Schnitt, Tom den Ton und ich begleitend thematisch unterstützend tätig werden. Christoph hatte jedoch noch eine Produktion, die sich noch über drei Monate hinzog, und dann zeichnete sich ein Krankheitsverlauf ab, der es ihm unmöglich machte den Film zu schneiden. Pia arbeitete textlich alleine vor und bekam dann im April ihr Kind und die Postproduktion stand auf der Kippe.

Das heißt, das Projekt war nach all der Mühe tatsächlich ernsthaft gefährdet?

Nun, ich habe mich daraufhin hingesetzt und Rohschnitt, Text und Redaktion des Films alleine realisiert. Tom hat parallel die Musik komponiert. Da noch viele Szenen fehlten und sich auch abzeichnete, dass wir den angepeilten Produktionszeitrahmen von einem Jahr in der Crowd nicht einhalten konnten, mussten wir ein Jahr dranhängen. Myriam, Chonghalhamo und ich sind Sommer 2015 noch einmal vier Wochen nach Tibet gereist um die letzten fehlenden Aufnahmen zu realisieren. Zurück in Deutschland habe ich dann weiter am Film gearbeitet und Hermann für unser Projekt gewinnen können. Das Geld für Christoph war ja noch übrig, so dass wir gemeinsam in Kiel am Feinschnitt gearbeitet haben und dann folgten Tonschnitt und Farbkorrektur. Summa Summarum fiel sehr viel mehr Arbeit an als gedacht.

Aber am 22. April 2016 hatte der Film glücklich Premiere.


Und mir fiel mir ein großer Stein vom Herzen! Unsere größten Herausforderungen waren sicherlich die Krankheit von Christoph und das freudige Ereignis der Geburt von Nil mit dem einhergehenden Ausfall von Pia. Dadurch, dass ich dann federführend tätig wurde, gab es auch Enttäuschungen, aber unsere Freundschaft hat diese Herausforderungen bestanden.

Khen Rinpoche Geshe Pema Samten engagiert sich stark für die Bildung von Frauen in Tibet und im tibetischen Buddhismus – ist er da eine Ausnahme?

Durch meine Arbeit mit S.H. dem Gyalwa Drukpa weiß ich, dass er die Entwicklung der Nonnen auch in besonderer Weise fördert. Ob dies andere Lamas in der Region Tibet machen, kann ich nicht sagen. Es gibt ja neu eingeführte Rechte der Frauen, wozu auch schulische Förderungen und Stipendien für Studien gehören – ich persönlich habe das Gefühl, dass viele Frauen diese Möglichkeiten mit Begeisterung nutzen.

Es gibt in dem Film eine spannende Szene, in der es um eine Messerstecherei geht und der buddhistische Lehrer als Schlichter und Mediator auftritt. Wie kam es dazu, dass ihr das drehen und dabei sein konntet?

Solche Einblicke sind nur Tibetern vergönnt. Dawa Gyalten, ein befreundeter tibetischer Kameramann hat diese Bilder drehen können.

Am Ende des Films formuliert Khen Rinpoche Geshe Puma Samten sehr schöne, große Visionen, welche Projekte sich in Deutschland auf die Beine stellen ließen. Mir hat sich da die Frage gestellt: Wie ist so etwas zu finanzieren, wie will er das tatsächlich möglich machen?

Na ja, es sind Visionen und Wünsche. Ich kann mir schon vorstellen, dass dies eines Tages Realität wird. Es gibt manchmal auch Sponsoren, die auch größere Summen spenden können, wie zum Beispiel für die Projekte von Sogyal Rinpoche oder auch für die Vision von Lama Yeshe mit der Maitreya Statue*. (* Dabei geht es um den Bau einer riesigen  von Maitreya-Statue von rund 152,4 Metern im indischen Bodhgaya)

Nach all den Mühen, die du geschildert hast – was ist dein Gefühl am Ende dieses Films?

Ich möchte noch einmal mein Dank Khen Rinpoche Geshe Pema Samten gegenüber ausdrücken – für das Vertrauen, dass er uns mit der Realisierung dieses Films entgegengebracht hat. Ein ungeschicktes Vorgehen von uns hätte für ihn vieles riskieren können.

Vielen Dank für das Gespräch!

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Das Team des Films