Meine Quelle ist das Bodhisattva-Gelöbnis

Ein Interview mit Gunnar Gantzhorn geführt von Susanne Billig veröffentlicht in der Ausgabe 2016/2 Hoffnung und Furcht unter der Rubrik Im Gespräch.

In diesem Interview mit Ursula Richard, Chefredakteurin von BUDDHISMUS aktuell, erläutert der Vorsitzende und Ratssprecher der Deutschen Buddhistischen Union, Gunnar Gantzhorn, seine Motivation, sich buddhistisch zu engagieren. Dabei unterstreicht er, dass sich seine Hoffnungen nicht allein auf Buddhistinnen und Buddhisten richten, sondern auf alle spirituell Praktizierenden. „Es werden überall Menschen gebraucht, die in ihren Gemeinschaften helfen, eine Kultur der Aufrichtigkeit, Nächstenliebe und liebevollen Güte zu allen Wesen voranzubringen“, betont der DBU-Ratsvorsitzende.

© Werner Steiner

Buddhismus aktuell: Du bist seit 2011 im Rat und seit 2012 im Vorstand und erster Vorsitzender der Deutschen Buddhistischen Union. Worin findest Du die Kraftquellen für deine Arbeit in der DBU?

Gunnar Gantzhorn: Das Bodhisattva-Gelöbnis ist für mich die Hauptquelle und meine spirituelle Ressource. Ich rezitiere es jeden Tag, so oft ich kann. Ich halte die Arbeit in der DBU auch deshalb für so wichtig, weil es hier um die tiefe Erfahrung geht, sich mit sich selbst und mit der Welt in Kontakt zu bringen. Wenn wir in die Welt schauen, sehen wir doch: Überall fehlen Menschen, die einigermaßen klar denken können und bereit sind, sich für andere einzusetzen.

BA: Du könntest dich auch in der Politik engagieren. Warum die DBU?

GG: Weil ich es für wichtig halte, zunächst einmal eine Hürde zu nehmen, die der Buddhismus anspricht und thematisiert – aufrichtig mit sich selbst umzugehen und sich dem Schmerz zu stellen, den man erlebt, wenn man in die Welt blickt und all das Grauen sieht, das dort passiert. Zum anderen geht es aber auch darum, über Lippenbekenntnisse hinauszugehen, denn an Lippenbekenntnissen in alle Richtungen mangelt es in unserer Welt nicht. Ich setze meine Hoffnungen allerdings nicht allein in die Buddhistinnen und Buddhisten, sondern in alle spirituell Praktizierenden: dass sie in ihren Gemeinschaften helfen, eine Kultur der Aufrichtigkeit, Nächstenliebe und liebevollen Güte zu allen Wesen voranzubringen. Das ist es, was die Welt braucht. Ich hoffe, dass wir auch in der DBU einen Beitrag dazu leisten können. 

Was können wir tun?

BA: Offen sein für das Leid in der Welt – wie geht das, ohne von all dem Leid überwältigt zu werden?

GG: Das ist vielleicht etwas, womit ich natürlicherweise ausgestattet bin – mit Zuversicht. Ich bin mir meiner unglaublich beschränkten Mittel bewusst, aber das frustriert mich nicht. Denn mir ist klar, dass es sich hier um ein existenzielles Dilemma handelt. Wir sind beschränkt – was können wir tun? 

BA: Und was können wir tun? 

GG: Man kann zum Beispiel Vegetarier werden. Das bin ich, und meine Frau und ich sind jetzt auch auf dem Weg, vegan zu leben. Aber nicht weil wir denken, damit könne man die Welt retten. Denn eine Grundtatsache bleibt, dass wir leben, weil wir das Leben anderer Lebewesen nehmen. Dem müssen wir uns stellen, und trotzdem verändert es an vielen Stellen den Umgang mit der Welt, wenn ich begreife, dass ich nicht der einzige bin, der hier ein Recht zu leben hat. Selbst wenn ich formend eingreife – wir gestalten gerade unseren Garten um –, kann ich das auf unterschiedliche Weise tun. Ich kann einen Garten gestalten, der das Umfeld für andere Lebewesen zur Wüste macht. Oder ich kann sagen: Das ist ein wirklich schönes Habitat für unzählige Wesen. Das kann ich auch zu meiner ästhetischen Prämisse machen. 

