Jede Beerdigung ist anders

Ein Interview mit Uller Gscheidel geführt von Redaktion BUDDHISMUS aktuell veröffentlicht in der Ausgabe 2016/3 Vom Leben und Sterben unter der Rubrik Vom Leben und Sterben.

Was unterscheidet eine buddhistische Bestattung von einer christlichen? Und wie wird man ein Bestatter? In diesem Gespräch, das anlässlich des DBU-Kongresses 2016 „Leben und Sterben“ geführt wurde, erzählt Uller Gscheidel von seinen Erfahrungen im Umgang mit Trauernden und Toten.

Gespräch mit dem Bestatter Uller Gscheidel, geführt anlässlich des DBU-Kongresses 2016 „Leben und Sterben“

1. Sie haben 2002 als „Quereinsteiger“ Ihr Bestattungsunternehmen gegründet.
Kann jeder Bestatter werden?
Der Beruf des Bestatters ist einer der wenigen Berufe in Deutschland, die keine Zugangsvoraussetzungen haben. Es kann also jeder dieses Gewerbe in Berlin anmelden.

2. Können Sie sich noch an Ihre ersten Arbeitstage als Bestatter erinnern?
Wenn man sich selbstständig macht, gibt es keinen „ersten Arbeitstag“, sondern man bereitet sich über längere Zeit vor durch Praktika und auch Gespräche mit meinen tibetischen Lehrern. Natürlich kann ich mich noch an meinen ersten Sterbefall erinnern, und natürlich war ich aufgeregt und nicht so sicher im Umgang wie heute. Aber ich war gut vorbereitet und alles ist gut gegangen.

3. Was unterscheidet eine buddhistische Beisetzung von einer christlichen?
Für christliche Bestattungen gibt eine Liturgie den Rahmen vor, innerhalb dessen der einzelne Geistliche dann die Feier gestalten kann. Diesen Rahmen, diese einheitliche Linie gibt es im buddhistischen Umfeld so nicht. Die vielen verschiedenen Traditionen und Linien im Buddhismus haben unterschiedliche Vorstellungen und Rituale entwickelt. Diejenigen, die in einer bestimmten buddhistischen Tradition groß geworden sind und jetzt hier leben, haben meist auch hier Anschluss an eine Pagode oder einen Tempel ihrer eigenen Tradition gefunden. Dann kommt es bei der „Trauerfeier“ darauf an, wie die Kooperation zwischen Familie und Tempel funktioniert. Oft gibt es auch ein Bestattungsunternehmen, das vertraut ist mit den Sprachen und Gebräuchen dieses Tempels.
Die hier im Westen Geborenen, sind noch oft christlich getauft und haben sich irgendwann in ihrem Leben dem Buddhismus zugewandt. Die Ausgestaltung einer Trauerfeier wird dann sehr individuell gelöst. Vielleicht wird am Ende der Feier von einigen Freunden aus dem buddhistischen Feld das Herzsutra (spezifischer buddhistischer Lehrtext in Versform) rezitiert und eine kurze Meditation zum Thema Vergänglichkeit angeleitet und am Grab wird dann gemeinsam das „Vater Unser“ gesprochen. In diesem Sinne gibt es „die“ buddhistische Bestattung nicht, sondern den Versuch, dem Leben dieses Menschen in seinen verschiedenen Facetten gerecht zu werden.

4. Haben Sie bereits Vorstellungen darüber wie Ihre eigene Trauerfeier aussehen soll und wie Sie selbst beigesetzt werden möchten?

Da aus buddhistischer Sicht die geistige Dimension im nachtodlichen Erleben Vorrang hat, ist für mich die geistige Begleitung in den ersten Stunden und Tagen wichtiger als die Beerdigung meines Körpers. Insofern habe ich es meiner Familie völlig frei gestellt, wie sie die Beerdigung handhaben wollen. Meine Familie muss damit weiterleben. Gräber sind wichtig für die (noch) Lebenden, weniger für die Toten.

5. Wie gehen Sie mit dem Tod ganz junger Menschen um?
Jedes Leben ist mit dem Tod zu Ende. Das eine Leben dauert viele Jahre, andere Leben nur ganz kurz. Niemand weiß, wann es zu Ende sein wird. Es ist so wie es ist! Eltern, die Ihre Kinder, egal welchen Alters, beerdigen müssen, erleben dies meist als einen Zusammenbruch ihrer inneren Sicherheiten. Es gibt eben keine Ordnung, die vorgibt, dass Kinder die Zukunft sind und Eltern vor den Kindern sterben. Gerade weil ich viele Babys, Kinder und Jugendliche beerdige, ist diese Erfahrung Teil meines Alltags. Es kommt aus dieser Sicht darauf an, alle Situationen, in die das Leben uns stellt, so gut zu bewältigen, wie wir es eben gerade vermögen.

6. Wie trösten Sie andere bei Verlust und Tod?
Es gibt keinen Trost und ich muss auch nicht trösten. Aber es gibt vielleicht Beistand. Ich kann mich als Mensch einlassen, begleiten, Hilfe und Unterstützung anbieten, den eigenen Weg in dieser Krise zu finden und zu gehen.

7. Können Sie dem Sterben, dem Tod etwas Positives abgewinnen?
Stellen Sie sich einmal vor, unser Leben oder Leben überhaupt wäre nicht durch den Tod begrenzt. Wie aufregend ist es jung zu sein, immer neue, erstmalige Erfahrungen machen zu dürfen – und jetzt nach zweihundert oder dreihundert Jahren: Alles haben Sie alles ausprobiert, es gibt nichts Neues mehr – wie langweilig wäre doch ein Leben ohne Ende! Der Tod zwingt uns JETZT zu leben. Für mich persönlich ist die ständige Begegnung mit den Verstorbenen allen Alters daher eher ein Übungsweg: Lebe so, dass es okay ist, wenn Du jetzt stirbst. Das gelingt mir natürlich auch nicht immer, aber ich versuche es.

Hintergrundinformationen zum Autor:
Uller Gscheidel ist Dipl. Pädagoge und nach vielen Jahren in beratender und leitender Tätigkeit seit 2002 Bestattungsunternehmer. Mit seiner Arbeit möchte er neue Impulse im Umgang mit dem Tod geben. Der Wahrnehmung von Vergänglichkeit und stetigem Wandel Raum zu geben, ist ihm ein besonderes Anliegen. Die Toten sind dabei gute Lehrer. Mehr Infos unter: www.charon.de

Uller Gscheidl hielt einen Vortrag mit dem Titel „Die kostbare Zeit zwischen Tod und Bestattung“ auf dem DBU-Kongress 2016: Leben und Sterben. Buddhistische Perspektiven 16. – 18. September 2016 in Potsdam (bei Berlin). Mehr Infos zum Kongress: www.leben-und-sterben-2016.de

Uller Gscheidel

Uller Gscheidel, Dipl. Päd., seit über 30 Jahren mit dem tibetischen Buddhismus verbunden, ist Schüler von Tenga Rinpoche und Akong Rinpoche. Er ist seit 2002 mit Charon Bestattungen Bestattungsunternehmer aus Überzeugung

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