BA: Solche Handlungen wirken dann positiv zurück in die Welt? 

GG: Genau! Darum müssen wir unsere kleinen Schritte auch sichtbar machen. Ich wohne zum Beispiel in einem kleinen Dorf in Unterfranken mit knapp tausend Einwohnern, wo jeder meint, nicht ohne Auto auskommen zu können. Wir haben kein Auto. Das nehmen unsere Nachbarn auch wahr, und es ergeben sich daraus teilweise sehr fruchtbare Gespräche, denn die Nachbarn fragen sich natürlich: „Wir finden unser Auto unverzichtbar, wie kriegen die das ohne Auto hin?“ Oder auch: „In unserem Garten, wo wir immer alles kurzschneiden oder Gift spritzen, blüht so wenig. Und bei ihnen ist alles voller Blüten.“ Oder: „Warum kaufen sie im Supermarkt Produkte, die mehr kosten, aber aus der Region stammen?“ Ich glaube, wenn wir authentisch Dinge anders machen, werden viele Menschen auch Anknüpfungspunkte finden, und irgendwann fragen sie: „Was ist eigentlich deine innere Antriebskraft? Warum machst du das so?“ 

BA: Trotzdem landet man da schnell auch bei politischen Fragen. Auf dem Land haben heute viele Menschen Autos, weil es keine öffentlichen Verkehrsmittel mehr gibt. 

GG: Das stimmt natürlich. Früher gab es auch einen Arzt, Schulen, Bildungseinrichtungen in den Dörfern. Kein Mensch musste dreißig Kilometer in die nächste Industriestadt fahren, um überhaupt leben zu können. Dieser Stress, den wir heute durch das viele Pendeln haben, hat Rückwirkungen auf Gewalt in der Familie, Gewalt gegenüber der Umwelt – das ist offensichtlich und hier muss man auch gemeinsam Stellung beziehen. 

BA: Stattdessen sieht man überall individuelle Lösungsvorschläge. Auch die Meditation gehört ja mittlerweile dazu – Entspannung, Stressbewältigung, Wohlfühlen, alles auf individueller Ebene. 

GG: Ich glaube, viele Menschen haben eine falsche Vorstellung davon, was politisches Engagement bedeutet. Dort, wo ich persönlich lebe, auf kommunaler Ebene, macht es viel Sinn, über Lebenshaltungen zu reden und über Themen wie Wahrhaftigkeit: Setze ich mich wirklich für andere Menschen ein? Solche Gespräche wirken sich lokal aus, und es ist unsere Verantwortung, uns genau dort, zum Beispiel in einem Gemeinderat oder in Vereinen, einzubringen und unsere Überzeugungen zu leben. 

Dialog nach innen und nach außen

BA: Sollte der Buddhismus heute in erster Linie mit der Gesellschaft sprechen? Oder findest du es im Moment wichtiger, dass Buddhistinnen und Buddhisten miteinander sprechen und dabei vielleicht auch mehr Neugierde aufeinander entwickeln? 

GG: Das lässt sich nicht gegeneinander aufwiegen. Der innerbuddhistische Dialog ist sehr wichtig, denn bei aller Verwurzelung in der eigenen Tradition sollten wir doch auch in der Lage sein, aus einer Vogelperspektive über alle buddhistischen Strömungen zu schauen, sie zu verstehen und einzuordnen. Was ist denn die Lehrmeinung einer Schule zu diesem oder jenem Aspekt der Lehre und warum weist die Schulrichtung, an der ich mich orientiere, diese andere Lehrmeinung vielleicht zurück? Solche profunden Kenntnisse und ein solches Verständnis sind überaus wichtig, und möglicherweise haben wir diese Rezeptionsstufe auch noch lange nicht erreicht. 

BA: Hat das nicht auch mit der Lebensrealität der meisten Menschen zu tun, die sich hier im Westen mit dem Buddhismus befassen? Sie müssen viel arbeiten, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen – da reicht die Zeit vielleicht gerade einmal für die tägliche Meditation. 

GG: Es ist ein Merkmal unserer heutigen Gesellschaft, dass das gesamte Leben hier überformt wird von Stundenplänen. Zeit zum Reflektieren kommt darin so gut wie nicht mehr vor. Da fällt mir gerade mein Garten ein, in dem ich gerne Zeit verbringe. Dort erlebe ich: Der Umgang mit der Natur erfordert eine gewisse Gelassenheit und auch eine Neugier, um tatsächlich Beobachtungen machen zu können. Neugier ist für mich sehr wichtig und vielleicht bin ich damit auch besonders ausgestattet; ein Tag, an dem ich nicht hundert Dinge dazulerne, ist für mich kein guter Tag. Erst wenn Zeit und Neugier zusammenkommen, lassen sich auch präzise Beobachtungen machen, die von ihrer Tiefe her den meisten Menschen kaum noch zugänglich sind. Diese innere Ruhe zu finden und seine Tage auch entsprechend umzugestalten ist ein wesentlicher Beitrag der buddhistischen Perspektive. Dann können wir aufzeigen, warum es sich gar nicht lohnt, den ganzen Tag einem übervollen Stundenplan hinterherzurennen. 

BA: Aber brauche ich dazu ein Studium und „profunde Kenntnisse“? 

GG: Ich glaube schon, dass das hilft, Dinge zu hinterfragen und, um der Präzision der Argumente willen, auch mal eine deutliche Position zu vertreten. Daher rührt ja auch die Debattenkultur, die es im Buddhismus seit Langem gibt. In der traditionellen buddhistischen Debatte müssen Schüler lernen, Standpunkte der anderen Schulrichtungen zu vertreten, sie zu verteidigen und den anderen Debattenteilnehmer, wenn möglich, sogar mit den besseren Argumenten zu schlagen. Diese Schulung hilft auch dabei, nicht übermäßig am eigenen Standpunkt festzuhalten. Schließlich weiß ich aus der Erfahrung dieser Schulung, dass ich vielleicht schon morgen den genau entgegengesetzten Standpunkt einnehmen kann, und wenn ich gut bin, kann ich den sogar mit guten Argumenten untermauern. Aufgrund der heutigen Mediengesellschaft sind viele Menschen gar nicht mehr in der Lage, sich inhaltlich zur Wehr zu setzen, weil bestimmte Standpunkte in dieser Gesellschaft mit einer Vehemenz vertreten werden, dass man sich schlichtweg überwältigt fühlt. 

BA: Also eine Art „mehrperspektivisches Denken“ – doch muss das im Buddhismus nicht auch erst einmal kultiviert werden? Schließlich sind viele immer noch der Meinung, ihre Gruppe oder ihre Richtung vertrete die alleinige Wahrheit … 

GG: Sicherlich. Doch wenn ich von den DBU-Mitgliedern erwarte, dass sie ihre eigene Tradition und deren Geschichte reflektieren, werden sie von allein vieles merken. Zum Beispiel, an welchen Punkten sich ihre Tradition von anderen tatsächlich unterscheidet, aber eben auch, wo es große Ähnlichkeiten gibt – vielleicht weil zwei Schulrichtungen vor gar nicht so langer Zeit noch Schwesternvereinigungen waren. 

Religiöse Mehrsprachigkeit und abendländisches Erbe

BA: Was denkst du in diesem Zusammenhang über das Thema der „religiösen Mehrsprachigkeit“? Ich kenne einen evangelischen Pfarrer, der auch Zen-Meister ist. Für ihn sind das Christliche und das Buddhistische zwei unterschiedliche Sprachen, zwischen denen er sich, wie er sagt, hin und her bewegt. Für ihn mag das funktionieren, doch könnte es nicht passieren, dass wir bei so viel Mehrsprachigkeit, die uns heute nicht zuletzt durch die Globalisierung möglich ist, keine Sprache mehr richtig lernen? Dann verstehen wir weder unsere eigene Kultur, noch werden wir mit dem Buddhismus wirklich vertraut? 

GG: Darum ist es, wie ich oft betone, völlig verfrüht, von einem „westlichen Buddhismus“ zu sprechen. Denn wir wissen nicht einmal, womit wir uns da eigentlich beschäftigen! Wir haben bisher nur an der Spitze des Eisbergs gekratzt. In diesem Zusammenhang erinnere ich mich an ein Erlebnis, das mich sehr beeindruckt hat: Ein Mitglied der buddhistischen Gemeinschaft, der ich mich seit dreißig Jahren verbunden fühle, begab sich, bereits vor dreißig Jahren, zu einem Dreijahres-Retreat. Er ist bis heute nicht zurückgekehrt. Ein einziges Mal war er zur Beerdigung seines Vater wieder hier. Zufällig habe ich ihn damals getroffen, und ich war unglaublich fasziniert, wie er sich verändert hatte. Seine Ausstrahlung hat mich beeindruckt. Das hat er über sein Wesen kommuniziert, gesprochen hat er nicht viel. 

BA: Ein solcher Mensch muss sich sicher auch mit der Frage befassen, in welcher Sprache er seine Erfahrung und Haltung mitteilt. 

GG: Und ich bin mir nicht sicher, ob er dazu in jedem Fall als Erstes auf einen indischen Philosophen des 6. Jahrhunderts zurückgreifen wird oder nicht vielleicht auch auf unsere Philosophen. Ich war im letzten Jahre mit einer kleinen Delegation in China, und als DBU-Vorstand hat mich auf dieser Reise die Frage nach unserer westlich-buddhistischen Identität sehr bewegt. Für viele Asiaten, denen wir begegnet sind, war es völlig überraschend, dass es so etwas wie westliche Buddhistinnen und Buddhisten überhaupt gibt. Andere, vor allem die Theravadins, hatten sehr konkrete Vorstellungen, weil ihnen beispielsweise große Persönlichkeiten wie Nyanatiloka deutlich vor Augen standen. Wir würden heute vielleicht sagen, das ist ein etwas veraltetes Bild, das mit unserer jetzigen Realität nichts mehr zu tun hat. Dennoch kommt, wie ich gelernt habe, aus genau diesem Bild eine große Hochachtung vor dem deutschen Buddhismus. Jetzt fühle ich mich inspiriert, mich noch einmal genauer mit der Geschichte des deutschen Buddhismus zu befassen. Wie lange gibt es den Buddhismus schon in Deutschland? Wer waren die frühen großen Lehrer und welche Erfolge hatten sie? 

BA: Sie haben ein großes Lebenswerk geschaffen. 

GG: Ja, dieser Enthusiasmus und diese Energie sind wirklich beeindruckend. Heute, wo alles verfügbar ist, eignen wir uns die buddhistischen Lehren und die Praxis gar nicht mehr in dem Umfang an, wie diese Menschen es getan haben, die im Grunde nichts zur Verfügung hatten. Für mich wirft das wieder die Frage nach der Identität des deutschen Buddhismus auf, an der wir heute auf unsere Weise auch stärker arbeiten müssen. Wer sind wir als DBU und welche Rolle wollen wir in der Gesellschaft spielen? 

BA: Werden wir vielleicht in diesem Prozess auch zu einer neuen Wertschätzung unserer eigenen, westlichen Werte kommen? 

GG: Auf jeden Fall. Wir haben doch eine viel tiefere Auseinandersetzung mit unserem eigenen Erbe und unserer Sprache, wenn wir abendländische Philosophen wie Nietzsche, Hegel oder Kant aufgreifen und sagen: „Das war ihre Position und aus buddhistischer Sicht ist die so und so zu bewerten“, als wenn wir sagen: „In Indien, China oder Tibet hat es diesen oder jenen Philosophen gegeben, den kaum jemand lesen kann und von dem auch nichts übersetzt wurde, weil er schon vor 1500 Jahren gelebt hat.“ Die Auseinandersetzung mit dem eigenen philosophischen Erbe muss dringend passieren, wenn wir hier Fuß fassen und mit anderen Menschen reden möchten, seien es nun Humanisten oder Christen. Die Aufklärung, die Reformation – alles das können wir nicht ignorieren. Schon in den ersten Semestern lernen Studierende die textkritische Auseinandersetzung kennen. Das sind Instrumente, die das christliche Abendland in der Auseinandersetzung mit der Aufklärung entwickelt hat – die werden wir genauso auf den Buddhismus anwenden müssen, und teilweise tun wir das ja auch schon. 

BA: In Anfängen! 

GG: Sicherlich. Aber prinzipiell ist uns Europäerinnen und Europäern diese Sichtweise vertraut. Wir werden immer eher den Fakten der Geschichtswissenschaft Glauben schenken als einem überlieferten Mythos. Natürlich mag es Menschen geben, die so getragen werden von ihrem Lehrervertrauen, dass sie auf textkritische Ansätze ganz verzichten. Doch die Mehrheit der deutschen Buddhistinnen und Buddhisten wird doch der Meinung sein, dass wir das, was wir in der Schule gelernt haben, nicht über Bord werfen müssen, nur weil wir Buddhisten geworden sind. Und das wird zwangsläufig unsere Auseinandersetzung mit dem Buddhismus prägen. 

BA: Ist das nicht auch eine jüngere Entwicklung? Nach einer Zeit, in der westliche Menschen am Buddhismus vor allem das Andere und Neue gesehen haben und alles großartig fanden, schlägt das Pendel jetzt in die andere Richtung aus, und uns wird klarer, dass sich in unserer Kultur auch Wunderbares entwickelt hat, beispielsweise in der Aufklärung. Dahinter möchten wir dann doch nicht zurück. 

GG: Das sehe ich auch so. Neulich hörte ich einen Religionswissenschaftler zu diesem Thema sprechen, der selbst auch seit langem Buddhist ist. Zu denken, anderswo sei es immer besser, nannte er eine „infantile Grundhaltung“. Dasselbe Phänomen gibt es in Asien, wenn Menschen dort zum Christentum übertreten. Natürlich werden wir westliche Buddhistinnen und Buddhisten auch politische und gesellschaftliche Geschehnisse in Asien stärker zur Kenntnis nehmen und kritisch bewerten müssen, in Burma oder Sri Lanka beispielsweise. Auch in den buddhistisch geprägten Kulturen Asiens ist es Realität, dass Gewalt gegen Andersgläubige, korrupte Machtstrukturen, Ausbeutung, sexueller Missbrauch und vieles mehr durch religiöse Institutionen und ihre Vertreter sanktioniert, toleriert und vertuscht werden. Wenn wir genauer hinschauen, werden wir wenige Unterschiede zu den Phänomenen sehen, die wir aus unserem christlichen Kulturkreis kennen und die viele dazu bewegen, sich vom Christentum abzuwenden.

Aus buddhistischer Perspektive wäre es ja auch sehr erstaunlich, wenn nicht alle Menschen gleichermaßen dem Einfluss der Geistesgifte Unwissenheit, Gier und Hass ausgesetzt wären.

Damit will ich nicht die kulturellen Errungenschaften geringschätzen, welche durch den Einfluss des Buddhismus in asiatischen Kulturen hervorgebracht wurden; im Gegenteil, ich bin überzeugt, dass es uns an vielen Stellen sehr gut tun würde, wenn wir uns auch manche kulturellen Aspekte aneignen könnten.

Aber man kann das eben nicht auf die naive Vorstellung reduzieren, dass die spirituelle, ethische und moralische Dimension buddhistischer Kulturen tiefer oder besser sei als die unserer christlich-abendländischen Kultur, und deshalb zum Buddhismus konvertieren. In Asien konvertieren viele Menschen aus derselben Enttäuschung über die Realität in ihren Kulturen vom Buddhismus zum Christentum. 

Wenn wir uns auf einer tieferen Ebene damit befassen, werden wir sowohl der Aufklärung nahe sein als auch dem Dharma. Ich meine hier vor allem Lessings Ringparabel, die eine Grundhaltung widerspiegelt, welche mich seit meiner Schulzeit stark geprägt hat, nämlich die Aufforderung jenseits von religiösen (und auch ideologischen und kulturellen) Zugängen und Prägungen auf einer individuellen persönlichen Ebene die kostbarsten Wesensmerkmale unserer menschlichen Natur zum Besten aller zu kultivieren. Die Lehren Buddhas haben in Hinsicht auf die Förderung solcher Entwicklung sehr viel zu bieten, und ich sehe in der Begegnung dieser Traditionen sehr viel Potenzial – im Okzident und Orient. 

BA: Vielen Dank für das Gespräch.

(Dies ist der zweite Teil des Gesprächs mit Gunnar Gantzhorn. Der erste Teil erschien in BUDDHISMUS aktuell Heft 4/2015.)

Gunnar Gantzhorn

Gunnar Gantzhorn ist Vorsitzender und Ratssprecher der Deutschen Buddhistischen Union (DBU).

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